Ein riesiger Schaufelradbagger baggert Abraum ab.
Braunkohlebagger in Brandenburg: Für die Kohle-Kommission bahnt sich Lobbyismus im alten Stil an. (Foto: Jens Seifert/​Wikimedia Commons)

Doppelt genäht hält besser, muss sich der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) gedacht haben. Ende letzter Woche schickte der Verband von Energielieferanten und Netzdienstleistern einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und bat – nicht direkt, aber doch unmissverständlich – darum, in der Kohlekommission der Bundesregierung als "Akteur der Energiewirtschaft" berücksichtigt zu werden.

Anderthalb Wochen zuvor hatte schon die Ökostrombranche ein ähnlich vorsichtig formuliertes Schreiben an die beteiligten Ministerien geschickt und eine gleichberechtigte Präsenz in der Kommission angemahnt. Sollten dort die Spitzenverbände der konventionellen Energiebranche vertreten sein, so die Ökostromer, müsse – neben anderen – auch dem BNE ein Platz eingeräumt werden.

Warum es der BNE für nötig befand, den Ministern noch einen eigenen Bittbrief auf den Tisch zu legen, erklärt Verbandssprecher Karsten Wiedemann damit, dass nach wie vor nicht endgültig geklärt sei, wer alles in der Kommission sitzen soll. Nachdem das Kabinett die Einsetzung der Kommission erneut verschoben hatte, habe es der BNE als notwendig angesehen, noch einmal seine Rolle zu unterstreichen, betonte Wiedemann gegenüber Klimareporter.

Geht es nur um die Kohle?

Nach Ansicht des BNE verengt sich außerdem die Diskussion "sehr auf den Kohleausstieg". In der Kommission gehe es aber auch darum, durch ein Klimagesetz einen Rahmen zum Erreichen der Klimaziele zu schaffen. Dazu habe der BNE viele Vorschläge erarbeitet, etwa zur Ausweitung der EEG-Umlage auf fossile Energieträger.

Möglicherweise sitzt die Ökostrombranche hier aber einem Missverständnis auf. Auch in der jüngsten Variante des Einsetzungsbeschlusses für die Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" fehlen nicht nur die Namen der Chefs, sondern auch Stichworte wie Erneuerbare, Wind, Sonne und Grünstrom – vom Ziel des Koalitionsvertrages, 2030 einen Anteil des Ökostroms von 65 Prozent am Strommarkt zu erreichen, ganz zu schweigen.

Den einzigen Fortschritt gegenüber dem Vorgängerpapier könnte man in der Angabe unter Punkt 4 vermuten, dass bis 2030 die Kohleverstromung jetzt nicht mehr nur um 60, sondern um 61 bis 62 Prozent reduziert werden soll. Wer genau hinschaut, entdeckt aber, dass sich die 60 Prozent im ersten Papier auf das "heutige Niveau" der Kohleverstromung beziehen, die jetzigen 61 bis 62 Prozent aber auf die gesamte Energiewirtschaft und das klimapolitisch übliche Basisjahr 1990.

Die entsprechende Stromproduktions-Statistik der AG Energiebilanzen verrät, dass energiewirtschaftlich allein aus Braun- und Steinkohle im Jahr 1990 zusammen rund 310 Milliarden Kilowattstunden erzeugt wurden, 2017 aber nur noch rund 250 Milliarden Kilowattstunden. Jeder darf nun selbst abschätzen, was die jeweiligen prozentualen Reduktionen bis 2030 bedeuten und ob der Kohleausstieg verschärft oder verwässert wird.

Kohlelobbyismus als Klimaschutz

Ist die Mitwirkung der Umwelt- und Ökostromszene in der Kommission offenbar nicht gefragt, so scheint auch ein allzu durchsichtiger Kohle-Lobbyismus hinderlich – zumindest, was die Spitzenjobs in dem Gremium betrifft. Dafür steht vor allem die Personalie Matthias Platzeck.

Als sich herumsprach, dass Brandenburgs Ex-Ministerpräsident mit an die Spitze des Kommission treten soll, schaute die Grüne Liga, in der Platzeck einst seine politische Karriere begonnen hatte, in ihren Archiven nach und förderte ziemlich viele Entscheidungen des früheren Landeschefs zutage, die sich schwer mit einer auf Konsens angelegten Rolle an der Spitze einer solchen Kommission vereinbaren lassen.

So habe sich, erinnert der Umweltverband, Platzeck als Ministerpräsident persönlich beim EU-Kommissionspräsidenten für das Abbaggern der geschützten Lakomaer Teichlandschaft nördlich von Cottbus eingesetzt, als diese 2006 dem Fortgang eines Tagebaus im Wege stand. 

Im Jahr darauf habe Platzeck dann sogar versucht, Kohlelobbyismus als Klimaschutz zu verkaufen, listet die Grüne Liga weiter auf. Brandenburg sollte ein "Innovationslabor" werden für Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und -Speicherung, kurz CCS. Tatsächlich aber beantragte die Landesregierung im Bundesrat, die Braunkohle beim Emissionshandel besserzustellen. Auch ließ sie untersuchen, wo man überall noch Kohle baggern und Dörfer umsiedeln könnte. Die entsprechende Studie der TU Clausthal kam im März 2007 nur über einen Leak an die Öffentlichkeit, wie die Grüne Liga erinnert.

Keine Lorbeeren zu gewinnen

Kein Wunder, dass der Umweltverband Matthias Platzeck vehement ablehnt – ebenso wie den anderen avisierten Mit-Vorsitzenden aus dem Osten, Sachsens Ex-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU).

Für Beobachter der Szene würden zwei Ex-Landeschefs aus dem Osten in der geplanten Dreier-Spitze auch nicht zur Aufgabe der Kohlekommission passen: Werden bis 2030 zum Beispiel die ältesten und klimaschädlichsten Kohleanlagen abgeschaltet, ist Nordrhein-Westfalen viel stärker betroffen als Brandenburg und Sachsen. Und über Deutschlands Kohle- und Energiepolitik wird, das ist allgemein bekannt, in NRW entschieden und nirgendwo sonst.

Was seine Netzwerke betrifft, so ist Platzeck offiziell Vorsitzender des honorigen Deutsch-Russischen Forums, gilt aber darüber hinaus als sogenannter "Putin-Versteher". Auf öffentlichen Veranstaltungen kontert Platzeck diesen Vorwurf auch mal mit Sätzen wie: Er würde nicht behaupten, dass er das Land verstehe – Russland könne man nicht verstehen, an Russland müsse man glauben. Da kann der Verdacht keimen, dass man bei der deutschen Energiwende nicht die hiesigen Interessen, sondern die der russisch-deutschen Erdgaswirtschaft im Blick hat.

Dass Platzeck und Tillich so schnell aufs Schild gehoben wurden, hat sicher auch einen Grund darin, dass sich niemand so richtig um die Posten drängelt. Damit steht die Kommission nicht allein da. Bis heute fehlen Bundeswirtschaftsminister Altmaier zwei beamtete Staatssekretäre für sein Haus, darunter der für Energie zuständige. Die Posten sollten eigentlich schon seit Wochen besetzt sein. Offenbar hat keiner, der Rang und Namen hat, große Lust, sich als Blitzableiter für eine konservative Wende in der Energie- und Klimapolitik herzugeben.

Diese wird kräftig befeuert. "Der Umwelt- und Klimaschutz darf die Kommission nicht dominieren", gab der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer (CDU), vor Pfingsten noch einmal die Richtung vor. Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit müssten mehr in den Mittelpunkt gerückt werden.

Ob das fortgesetzte Briefeschreiben der Erneuerbaren-Branche dagegen hilft, darf man bezweifeln.

Der Beitrag wurde um 15.00 Uhr aktualisiert (Reduzierung der Kohleverstromung)

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