Vor einem möglichen Blackout, einem tagelangen Zusammenbruch der Stromversorgung, wird derzeit nahezu täglich gewarnt. Die Menschen sollen Vorsorge treffen – mit einem Vorrat an Lebensmitteln, Wasser, Hygieneartikeln, Medikamenten und Bargeld. Und weil ein Heizlüfter ohne Strom nicht viel nützt, wird auch geraten, sich einen Gaskocher mit einer Gaspatrone zuzulegen.
Nimmt man das Jahr 2021 zum Maßstab, wäre es aber wohl sinnvoller gewesen, die Politik hätte auf der Suche nach Blackout-Gefahren mehr auf die Wetterwarnungen geschaut. 2021 mussten Stromkunden in Deutschland im Schnitt 12,1 Minuten ohne Strom auskommen, zeigt die jüngst veröffentlichte Störungs- und Verfügbarkeitsstatistik des Forums Netztechnik/Netzbetrieb (FNN) im Elektrotechnik-Verband VDE.
Dabei erhöhte sich der Anteil der Strom-Unterbrechungen, die ausschließlich durch höhere Gewalt oder Extremwetterlagen verursacht wurden, gegenüber dem Vorjahr deutlich, und zwar um 2,3 auf 9,2 Minuten. Die Zahlen des FNN gehen zwar auf freiwillige Angaben von Netzbetreibern zurück, die Daten repräsentieren aber rund 75 Prozent des deutschen Stromnetzes.
Wer sich nun wundert, dass bei ihm de facto nie das Licht ausging: Drei von vier Stromkunden waren auch 2021 von keinem Ausfall betroffen. Die neun Minuten kommen vor allem deswegen statistisch zusammen, weil wegen der Flutkatastrophe im Westen und Südwesten Deutschlands im Sommer vergangenen Jahres 100.000 Einwohner in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz eine Woche und länger ohne Strom waren. Diese Ausfallzeit wurde bundesweit auf alle Haushalte umgelegt.
Anders gesagt: Drei Viertel der letztjährigen Blackouts gehen nicht auf meist befürchtete Ursachen wie fehlende Kraftwerke oder alte, überlastete Netze zurück. Für den FNN hatte auch 2021 der Ausbau der erneuerbaren Energien keinen erkennbaren Einfluss auf die Versorgungsqualität. Mehr Ökostrom stellt also keine Gefahr für die Netzstabilität dar.
Kein Wort zu Klimaanpassung
Dass die Netzexperten des VDE aus der Blackout-Statistik und den häufigeren Wetterextremen schon Schlüsse für ihren Netzbetrieb gezogen haben, ist zu bezweifeln. Im März dieses Jahres legte der FNN eine Roadmap vor, die den Weg zu einem "Klimaschutznetz" bis 2030 weisen soll.
In dem Fahrplan findet sich allerdings kein Wort dazu, dass Wetterextreme – Hitze, Stürme und Niederschläge – sich zu einem Problem auswachsen können und dagegen Klimaanpassungsstrategien nötig sind.
Wie Stromnetze an den Klimawandel anzupassen sind, sei eine spannende Frage, erklärte FNN-Vorstandschef Joachim Kabs kürzlich am Rande des Branchentreffens Netzcon 2022.
Bekannt ist beispielsweise, dass die Leistungsfähigkeit des Netzes wetterabhängig ist. Wenn zum Beispiel viel Wind weht, werden die Leitungen dadurch gekühlt und man kann sie höher auslasten als im Normalbetrieb, erläuterte Kabs. Bei großer Hitze sinke hingegen die Durchlassfähigkeit des Netzes – außer der Wind kühle es eben.
FNN-Vorstand Dirk Biermann ergänzte, der Wind können wiederum so stark sein, dass er Strommasten umwerfe. Dagegen würden am Ende nur "Redundanz und Resilienz" helfen. Das Netz müsse so stark sein, dass es gegen einen Orkan gewappnet ist.
Gefahren für das Stromnetz resultieren Kabs zufolge aus anhaltenden Dürren – vor allem, wenn es dabei zu mehr Waldbränden kommt und die Gefahr steigt, dass Bäume in Leitungen fallen. Darauf werde inzwischen sorgfältig geachtet.
Vom Consumer zum Prosumer zum Flexumer
Kabs und Biermann, im Hauptberuf Geschäftsführer beim Bayernwerk und beim Netzbetreiber 50 Hertz, machten am Rande der Netzcon wenig Hoffnung, dass die Netzbetreiber den Betrieb privater Haushalts-Solaranlagen erleichtern könnten und zum Beispiel auf den Einbau kostspieliger neuer Zähler verzichten.
Kabs begründete das damit, dass die Zahl der Photovoltaik-Anlagen von heute zwei Millionen bis 2030 auf zehn Millionen steigen werde. "Wir sprechen nicht mehr nur davon, die Erneuerbaren ins System zu integrieren, sondern davon, ein komplett neues System aufzubauen", erklärte der FNN-Chef.
Dabei wolle die Branche die Kunden intensiver einbinden, betonte Kabs. Diese sollten nicht länger nur Verbraucher oder Nutzer sein, sondern am System teilhaben und sich dort einbringen. Consumer würden zu Prosumern und künftig sogar zu "Flexumern", malte Kabs eine Zukunft aus, in der Verbraucher auch Netzdienstleistungen erbringen.
50‑Hertz-Manager Biermann plädierte sogar dafür, im Stromnetz manche "liebgewonnene Prozedur" aus der Vergangenheit über Bord zu werfen.
Allerdings gilt das Über-Bord-Werfen wohl auch künftig nicht für die Haushalte, die sich jetzt eine Solarstromanlage aufs Dach setzen oder an den Balkon schrauben. Aus Sicht der Netzbranche entwickelt sich das gerade zu einem Massenphänomen. Kabs: "Da muss es schon Regeln geben, an die man sich halten muss, wenn das Netz stabil bleiben soll."
Hinzuzufügen ist: Wenn das Netz sich einmal doch nicht so stabil zeigt und aus der Steckdose dann kein Strom kommt, kann eine eigene Photovoltaikanlage zumindest zeitweise helfen.