Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Müller, als SPD-Politiker bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, heute Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands.
Klimareporter°: Herr Müller, die Waldbrandgefahr in Europa steigt – nicht nur im heißen Süden, sondern auch in bisher vergleichsweise wenig betroffenen Ländern wie Deutschland. Dann wieder erleben wir wahre Sturzfluten. Das Klimasystem scheint immer mehr in Extreme abzugleiten. Gibt es überhaupt noch kurzfristige Abhilfe?
Michael Müller: Leider ist bei einem globalen Problem, das durch die langsamen Anpassungsmechanismen des Klimasystems hinter den bereits verursachten, aber noch kommenden Schäden zurückbleibt, kurzfristig nichts zu machen – abgesehen von den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen wie Pflege der Wälder, bessere Warnsysteme, Vermeidung von offenem Feuer, bessere Vorhersage und Schutz vor Wetterextremen.
Natürlich muss schnell gehandelt werden, doch das erfordert ein international abgestimmtes Vorgehen mit nationalen Vorreitern. Und eine bessere Zusammenarbeit, denn in den nächsten Jahren werden Wetterextreme als Folge der anthropogen bereits eingeleiteten Erderwärmung noch stärker auftreten.
Die Entwicklung lässt befürchten, dass Paul Crutzen mit seiner Vorahnung, dass die Menschheit gegen die Klimakrise viel zu langsam ist, recht behalten könnte. Crutzen hat deshalb technische Manipulationen in der Troposphäre nicht ausgeschlossen. Nicht, weil er sie wollte, sondern weil die Menschheit im Umgang mit der Herausforderung versagt. Ich möchte nicht, dass Crutzens Warnung eintritt.
Das Umweltbundesamt hat sich in einer Veröffentlichung mit dem Titel "Grüne Eliten gegen den Volkswillen" mit populistischen Narrativen im Bereich der Umweltpolitik beschäftigt. Gibt es wirksame Strategien gegen rechtspopulistische Erzählungen, die Klima- und Umweltschutz angreifen?
Die Naturfreunde und die Naturfreundejugend eröffneten 2017 eine "Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz", kurz FARN. Wir informieren dort in Broschüren und Texten und führen zahlreiche Seminare durch. Es ist bis heute die wichtigste Fachstelle gegen völkisches Denken im Naturschutz.
Historisch betrachtet war die Umweltschutzbewegung noch bis etwa 1970 nicht linksliberal, sondern viele Naturschützer waren antidemokratisch – extrem nationalistisch, antisemitisch und anti-gewerkschaftlich. Vor diesem Hintergrund gab es dann in der Bundesrepublik auch Spannungen zwischen Umwelt- und Naturschützern. So haben mit Herbert Gruhl und anderen mehr als ein Viertel der Mitglieder die 1980 gegründeten Grünen wieder verlassen, weil die ihnen zu liberal waren.
Das völkische Denken im Naturschutz reicht zurück bis vor die Zeit des Nationalsozialismus. Die Nazis haben diese Ideologie aufgegriffen und genutzt für ihre Blut-und-Boden-Spinnerei. Besonders hervorzuheben ist dabei der Reichsforstmeister Hermann Göring, der das Reichsjagdgesetz von 1934 durchsetzte.
Als Gegenstrategie gegen die heutigen rechtselitären und nationalistischen Strömungen ist neben Aufklärung vor allem eine Integration von Umwelt-, Klima- und Naturschutz notwendig, außerdem eine klare Abgrenzung gegen rechts und die Entwicklung eines Modells für die sozial-ökologische und demokratische Gestaltung der notwendigen Transformation. Die Umweltbewegung muss die kulturelle Hegemonie gewinnen.
Die FDP hat mit scharfen Pro-Auto-Forderungen neue Debatten um die Verkehrspolitik ausgelöst. Weniger Fußgängerzonen und Radwege sowie die Abschaffung von Tempolimits und Parkgebühren sollen die Städte autofreundlicher machen. Was bewegt die FDP zu einer Verkehrspolitik von vor einem halben Jahrhundert?
Die FDP hat Ende der 1960er Jahre eine wichtige Vorreiterposition beim Umweltschutz eingenommen. Von ihr stammen beispielsweise die drei Umweltprinzipien: Vorsorge-, Kooperations- und Verursacherprinzip.
Heute kann man sich das nicht mehr vorstellen, so wie die FDP als Bremser jeder ökologischen Modernisierung auftritt. Dennoch rate ich dazu, diesen Unsinn nicht ins Zentrum der Debatte zu rücken. Es sollte alles getan werden, damit bei den Wahlen möglichst wenige das Kreuz bei der FDP machen.
Die Endlagerung des deutschen Atommülls wird sich um Jahrzehnte verzögern und wohl viel teurer werden als gedacht. Doch kann die Bundesrepublik es sich wirklich leisten, die Endlagerung erst im nächsten Jahrhundert komplett abzuschließen?
Denn so lange würde es ja dauern, bis alle Castor-Behälter untergebracht sind, wenn das Lager erst ab 2074 gebaut werden kann. Hätten Sie jemals gedacht, dass es so schwierig sein wird, überhaupt einen Standort für das Endlager zu finden?
Die Kommission von Bundestag und Bundesrat zur sicheren Lagerung hoch radioaktiver Abfälle, deren Co-Vorsitzender ich war, hatte für das Standortauswahlgesetz von 2017 den Zeitplan konkret abgestimmt: 2031 Feststellung des Standorts, 2050 Beginn der Lagerung. Darüber wurde intensiv beraten. Der Zeitplan wurde mehrmals konkret durchgespielt.
Es war uns klar, dass dieser Zeitplan ehrgeizig, aber machbar ist. Auch der Vertreter des Öko-Instituts, der maßgeblich daran beteiligt war, hat zugestimmt. Und dieser enge Zeitplan war keine Willkür, vielmehr nahm er Rücksicht auf die begrenzte Genehmigung der Atommüllzwischenlager und die Zulassung und Stabilität der Castorbehälter.
Ich ärgere mich heute, dass wir nicht gefordert haben, dass die Bundesregierung eine Taskforce für die Endlagerung hoch radioaktiver Stoffe bilden muss – mit einer permanenten Berichtspflicht an den Gesetzgeber.
Tatsächlich scheint man den Aussagen vieler Verantwortlicher nicht glauben zu dürfen, dass sie die Atommülllagerung als eine wichtige und drängende Aufgabe verantwortlicher Politik ansehen. Sie scheinen offenkundig froh zu sein, sich nicht an der Standortsuche die Finger zu verbrennen.
Die gesamte Endlagerfrage, auch für schwach und mittel radioaktive Abfälle, ist ein deutsches Trauerspiel. Verantwortung sieht anders aus. Insofern hat die Studie den Mantel des Schweigens geöffnet.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Für mich ist das die Aussage des Bundesumweltministeriums, man habe dort schon länger gewusst, dass der Zeitplan für ein Atomendlager nicht einzuhalten ist. Dabei steht das Jahr 2031 im Gesetz. Es hat aber keine Bemühungen des Ministeriums gegeben, dies gegenüber dem Gesetzgeber entsprechend deutlich zu machen.
Die Folgen des unzureichenden Handelns wird – wieder einmal bei der Atomkraftnutzung – die Steuerzahler viel Geld kosten. Und die Atomkraftbetreiber sind fein raus, denn ihre finanzielle Beteiligung an den Kosten der Endlagerung ist nur bis 2031 berechnet.
Fragen: Jörg Staude und David Zauner