Gero Lücking. (Foto: Amac Garbe)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Lücking, nach Jahren der Stagnation sind die CO2-Emissionen in Deutschland 2018 erstmals wieder gesunken. Das liegt zwar vor allem am milden Winter und an den hohen Ölpreisen. Allerdings ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung inzwischen mit 35 Prozent fast genauso hoch wie von Braunkohle- und Steinkohlekraftwerken zusammen. Macht das Hoffnung?

Gero Lücking: Manche Berechnungen sprechen sogar von einem Erneuerbaren-Anteil von 38 oder 40 Prozent. Das klingt gut, es darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir vor einer gigantischen Ökostromlücke stehen. Denn dieser Anteil bezieht sich nur auf den Stromsektor. Tatsächlich ist es aber die Aufgabe, den gesamten Energieverbrauch zu dekarbonisieren.

Im Pariser Klimaabkommen haben wir nichts anderes als den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern in allen Bereichen unseres Lebens und Wirtschaftens beschlossen. Nicht nur im Stromsektor.

Beziehen wir also den Erneuerbaren-Anteil auf den gesamten Energieverbrauch – also auch auf den von Verkehr, Wärme und Industrie – sind erst 14 Prozent unserer Energie erneuerbar und sauber. Das Allermeiste wird immer noch fossil und damit klimaschädlich erzeugt und eingesetzt.

Die ernüchternde Wahrheit ist also: Wir stehen noch am Anfang. Selbst wenn wir im Strombereich bei hundert Prozent angelangt sind, werden wir in der Gesamtbilanz noch enorm viel vor uns haben.

Die Kohlekommission geht jetzt in die heiße Phase. Wie lassen sich die Forderungen der Ost-Bundesländer nach Geldern für den Strukturwandel und die der Umweltverbände nach einem Kohleausstieg vereinbaren?

Es muss verhandelt und ein Kompromiss gefunden werden. Es geht um viel Geld und um Klimaschutz. Wenn alle die Bereitschaft und den Willen zur Einigung mitbringen, scheint es nicht wirklich schwierig. Geld, viel Geld wird fließen. Das steht schon fest. Ohne das geht es auch nicht.

Es geht ja darum, den betroffenen Menschen in den Regionen eine Perspektive zu bieten. Das sind berechtigte Anliegen. Im Gegenzug dafür gibt es einen Plan zum Kohleausstieg und Klimaschutz. Beides muss in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.

Es geht aber nicht, absurd hohe Beträge zu nennen und nichts dafür geben zu wollen. Es ist ein Geben und Nehmen. Wer überzieht, steht am Ende mit leeren Händen da. Am Ende muss ein für alle vertretbarer, politischer Kompromiss herauskommen.

VW will in Zukunft auch Ökostrom verkaufen. Ein Zukunftsmodell?

VW will nicht nur Ökostrom anbieten, sondern auch Ladelösungen rund um die irgendwann mal kommenden E-Autos. Auf den ersten Blick eine logische Kombination, denn jeder E-Autokäufer braucht vermutlich auch eine Ladelösung.

Nun sollen die Kunden aber bei diesem VW-Angebot auch ein Auto einer anderen Marke anschließen können. Ob sie VW so viel Vertrauen entgegenbringen, bleibt abzuwarten. In der Vergangenheit waren die Hersteller jedenfalls sehr restriktiv.

Garantieansprüche wurden beispielsweise oftmals verwehrt, wenn man nicht in der Vertragswerkstatt aus dem Konzern seinen Wagen warten ließ, sondern beispielsweise bei Drittfirmen wie ATU. Sicher will aber kein Kunde mit jedem Markenwechsel beim Auto auch die Ladelösung neu installieren.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat diese Woche den Noch-Chef der Wuppertaler Stadtwerke Andreas Feicht als seinen für Energie zuständigen Staatssekretär nominiert. Für die Besetzung dieses für die Energiewende wichtigen Postens hat er neun Monate gebraucht. Jetzt hat er mit Herrn Feicht einen Kandidaten gefunden, der als Vizepräsident des VKU, des Verbandes kommunaler Unternehmen, ganz klar der Stadtwerke-Lobby zuzurechnen ist.

Bisher waren die Stadtwerke keine Unterstützer von Wettbewerb auf dem Strommarkt und weiß Gott nicht die Protagonisten der Energiewende. Es bleibt abzuwarten, ob Herr Feicht in der Lage ist, sich vom Stadtwerke-Lobbyisten zu einem unabhängigen Förderer von Energiewende und Wettbewerb zu entwickeln. Zweifel sind angebracht.

Ich hätte da gleich einen Vorschlag: Herr Feicht sollte das Chaos und die teure Intransparenz bei den 900 Stromnetzbetreibern – fast alle sind Stadtwerke – beenden. Stattdessen sollte er 25 unabhängige regionale Netzgebiete, sogenannte Netzcluster, schaffen.

Mit solchen schlagkräftigen Einheiten könnte die Diskriminierung beendet, der Wettbewerb gefördert und die Energiewende beschleunigt werden. Dann hätte er seine Unabhängigkeit bewiesen. Vorerst bleibt das ein Wunschtraum.

Fragen: Friederike Meier

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