Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne liefern heute bereits rund 60 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms. Doch die Strukturen, wie die Elektrizität genutzt wird, sind quasi noch im fossilen Zeitalter stecken geblieben.
Ideal wäre es, wenn die Kunden ihre Stromverwendung an das fluktuierende Angebot der Öko-Energien anpassen könnten. Das wird bisher kaum so gemacht. Dabei liegt hier ein enormes Potenzial.
Ein Beispiel: Die Batterien von Elektroautos könnten künftig auch eingesetzt werden, um Elektrizität zwischenzuspeichern und ins Netz zurückzuspeisen, wenn sie gebraucht wird.
Über diese Flexibilitäts-Option für das erneuerbare Stromsystem wird schon länger gesprochen. Doch nun hat der Stromkonzern Eon die Chancen dafür genauer analysieren lassen.
Der Hintergrund: Die Zahl der reinen E‑Autos (ohne Hybrid-Fahrzeuge) hat inzwischen die 1,5-Millionen-Marke überschritten, und damit steht zumindest theoretisch bereits eine stattliche Pufferkapazität zur Verfügung.
Schließlich werden Autos üblicherweise pro Tag nur rund eine Stunde gefahren, während sie 23 Stunden geparkt sind. In dieser Zeit könnten sie quasi als gigantische, virtuell zusammengeschaltete "Schwarmbatterie" für das Stromnetz zur Verfügung stehen.
Überraschend großes Potenzial
Obwohl erst elf Prozent der 1,5 Millionen E‑Autos – nämlich 166.000 – so ausgerüstet sind, dass sie Strom nicht nur aufnehmen, sondern später auch wieder zurückspeisen können, kommt damit bereits eine stattliche Kapazität zusammen. Das Fachwort dafür lautet bidirektionale Nutzung, kurz "bidi".
Bidi-Laden
Beim bidirektionalen Laden von E‑Autos kann der Strom in zwei Richtungen fließen. Das Fahrzeug bezieht Strom aus dem Energienetz und wird aufgeladen, kann ihn aber bei Bedarf an das Haus ("Vehicle-to-Home", V2H) oder in das öffentliche Netz ("Vehicle-to-Grid", V2G) einspeisen.
Dazu braucht es aber jeweils einen Zwischenschritt, denn E‑Autos fahren mit Gleichstrom, während im Netz Wechselstrom fließt. Die Umformung erfolgt durch einen Gleich- beziehungsweise einen Wechselrichter. Durch eine intelligente Steuerung können dann viele E‑Autos-Batterien zu einem "virtuellen Kraftwerk" zusammengeschlossen werden.
Eine Schwarmbatterie aus diesen Fahrzeugen könnte laut der Eon-Kalkulation rechnerisch bereits genug Strom speichern, um 1,75 Millionen Haushalte abends und nachts, das heißt zwölf Stunden lang, mit Energie zu versorgen. Für die Berechnung wurde die durchschnittliche Batteriegröße der E‑Autos von 61 Kilowattstunden zugrunde gelegt und angenommen, dass nachts maximal 60 Prozent der Akku-Kapazitäten flexibel zur Verfügung stehen, damit der Strom morgens noch für die anstehenden Fahrten reicht.
Daraus ergibt sich ein Speicherpotenzial für das bidirektionale Laden von knapp 5,5 Millionen Kilowattstunden. Selbst wenn nur ein Viertel der Akkukapazität freigegeben wäre, könnten rund 2,3 Millionen Kilowattstunden genutzt werden – Eon zufolge genug, um 730.000 Haushalte eine Nacht lang zu versorgen.
Auch wenn man die Kapazität eines einzelnen E‑Autos anschaut, ist das Potenzial beeindruckend. Es könnte laut der Modellrechnung mit seiner Batterie abends und nachts rechnerisch mehr als zehn Haushalte versorgen.
Dabei ist zugrunde gelegt, dass der Stromverbrauch eines deutschen Durchschnittshaushalts zwischen 17:30 Uhr und 5:30 Uhr rund 3,12 Kilowattstunden beträgt und der E‑Pkw in dieser Zeit an eine entsprechend ausgerüstete Wallbox angeschlossen ist, wobei 60 Prozent der Akku-Kapazität freigegeben sind.
Weniger neue Gaskraftwerke nötig
Nicht nur Eon, auch andere Unternehmen haben die Möglichkeiten der Nutzung der E‑Auto-Flotte zur Flexibilisierung des Stromnetzes im Blick. Der südwestdeutsche Netzbetreiber Transnet BW zum Beispiel erprobt derzeit in einem groß angelegten Versuch das Laden von Elektroautos, um Netzengpässe zu bewältigen.
Bei hoher Netzbelastung meldet Transnet BW dies an das Partnerunternehmen Octopus Energy, das daraufhin die Ladevorgänge von bis zu 1.500 E‑Autos in günstigere Zeiten verschiebt. Die Autofahrer in dem Test profitieren dabei von niedrigen Preisen für den Ladestrom.
Besonders interessant sind laut der Eon-Modellrechnung die positiven Folgen für das Klima. Bei einem künftigen flächendeckenden Einsatz des "Bidi-Ladens" könnte danach die Nutzung von flexiblen Gaskraftwerken, um Stromknappheit wegen mangelnder Wind- und Solareinspeisung auszugleichen, deutlich heruntergefahren werden.
Bereits beim aktuellen "Bidi"-Fahrzeugbestand und einer Freigabe von 60 Prozent der Batteriekapazität würde die verfügbare Energie danach ausreichen, um 2,9 Millionen Haushalte fünf Stunden lang zu versorgen.
Das entspricht laut Eon fast der Leistung von vier großen Gaskraftwerken, die dafür stillstehen könnten. "Fast eine Million Kubikmeter Erdgas und somit 2.000 Tonnen CO2 pro solch einem Einsatz könnten so gespart werden", folgert der Konzern.
Denkbar ist also, dass bei einer künftigen breiten Anwendung weniger zusätzliche Gaskraftwerke als Mittel gegen die berüchtigten "Dunkelflauten" gebaut werden müssten. Immerhin soll die Zahl der E‑Autos noch in dieser Dekade deutlich ansteigen.
Die Bundesregierung plant in ihrer Kraftwerksstrategie insgesamt 12.500 Megawatt an Gaskraftwerken und 500 Megawatt an Wasserstoff-Langzeitspeichern.
Befragte offen für bidirektionales Laden
Eon-Chef Filip Thon sieht sich durch die Untersuchung darin bestätigt, wie sinnvoll es sei, "den ohnehin vorhandenen E‑Auto-Akku nicht nur für das Fahren, sondern als integrierten Teil unseres Energiesystems zu nutzen".
Zwei Probleme müssen dazu allerdings noch gelöst werden. Erstens muss die gesamte E‑Neuwagenflotte für das "Bidi-Laden" ausgerüstet werden. Denn bisher hatten vor allem Hersteller aus Asien das entsprechende Batteriemanagement angeboten.
Und zweitens müssten "bidi-fähige" Wallboxen und intelligente Stromzähler zum Standard werden. Solche Wallboxen stehen derzeit erst vor der Markteinführung, und der ADAC schätzt, dass sie anfänglich drei- bis viermal teurer sein werden als die üblichen "Stromtankstellen" für zu Hause.
Und auch die modernen Stromzähler sind nur wenig verbreitet: Erst rund ein Prozent der Haushalte ist mit einem solchen Smart Meter ausgestattet.
Laut einer Eon-Umfrage, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut Civey, gibt es her jedoch großes Potenzial. Denn 79 Prozent der E‑Autofahrer mit eigenem Haus zeigten sich darin offen für das bidirektionale Laden. Bei denjenigen, die eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben, waren es sogar 83 Prozent.