Kathrin Henneberger an Tagebau-Kante hält Schild mit roter Aufschrift
Kathrin Henneberger. (Foto: privat)

Auf Kathrin Henneberger wartete vor knapp zwei Wochen ein Brief, der es in sich hatte: eine schriftliche Information über ein Hausverbot für das Gelände des Energiekonzerns RWE. Und die Aufforderung, eine entsprechende Unterlassungsverpflichtung zu unterschreiben.

Auf den ersten Blick scheint das gar nicht ungewöhnlich, wenn man sich die Biografie der 32-jährigen Kölnerin anschaut: Sie ist seit Langem in der Klimabewegung sowie bei den Grünen aktiv und hat in den vergangenen Jahren an mehreren Protestaktionen der Gruppe "Ende Gelände" teilgenommen. Dabei ging es unter anderem um die Blockade von Braunkohletagebauen und Kohlebaggern. Henneberger spricht darüber öffentlich.

Dass solche Aktionen eigentlich verboten sind und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können, ist ihr und ihren Mitstreitern natürlich klar. Genau damit wollen sie ihrem Protest Gewicht geben.

Von den tausenden Klimaaktivisten, die in den vergangenen Jahren aus politischen Gründen Tagebaue von RWE betreten hatten, haben schon etliche solche Schreiben bekommen – nach Angaben von "Ende Gelände" in der Regel, nachdem sie von der Polizei auf frischer Tat "ertappt", verhaftet und identifiziert wurden.

Hennebergers Fall liegt aber etwas anders. Sie wurde noch nie auf RWE-Gelände verhaftet. Dafür ist sie seit einiger Zeit Pressesprecherin von "Ende Gelände".

Ihr Hausverbot ist keine unmittelbare Reaktion auf einen Protest mit illegalen Mitteln – sondern auf eine Rede, die sie im Namen von "Ende Gelände" Anfang Mai auf der RWE-Hauptversammlung gehalten hat (siehe Video). Die "Kritischen Aktionäre" hatten das ermöglicht. Das Schreiben der von RWE beauftragten Großkanzlei Redeker, Sellner, Dahs, das Klimareporter° vorliegt, nimmt darauf Bezug.

Anwalt: "Nicht hinnehmbare Unart von Großkonzernen"

Henneberger vermutet deshalb, dass der Konzern durch das Vorgehen nicht in erster Linie sein Eigentum schützen, sondern vor allem sie als öffentlichkeitswirksame Person einschüchtern will – kurz vor den geplanten Aktionen im Juni. "RWE will versuchen, unsere Bewegung mundtot zu machen", beklagte sich Henneberger gegenüber Klimareporter°.

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Ihr Anwalt Stefan Gelbhaar sieht System hinter der juristischen Praxis. "Großkonzerne neigen dazu, ihre Rechtsabteilungen vorzuschicken, statt sich die Forderungen anzuhören und sich diesen zu stellen", sagte Gelbhaar, der auch für die Grünen im Bundestag sitzt. "Pressesprecherinnen und Pressesprecher einschüchtern zu wollen, ist zu einer nicht hinnehmbaren Unart geworden."

RWE sieht die Lage erwartungsgemäß anders. "Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern mit unserem Hausrecht", sagte RWE-Sprecher Guido Steffen zu Klimareporter°. "Sie hat ja eingeräumt, dass sie widerrechtlich im Tagebau war, hat angekündigt, das wieder zu tun, und andere auch dazu aufgefordert." 

Ob RWE schon anderen außer Henneberger ein Hausverbot erteilt hat, ohne dass eine Verhaftung vorlag, konnte Steffen bis Redaktionsschluss nicht mitteilen.

"Ich unterschreibe nicht"

Die Frist für das Abgeben von Hennebergers Unterlassungsverpflichtung lief bis zum gestrigen Dienstag  – die Aktivistin hat sie nach eigenen Angaben verstreichen lassen.

"Das Blockieren von Kohleinfrastruktur ist angesichts der Klimakrise nicht als normale Straftat, sondern als ziviler Ungehorsam zu verstehen – und der ist geboten, denn die Politik handelt nicht", sagte sie gegenüber Klimareporter°. "Deswegen unterschreibe ich die Unterlassungsverpflichtung nicht."

In der Theorie gilt ziviler Ungehorsam als legitimes Mittel zur politischen Teilhabe – aber nur, wenn alle legalen Wege ausgeschöpft sind. 

"Ziviler Ungehorsam ist immer Ausdruck davon, dass eine Gruppe von Bürgern nicht einfach nur unzufrieden mit der Politik ist, sondern das Handeln der Regierung als unrechtmäßig einschätzt – ohne dass man sie auf legalem Weg zur Verantwortung ziehen könnte", erklärte die Politikwissenschaftlerin Frauke Höntzsch im Interview mit Klimareporter°. Wann das in der Praxis der Fall sei, entscheide die demokratische Öffentlichkeit.

Und in Hennebergers Fall möglicherweise bald ein Gericht. Die Unterlassungsverpflichtung zu unterschreiben hätte für die Aktivistin womöglich teuer werden können, da sie weiter an Blockade-Aktionen teilnehmen will – RWE hätte ihr dann eine Rechnung wegen Vertragsverletzung schicken können.

Außerdem wäre die Unterschrift wohl als Schuldeingeständnis gewertet worden. Durch die Verweigerung der Unterschrift könnte RWE sich aber nun entscheiden, mit dem Fall vor Gericht zu ziehen.

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