Exxon-Mobil-Raffinerie
Auch diese Exxon-Raffinerie in Texas soll noch so lange Gewinn abwerfen, wie es geht. (Foto: Roy Luck/Flickr)

Das Hauptquartier von Shell in Den Haag ist ein eindrucksvolles Gebäude in Backsteingotik, mit einem Turm in der Mitte, dessen vier Seiten je eine goldumrandete Uhr ziert. Wenn die Uhren am heutigen Freitag 16 Uhr schlagen, werden am Fuße des Gebäudes Umweltaktivisten mit einem 236 Seiten starken Bericht stehen und warten.

Warten, bis ein Shell-Vertreter hinaustritt und bereit ist, die Gerichtsvorladung entgegenzunehmen.

Im Namen von 30.000 Unterzeichnern will ein Bündnis aus Umweltverbänden wie Greenpeace, Friends of the Earth und Action Aid den Ölkonzern verklagen. Der britisch-niederländische Konzern behindere mit seinem Geschäftsmodell den weltweiten Klimaschutz, so der Vorwurf.

"Die Chefs von Shell wollen sich immer noch nicht von Öl und Gas verabschieden", sagt Donald Pols, Direktor von Milieudefensie, dem niederländischen Zweig von Friends of the Earth. Mit ihrem Geschäftsmodell würden sie die Welt "in den Abgrund reißen", so Pols. "Der Richter aber kann das verhindern."

"Flut von Klimaklagen"

Sollte die Klage Erfolg haben, müsste Shell seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 senken und bis 2050 auf netto null kommen.

Die Klage gegen Shell ist kein Einzelfall. Immer populärer werden Klimaklagen gegen fossile Energiekonzerne. In den USA klagen eine Reihe von Städten und Bundesstaaten gegen Ölkonzerne wie Exxon Mobil und Chevron. In Frankreich drohen Umweltverbände und Städte mit einer Klage gegen den Ölkonzern Total. Und in Deutschland läuft ein Gerichtsverfahren gegen RWE, das ein peruanischer Bauer angestrengt hat, weil sein Andendorf vom Überlaufen eines Gletschersees bedroht ist.

Die Kläger monieren, dass die Ölkonzerne trotz besseren Wissens an ihrem Geschäftsmodell festhalten. Und dass sie, statt die Warnungen der Klimaforscher ernst zu nehmen, diese systematisch diskreditiert haben.

"In durchgesickerten Unternehmensdokumenten aus den 1990er Jahren hatte Shell vorausgesagt, dass Umweltorganisationen das Unternehmen wegen des Klimawandels verklagen würden, wenn es nicht auf die Warnungen seiner eigenen Wissenschaftler hört", sagt Sara Shaw von Friends of the Earth. "Nun ist dieser Tag gekommen."

Die Kommunikation ändert sich – das Geschäftsmodell bleibt

Selbst nach Abschluss des Pariser Klimaabkommens haben die Ölkonzerne ihr Geschäftsmodell kaum verändert. Dafür umso mehr ihre Kommunikationsstrategie.

Das zeigt ein Bericht von Influence Map, einer britischen Denkfabrik, der Ende März veröffentlicht wurde. Demnach haben fünf der größten Öl- und Gaskonzerne seit 2015 mehr als eine Milliarde US-Dollar dafür ausgegeben, um ihre Unterstützung für das Paris-Abkommen deutlich zu machen, und gleichzeitig bei der Politik dafür lobbyiert, dass ihre Öl- und Gasgeschäfte geschützt und ausgebaut werden können.

Exxon Mobil habe etwa seine Algen-Biokraftstoff-Forschung als einen Hauptbestandteil seiner Geschäftsstrategie präsentiert  – als eine umfassende Lösung für die Klimakrise. Das Ziel von 10.000 Barrel Biotreibstoff pro Tag macht dem Bericht zufolge aber nur 0,2 Prozent der Raffineriekapazität von Exxon aus.

BP wiederum wirbt für sich in großen Anzeigen etwa im Spiegel, auf denen unter anderem Windräder und eine Gasflamme zu sehen sind: "Wir sehen die Möglichkeiten in der Kraft von Sonne und Wind. Und in Erdgas, als perfektem Partner erneuerbarer Energien." Von Öl ist keine Rede.

Auch Shell gibt sich immer mehr als Klimaschutz-Vorreiter aus. Der aktuelle Budgetplan des Ölunternehmens sieht jedoch 25 bis 30 Milliarden US-Dollar an Investitionen für die Ausbeutung von Öl- und Gasfeldern vor, während nur ein bis zwei Milliarden in erneuerbare Energien fließen sollen.

Aus ihren Gewinnen von etwa 55 Milliarden US-Dollar 2018 stecken die fünf Ölkonzerne laut Bericht den allergrößten Teil in Öl- und Gas-Projekte – und nur etwa drei Prozent in CO2-arme Energieformen.

Druck zu machen wird meist Lobbyorganisationen überlassen

"Die Ölkonzerne präsentieren sich als Schlüsselakteure der Energiewende und setzen sich gleichzeitig dafür ein, eine sinnvolle Klimapolitik zu verzögern, abzuschwächen oder zu bekämpfen", kritisiert Edward Collins von Influence Map. Für Letzteres würden sie insgesamt etwa 200 Million Dollar pro Jahr ausgeben.

So habe etwa BP 13 Millionen Dollar in die Hand genommen, um eine CO2-Steuer im US-Bundesstaat Washington zu verhindern – mit Erfolg.

Der Bericht von Influence Map stellt außerdem fest, dass die Ölkonzerne ihre Anstrengungen gegen Klimaregulierungen meist ausgliedern und Handelsorganisationen wie dem American Petroleum Institute überlassen.

Der Interessenverband habe sich 2018 erfolgreich dafür eingesetzt, staatliche Vorgaben für das Öl- und Gas-Geschäft abzubauen. In der EU hätten sich wiederum Lobbygruppen in Brüssel dafür eingesetzt, einen zügigen Umstieg zu Elektrofahrzeugen zu verhindern.

In dieser Woche hat Shell zwar angekündigt, sich 2020 aus dem Handelsverband American Fuel & Petrochemical Manufacturers (AFPM) zurückzuziehen, der weder das Pariser Klimaabkommen noch eine CO2-Bepreisung befürwortet. Shell bleibt jedoch Mitglied im American Petroleum Institute.

Weil die Ölkonzerne im Grunde so weitermachen wie bisher, steigt der Druck auf sie. Etwa durch die eigenen Anleger. Und durch Klimaklagen.

"Das Klima-Branding der Ölriesen klingt zunehmend hohl und ihre Glaubwürdigkeit droht zu kippen", sagt Collins. "Sie unterstützen öffentlich Klimaschutzmaßnahmen und setzen sich gegen eine verbindliche Klimapolitik ein. Sie plädieren für CO2-arme Lösungen, aber solche Investitionen werden durch den Ausbau ihres Geschäfts mit fossilen Brennstoffen in den Schatten gestellt."

Selbst Saudi Aramco fürchtet sich vor Klimaklagen

Die Ölindustrie nimmt die wachsende Zahl der Klimaklagen aber inzwischen sehr ernst. Interessanterweise betrifft das nicht mehr nur die privaten Ölkonzerne in westlichen Demokratien wie Shell, BP oder Exxon, sondern auch staatlich gelenkte Ölkonzerne in Diktaturen wie Saudi-Arabien. Namentlich Saudi Aramco, den größten Erdölkonzern der Welt.

Unter anderem weil der Konzern weniger Energie verschwendet als andere, steht er, wie das britische Portal Climate Home mit Bezug auf eine Analyse des Thinktanks Carbon Tracker berichtet, etwas besser da als etwa Exxon, Total oder der brasilianische Staatskonzern Petrobras. Das schützt ihn allerdings nicht vor Klimaklagen.

Saudi Aramco hat am Montag ein Dokument veröffentlicht, in dem sich der Konzern zu den Risiken äußert, die durch den Klimawandel und ein Festhalten am etablierten Geschäftsmodell entstehen.

"Die zunehmende Aufmerksamkeit für die Risiken durch den Klimawandel kann die Wahrscheinlichkeit für Klagen gegen das Unternehmen erhöhen", heißt es darin. Das könne Schadenersatzzahlungen zur Folge haben. "Ansprüche wie diese könnten in ihrer Zahl zunehmen, und das Unternehmen könnte in Zukunft selbst mit solchen Forderungen konfrontiert werden."

Für andere in der Branche ist das keine Frage der Zukunft mehr, sondern längst Realität. In den USA hat der Bundesstaat Rhode Island mehrere Ölkonzerne verklagt, weil sie zum Klimawandel beigetragen hätten, der wiederum Infrastruktur in dem Bundesstaat zerstört habe. Die Ölunternehmen sollen laut Anklageschrift ihre Anleger, Kunden und Regulierungsbehörden nicht über die Risiken durch ihre Geschäftstätigkeit informiert haben.

Unter den Angeklagten ist auch Motiva Enterprises, Betreiber der größten Erdölraffiniere in den USA – und  Tochterunternehmen von Saudi Aramco.