Gegen die Regeln, aber legitim: Ein Londoner Geschworenengericht hat den Extinction-Rebellion-Mitgründer Roger Hallam und seinen Mitstreiter David Durant freigesprochen – obwohl beide offen zugaben, mit Sprühkreide klimapolitische Slogans auf Wände des King's College der Universität London geschrieben zu haben.
Eigentlich ist das Sachbeschädigung und somit eine Straftat. Die Universität hatte Reinigungskosten in Höhe von umgerechnet rund 8.000 Euro angegeben, Hallam und Durant allerdings nicht angezeigt.
Der Prozess wurde von der Staatsanwaltschaft angestoßen. Ihrer Argumentation nach haben sich die Aktivisten der "kriminellen Sachbeschädigung" schuldig gemacht, ein Tatbestand, der mit bis zu 18 Monaten Gefängnis bestraft werden kann.
Die Angeklagten verteidigten sich vor Gericht selbst. Sie argumentierten mit einer Notstandssituation: Ihr Mittel zum Protest sei angesichts der Klimakrise legitim gewesen. Mit den Slogans hatten sie sich gegen die Investitionspolitik der Uni gerichtet, die damals zwar schon beschlossen hatte, kein Geld mehr in die Kohle- oder Teersandindustrie zu stecken – aber Investitionen in Öl- und Gas-Konzerne nicht ausschloss.
Hallam und Durant beriefen sich auch auf eine Ausnahme, die das britische Recht vorsehe. Sachbeschädigung könne demnach erlaubt sein, wenn sie eine andere Sachbeschädigung verhindere.
Dreitägiger Prozess
Bei Hallam geht es um zwei Fälle: Er hatte im Januar 2017 "Divest from oil and gas" ("Investitionen in Öl und Gas stoppen") auf eine Außenwand des King's College geschrieben – das Sicherheitspersonal schritt ein. Einige Tage später waren er und Durant gemeinsam mit der Sprühkreide unterwegs, beschrifteten Innenwände der Universität und wurden daraufhin verhaftet. Durant ist Absolvent des King's College, Hallam arbeitet dort zurzeit an seiner Promotion, in der es um den effektiven Aufbau radikaler Proteste geht.
Staatsanwalt John Hulme argumentierte vor Gericht, es habe keinen legitimen Grund für das Auftragen der Sprühfarbe gegeben. Auch der Vorsitzende Richter Michael Gledhill brachte dem Notstandsargument wenig Sympathie entgegen. Hallam und Durant beklagten sich nach Verkündung des Freispruchs darüber, von ihm unterbrochen worden zu sein, wenn sie auf die Klimakrise zu sprechen kamen.
Die zwölf Geschworenen schlossen sich nach dreitägigem Prozess dennoch der Position der zwei Aktivisten an und erklärten die beiden einstimmig für "nicht schuldig". "Es ist nicht nur so, dass direkte Aktionen wirken, sie bestehen auch vor einem Gericht, vor der britischen Öffentlichkeit", sagte Hallam dem Journalistenkollektiv Real Media nach dem Urteilsspruch.
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Der juristische Sieg kommt nach dem Sieg in der Sache: Nach den Sprühkreide-Aktionen sowie einem zweiwöchigen Hungerstreik Hallams hatte das College eingewilligt, seine Investitionen in fossile Energien bis 2022 komplett zurückzuziehen – und als Institution außerdem bis 2025 klimaneutral zu werden.
Wann es gerechtfertigt ist, aus politischen Gründen demokratisch aufgestellte Regeln zu brechen, steht in keinem Gesetz. "Darüber muss letztendlich die demokratische Öffentlichkeit entscheiden", erklärte die Politikwissenschaftlerin Frauke Höntzsch im Klimareporter°-Interview.
Klimaschützer hoffen auf Präzedenzwirkung
Britische Klimaschützer sehen das aktuelle Urteil in diesem Sinne als Zuspruch, auch wenn es sich nicht um einen bindenden Präzedenzfall handelt. "So kurz nach den Protesten von 'Extinction Rebellion', bei denen London für zehn Tage blockiert wurde, war das ein unglaublich wichtiger Test der öffentlichen Meinung", heißt es etwa bei der Umweltorganisation Plan B Earth.
In den kommenden Wochen werden einige der Extinction-Rebellion-Aktivisten vor Gericht stehen, die bei den Massenprotesten im April verhaftet wurden, weil sie durch Straßenblockaden gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen hatten.
Der Beitrag wurde am 16. Mai um 15 Uhr ergänzt.