Im Jahr 2016 suchte der Zyklon Winston den Inselstaat Fidschi heim. Noch Jahre später lebten viele Betroffene in Notbehausungen. (Bild: Benjamin von Brackel)

Wenn der Zyklon naht, können ältere Generationen auf Fidschi dies mit hoher Zuverlässigkeit aus der Natur ablesen. Von den jüngeren Generationen in dem pazifischen Inselstaat wird dieses Wissen wenig ernst genommen. Das lokale Wissen zur Anpassung an den Klimawandel schwindet.

Zum großen Teil liegt das daran, dass das Bildungssystem nicht darauf ausgerichtet ist, indigenes und lokales Wissen zu vermitteln. In den Schulen werden ausschließlich Fächer wie Mathematik und Naturwissenschaften gelehrt.

Das hat auch Auswirkungen darauf, wie die Menschen auf den Inseln dieses traditionelle Wissen betrachten. Dabei kann dieses Wissen Menschenleben retten und ist teilweise früher verfügbar als Informationen durch technische Messgeräte.

Auf den Philippinen hatte die indigene Gruppe der Mamanwa den Taifun Haiyan im Jahr 2013 bereits zwei Wochen vor dessen Eintreffen vorhergesagt. Bei dem Versuch, die restliche Bevölkerung zu warnen, wurden die Mamanwa nach eigener Aussage verspottet. Haiyan tötete mehr als 7.000 Menschen und war einer der stärksten Wirbelstürme seit Beginn zuverlässiger Wetteraufzeichnungen.

Auch das Beispiel der Schleusentorbediener in Vietnam verdeutlicht, wie wichtig indigenes und lokales Wissen als Schutz vor dem Klimawandel sein kann. Vermehrter Salzeintrag ist in Vietnam eine der Gefahren, die durch den Klimawandel für die Landwirtschaft entstehen.

Die Bediener der Schleusentore können durch genaue Beobachtung und jahrelange Erfahrung erkennen, wann sie die Schleusen öffnen und schließen müssen, um die Reisfelder zu bewässern, ohne Salzwasser auf die Felder zu lassen. Die von der Regierung bereitgestellte Technik ist häufig kompliziert zu handhaben und beansprucht vor allem sehr viel mehr Zeit.

Geht solches Wissen verloren, dann fehlen auch Möglichkeiten zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung. So beschreibt es ein Fachartikel in der Zeitschrift World Development, der sich mit der Bedeutung von traditionellem und indigenem Wissen für die Anpassung an den Klimawandel befasst.

In der Anfang des Jahres veröffentlichten Arbeit werden vier Fallbeispiele aus Fidschi, Vietnam und von den Philippinen vorgestellt, in denen lokales Wissen eine zentrale Rolle für Klimaanpassung spielt. Verfasst wurde der wissenschaftliche Artikel von einem internationalen Team aus Australien, Neuseeland, China und Vietnam.

Die Autor:innen heben die Bedeutung unterschiedlicher Wissenssysteme hervor: "Die Dominanz eurozentrischer Perspektiven in der Klimaforschung versperrt den Weg zu einem Reichtum an kreativen, innovativen Ideen und Lösungen, die erforderlich sind, um die menschliche Gesellschaft zu transformieren."

Mehr lokales Wissen, weniger Beton

Das sei vor allem wichtig, weil nur die Menschen in den Gemeinden mit den lokalen Gegebenheiten vertraut sind. Der Artikel beschreibt indigenes und lokales Wissen als "ortsspezifisches verschachteltes Wissenssystem, das aus Informationen der Menschen über lokale Umgebungen, ihre Lebensweisen sowie ihre Werte und Weltanschauungen besteht".

Bei der Anpassung an den Klimawandel dürfe es nicht mehr nur um harte Infrastrukturmaßnahmen aus Beton und technische Warnsysteme gehen, schreiben die Autor:innen.

Ein weiteres Problem sehen sie darin, dass manche Ansätze zur Klimaanpassung erst dafür verantwortlich sind, dass Menschen überhaupt in Gefahr geraten.

Eines der Fallbeispiele verdeutlicht das. In der Provinz Thai Binh in Vietnam ist der Reisanbau eine wichtige Lebensgrundlage, wird aber durch klimabedingte Gefahren wie Salzeintrag, Überschwemmungen und Dürre gefährdet. Damit die Bauern und Bäuerinnen auch während extremer Wetterereignisse versorgt sind, ermutigen die Behörden sie zu einer zusätzlichen Reisernte im Jahr.

Das hat zur Folge, dass zwischen den einzelnen Anbauphasen kürzere Brachzeiten liegen. Diese sind aber wichtig, damit die Ernterückstände abgebaut werden und sich der Boden erholen kann. Werden Brachzeiten von zwei bis drei Wochen nicht eingehalten, kann es zum Beispiel passieren, dass Krankheiten sich ausbreiten, vor allem wenn die Pflanzen zusätzlich durch klimawandelbedingte Ereignisse wie Dürren geschwächt werden.

Die Bäuerinnen und Bauern setzen deswegen entgegen den Aufforderungen der Behörden weiter auf ihre jahrzehntelang bewährten Anbaumethoden mit Ruhephasen für den Boden. Das macht die Pflanzen und damit auch die Ernten widerstandsfähiger gegen den Klimawandel.

Auch indigenes Wissen stößt im Klimawandel an Grenzen

Auch Sabine Minninger, Klimaexpertin von Brot für die Welt, hält es für sehr wichtig, dass indigenes und lokales Wissen bei Klimaanpassung immer einbezogen wird. Sie sieht es als wichtige Ergänzung für technische und wissenschaftliche Mittel.

Denn die Menschen vor Ort wüssten am besten, wie ihre Umwelt funktioniert. In Tuvalu, einem Inselstaat nördlich von Fidschi, könnten zum Beispiel viele das Herannahen eines Zyklons am niedrigeren Flug der Vögel erkennen. Es sei auch wichtig, Schulkindern dieses Wissen weiterzugeben.

Minninger betont aber auch, dass gerade durch den Klimawandel das indigene Wissen immer öfter an seine Grenzen stößt. Das Erfahrungswissen werde durch die Klimaveränderungen durcheinandergebracht, die Menschen könnten sich nicht mehr auf gewohnte zeitliche Abfolgen verlassen.

In Tuvalu habe es beispielsweise schon immer Überschwemmungen gegeben, die vor allem während einer sogenannten king tide auftreten. Eine solche "Königsflut" ist eine besonders hohe Springflut und kommt mehrmals im Jahr vor.

Mittlerweile gibt es aber in Tuvalu auch Überschwemmungen außerhalb dieser king tides – sogar in Trocken- und Dürrezeiten. Und auch Stürme werden durch den Klimawandel heftiger und treten zu ungewohnten Jahreszeiten auf.

Deshalb sei es wichtig, nicht nur auf indigenes Wissen zu setzen, sondern auch auf solide Bauten wie Flutmauern und zyklonsichere Gebäude. Und auch technische Frühwarnsysteme seien neben den Zeichen der Natur wichtig. Nur mit diesen Mitteln könne man letztlich Menschenleben schützen.

 

Laut dem Fachartikel können lokales Wissen und vor Ort entwickelte Ideen auch bei Infrastrukturmaßnahmen sehr hilfreich sein. Als Beispiel wird eine auf den Philippinen neu entwickelte Hausbauweise angeführt.

Statt das sturmsichere Haus komplett aus Beton zu errichten, besteht es aus einem Bambusgerüst. Dort werden Bambusrahmen eingebaut, die von einem Metallnetz umgeben sind und mit einer dünnen Schicht Zementputz als Regenschutz bedeckt werden. Die Häuser sollen extreme Windgeschwindigkeiten bis 220 Kilometer pro Stunde und starke Erdbeben bis zur Stufe 6,4 aushalten können.

Die Autor:innen betonen, wie wichtig nachwachsende und lokal verfügbare Baustoffe sein können, die häufig als minderwertig und anfällig für Umwelteinflüsse angesehen werden.

Solche Bauweisen könnten nicht nur die Menschen vor dem Klimawandel und damit einhergehenden Extremwetterereignissen schützen. Beton als Baustoff ist auch selbst ein großer CO2-Verursacher und Ressourcenfresser. Weniger Beton zu verbauen, schützt also das Klima.