Fast zehn Jahre dauerte der Rechtsstreit zwischen dem peruanischen Landwirt Saúl Luciano Lliuya und dem europaweit größten CO2-Einzelemittenten RWE. Am Mittwoch nun erging am Oberlandesgericht Hamm der finale Urteilsspruch: Die Klimaklage wird abgewiesen, eine Revision nicht zugelassen.
Lliuya, der als Kleinbauer Kartoffeln, Weizen und Okra anbaut, wohnt in der Andenstadt Huaraz. Sie liegt direkt unterhalb des Gletscherrandsees Palcacocha. Der Klimawandel treibt die Gletscherschmelze an und taut den Permafrostboden auf. Ein Ausbrechen des Sees könnte einen Großteil der Stadt mit 120.000-Einwohner:innen und damit auch Lliuyas Lebensgrundlage zerstören.
Mit der Klage wollte der Peruaner den deutschen Energiekonzern zur Verantwortung ziehen. Zwar hat RWE kein Kraftwerk in Peru, ist aber laut dem "Carbon Majors Report" von 2014 – darauf bezog sich die Anklageschrift – für 0,47 Prozent aller weltweiten CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich.
Im Laufe des Verfahrens hat sich der Anteil auf 0,38 Prozent verringert. Entsprechend forderte Lliuya, unterstützt von der deutschen Umweltorganisation Germanwatch, dass sich RWE mit 0,38 Prozent an den Schutzmaßnahmen, konkret dem Bau eines Damms, beteiligen solle. Das wären schätzungsweise rund 13.000 Euro und damit für den Milliardenkonzern ein Klacks.
Doch RWE fürchtet einen Präzedenzfall, der viele weitere Klagen nach sich ziehen könnte.
Gebannt ist diese Gefahr nach dem Urteilsspruch allerdings nicht. Denn was wie eine Niederlage aussieht, wird von Umweltverbänden und Klimagruppen als "historisches Grundsatzurteil" gefeiert.
Auch der Kläger zeigte sich im Anschluss erfreut. "Heute haben die Berge gewonnen", sagte Saúl Luciano Lliuya. "Auch wenn es in meinem Fall nicht weitergeht, hat meine Klage Wichtiges erreicht."
Gericht folgt der Argumentation des Klägers
Um den scheinbaren Widerspruch aufzulösen, lohnt sich ein Blick in die Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters Rolf Meyer.
Zu klären waren zwei Rechtsfragen. Erstens, ist Lliuyas Grundstück tatsächlich von einer Flutkatastrophe bedroht? Zweitens, lässt sich diese Gefahr auf den Klimawandel und damit anteilig auf die CO2-Emissionen von RWE zurückführen?
Meyer betonte, dass Emittenten grundsätzlich durchaus an Kosten – je nach ihrem Emissionsanteil – zu beteiligen sein könnten. Die große Entfernung zwischen den RWE-Kraftwerken und dem Wohnort des Klägers sei kein ausreichendes Argument, die Klage als unbegründet einzustufen.
Damit widerspricht das Oberlandesgericht der Entscheidung des Landgerichts Essen. Dieses hatte 2015 die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein einzelnes Unternehmen könne nicht für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden.
Ähnlich hatte auch RWE im Vorfeld argumentiert. Folge das Gericht der Argumentation der Kläger, könne künftig auch jeder Autofahrer für die Folgen des Klimawandels verantwortlich gemacht werden.
Schon während einer zweitägigen Verhandlung im März stellte Richter Meyer klar: "Dieses Argument ist eindeutig falsch." Es gehe bei RWE um "erhebliche Mengen" CO2, nicht um die vergleichsweise geringen Emissionen, die aus einem privaten Pkw-Auspuff kommen.
Einprozentiges Hochwasserrisiko in 30 Jahren
Dennoch kam das Gericht zu dem Schluss, dass keine konkrete Gefahr für Lliuyas Grundstück bestehe. Die Gefahr, dass Wasser des Gletschersees sein Haus in den nächsten 30 Jahren überhaupt erreicht, liege laut dem gerichtlich angeordneten Gutachten bei nur etwa einem Prozent.
Zu den vom Gericht beauftragten Sachverständigen zählte der Geowissenschaftler und Statiker Rolf Katzenbach, Professor an der TU Darmstadt. Er hatte die Region besucht und das Risiko als sehr gering eingeschätzt, vor allem aufgrund des stabilen Batholith-Gesteins am Gletschersee.
Das Gutachten der Klageseite war zu einem anderen Ergebnis gekommen. Die richterlichen Sachverständigen hätten Felsstürzen durch tauenden Permafrost in ihren Berechnungen zu wenig Beachtung geschenkt, hieß es dort. Dieser Kritik an der Gefahrenbeurteilung folgte das OLG letztlich nicht.
Die bekannte Hamburger Umweltjuristin Roda Verheyen, die auch Lliuya in dem Fall vertrat, erklärte im Anschluss: "Zwar hat das Gericht das Flutrisiko für meinen Mandanten selbst als nicht ausreichend hoch bewertet. Aber eins ist klar: Das Urteil von heute ist ein Meilenstein und wird Klimaklagen gegen fossile Unternehmen und damit der Abkehr von fossilen Brennstoffen weltweit Rückenwind geben."
Mögliche Auswirkungen weit über Deutschland hinaus
Endlich könnten große Unternehmen, die solche großen Risiken und Schäden verursachen, gezwungen werden, Verantwortung zu übernehmen, kommentierte auch Lliuya selbst.
Da Länder wie Großbritannien, die USA und Japan eine Zivilgesetzgebung ähnlich der deutschen haben, könnte der Urteilsspruch weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus wirken, so zumindest die Hoffnung vieler Umweltverbände.
Mit einer etwas anderen Interpretation des Urteils meldete sich RWE zu Wort. Saúl Luciano Lliuya sei bei seinem von deutschen Nichtregierungsorganisationen unterstützen Versuch, einen Präzedenzfall zu schaffen, zum wiederholten Mal gescheitert.
"RWE hat eine solche zivilrechtliche 'Klimahaftung' nach deutschem Recht stets für unzulässig gehalten", bekräftigte der Konzern erneut. Sie würde "unabsehbare Folgen für den deutschen Industriestandort" haben.
Dass das Oberlandesgericht eine Beteiligung des Verursachers gemäß seinem Emissionsanteil für grundsätzlich rechtens befand, darauf ging das Essener Unternehmen nicht ein.
Das Gericht hinterlässt mit seiner Urteilsverkündung also ebenso erfreute Kläger wie erfreute Beklagte. Je nachdem, wie die Rechtsgeschichte nach diesem Urteil weitergeht, wird sich zeigen, bei wem die Freude anhält.