Diesmal ging es ziemlich schnell. Schneller als manchmal sonst im Januar, wenn die Jury das "Unwort des Jahres" kürt. Das Ergebnis: "Klimahysterie".
Vielleicht "erwartbar", wie es in der Jury-Diskussion hier und da hieß. Aber den massiven Aufschwung zu ignorieren, den das Thema durch Greta Thunberg und Fridays for Future erfahren hat, das wäre unglaubwürdig gewesen.
Die Kriterien, die wir uns in der unabhängigen Aktion "Unwort des Jahres" auferlegt haben, sind nach Ansicht der Jury zweifellos erfüllt. Schließlich, so steht es in unseren Grundsätzen, lenken wir den Blick auf Wörter und Formulierungen, "die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen". Zum Beispiel, indem sie "einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren". Oder weil sie "verschleiernd oder gar irreführend sind".
Warum erfüllt das Wort "Klimahysterie" diese Kriterien? Weil damit der Bewegung um Greta Thunberg ein irrationaler, wenn nicht krankhafter Umgang mit dem Thema unterstellt wird. Als medizinische Bezeichnung für eine Erkrankung ist "Hysterie" in der Wissenschaft zwar überholt. Heute wird das Wort, so der Duden, im Sinne einer "nervösen Aufgeregtheit, Erregtheit, Erregung, Überspanntheit" verwendet. "Gebrauch: abwertend", heißt es dort weiter.
"Klimahysterie", das bedeutet also kurz zusammengefasst: Die Klimaschützerinnen und -schützer handeln nicht aufgrund von Argumenten, sondern "überspannt", irgendwie irrational. Wer nimmt so jemanden schon ernst?
Zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens haben das Wort im vergangenen Jahr öffentlich verwendet – und zwar nicht nur "Klimaleugner" aus der ganz rechten Ecke, sondern zum Beispiel auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der Chef des Chemiekonzerns Evonik, Christian Kullmann.
Dass sie zum Thema Klima eine andere Meinung haben als Fridays for Future, macht aus ihren Äußerungen noch kein "Unwort". Die Form, in der sie mit Andersdenkenden und deren Auffassung sprachlich umgehen, allerdings sehr wohl.
Gegen Demokratie-Verachtung
So weit, so gut. Aber was bringt es, zum 29. Mal seit 1991 ein "Unwort des Jahres" zu küren? Die Initiative verfügt ja über keine anderen Mittel der Einflussnahme als den Versuch, öffentliche Aufmerksamkeit auf den Missbrauch von Sprache zu lenken.
Hinter ihr steht keine Organisation, auch nicht (wie oft fälschlich angenommen) die Gesellschaft für deutsche Sprache. Sie kann und will niemandem vorschreiben, was gesagt werden "darf" und was nicht. Aber genau das macht sie aus: Sie lebt allein von der Bereitschaft der Öffentlichkeit, auf kritische Hinweise zu hören.
Stephan Hebel
ist Buchautor und Leitartikler bei der Frankfurter Rundschau, für die er seit 1986 schreibt und wo sein Beitrag zuerst erschien. Er diskutiert regelmäßig im Presseclub der ARD und ist ständiges Mitglied in der Jury für das Unwort des Jahres.
Daran ändern auch Versuche nichts, der Unwort-Initiative etwas anderes zu unterstellen. Von "Sprachpolizei" schrieb einmal der ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg, der sich publizistisch inzwischen hart an der rechten Kante des bürgerlich-konservativen Lagers bewegt.
Müller-Vogg wird wissen, dass "Sprachpolizei" selbst das Zeug zum Unwort hätte. Aber er dürfte auch wissen, warum er die Aktion zu diffamieren versucht: Tatsächlich stammten die Unwörter der vergangenen Jahre meistens aus dem Sprachgebrauch des rechten bis ganz rechten Lagers.
Aus Sicht der Jury hat das einen relativ einfachen Grund: Dass der Versuch, die berühmten "Grenzen des Sagbaren" zu verschieben, auf der rechten Seite des politischen Spektrums stattfindet, würde wahrscheinlich nicht einmal Alexander Gauland bestreiten. Hier spielt sich die Debatte darüber ab, ob die Gesellschaft sich noch auf bestimmte Regeln – und damit auch Grenzen – für das öffentliche Sprechen verständigen kann oder nicht.
Nicht auf "Verbote", wie dann immer gern unterstellt wird. Sondern auf den gemeinsamen Vorsatz, genau das zu unterlassen, was sich als Unwort-Kriterien definieren lässt: Diskriminierung, Verschleierung, Demokratie-Verachtung, Infragestellen der Menschenwürde für bestimmte Gruppen.
In diesem Sinne stellt die Initiative "Unwort des Jahres" heute nichts anderes dar als einen Appell, zu einer Verständigung über gemeinsame Regeln des öffentlichen Sprechens zurückzukehren und diese dann auch einzuhalten.
Über die Stöckchen springen?
Genau diese Regeln sind derzeit so umstritten wie kaum je in den fast 30 Jahren, seit der Frankfurter Germanist Horst Dieter Schlosser das Unwort des Jahres ins Leben rief. Leicht wird heute als links-grün versiffter "Gutmensch" (Unwort des Jahres 2015) verunglimpft, wer die Grenzen des Sagbaren verteidigt. Da verwundert es nicht, dass die Initiative von denjenigen als feindliche Partei im Meinungskampf angesehen wird, die den Konsens, auf den das Unwort sich ja beruft, gerne aufgehoben sehen möchten.
Das führt – auch in der Unwort-Jury – zu der Frage, ob es richtig sei, "über die Stöckchen zu springen", die die AfD und andere uns mit ihren Unwörtern immer wieder hingehalten haben. Verstärkt es nicht noch die Wirkung dieser absichtlichen Entgleisungen, wenn wir sie zitieren?
Und daran schließt sich eine weitere Frage an: Ist es überhaupt noch sinnvoll, sich auf einen Konsens zu berufen, der keiner mehr ist? Interessiert der Verweis auf den sprachlichen Anstand nicht nur noch diejenigen, die ohnehin schon überzeugt sind?
Es kann hier nicht im Detail aus den Debatten der Unwort-Jury berichtet werden, die übrigens auch bei Kontroversen in sehr angenehmer Atmosphäre stattfinden – das soll ja nicht bei allen Jurys so sein. Aber so viel ist dann doch zu sagen: Einfach aufzugeben und der Enttabuisierung des Unsagbaren zuzuschauen – diesen Weg wird niemand gehen, dem an demokratischen Umgangsformen gelegen ist.
Es gilt mehr denn je, sich der sprachlichen Verwilderung, die ja Ausdruck einer politischen ist, entgegenzustellen. Schon deshalb, weil es ohne einen achtungsvollen demokratischen Diskurs auf Dauer keine Demokratie geben kann.
Dass die Jury in diesem Jahr auch das Wort "Umvolkung" auf die Liste gesetzt hat, darf durchaus als Signal verstanden werden. Dass damit (wenn auch diesmal "nur" auf Platz zwei) die Serie "rechter Unwörter" ihre Fortsetzung findet, ist nicht in den Vorlieben und Abneigungen selbsternannter "Sprachpolizisten" begründet. Es zeigt vielmehr, auf welchem Feld der Kampf um eine zivilisierte öffentliche Sprache – und damit um den demokratischen Diskurs überhaupt – vor allem geführt werden muss.
Nicht, weil es über irgendwelche Stöckchen zu springen gilt. Sondern weil die Sprache der Unwörter zu gefährlich ist, um sie in der Blase ihrer Propheten gedeihen und immer einflussreicher werden zu lassen.