Die Energiewende ist ein Jobmotor. Allein im Bereich erneuerbare Energien, also bei Sonne, Wind und Co, arbeiten in Deutschland laut Umweltbundesamt heute fast 400.000 Menschen, fast viermal mehr als im Jahr 2000. Doch gerade hier entwickelt sich ein zunehmender Fachkräfte-Mangel, der die Ziele des Klima-Umbaus gefährdet.
Zudem müssen die Beschäftigten in klassischen Bauberufen, wie Dachdecker und Installateure, für die neuen Aufgaben dringend besser fortgebildet werden, zeigt eine neue Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung.
Die Aufgaben sind vielfältig: Solaranlagen montieren, Windparks projektieren und bauen, Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzen, Häuser energetisch sanieren.
Um die Energiewende voranzubringen, braucht es mehr Beschäftigte, die das alles umsetzen können. Die von der Bundesregierung ins Leben gerufene "Allianz für Transformation" rechnet mit 300.000 Jobs, die besetzt werden müssen. Eine Studie im Auftrag der Grünen bezifferte den Bedarf an Arbeitskräften auf bis zu 767.000 im Jahr 2035.
Tatsächlich ist zuletzt die Zahl der offenen Stellen etwa im Bereich der regenerativen Energietechnik schon deutlich angestiegen. So meldete das "Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung" des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Ende letzten Jahres hier eine Zunahme um 190 Prozent gegenüber 2022. "Die steigende Fachkräftelücke in diesen Berufen kann das Erreichen der Klimaziele gefährden", warnte das IW.
Erneuerbaren-Branche benötigt spezielle Kompetenzen
Viele der Energiewende-Jobs passen grundsätzlich zu klassischen Handwerksberufen wie etwa in den Bereichen Dachdecken, Bauelektrik und Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik.
Das Problem, auf das die Bertelsmann-Stiftung nun hinweist: Selbst wenn in diesen Berufen ausreichend Fachkräfte ausgebildet würden, bliebe eine Kompetenzlücke: "Denn Klima-Jobs in den Bereichen Wind und Solar erfordern andere Kompetenzen." Das zeige der aktuelle "Jobmonitor" der Stiftung, für den das IW 2,7 Millionen Online-Stellenanzeigen der Wind- und Solarbranche analysiert hat.
Fachkräfte, die in Bereichen der Energiewende beschäftigt sind, brauchen oftmals zusätzliche Kompetenzen. Die Stiftung erläutert das am Beispiel von Dachdecker:innen.
Wer bislang Einfamilienhäuser mit Dachpfannen gedeckt und Fabrikdächer wetterfest gemacht hat, sei nicht automatisch für das Installieren von Photovoltaik-Anlagen qualifiziert. Dabei spielten diese Fachkräfte für die Energiewende eine zentrale Rolle, "denn bereits heute wird jede vierte Dachdecker:in von Solarunternehmen gesucht – Tendenz steigend".
Viel jüngere Dachdecker:innen sind hier bereits besser qualifiziert, denn Auszubildende in dem Metier können seit 2016 als einen von fünf Schwerpunkten "Energietechnik an Dach und Wand" wählen. "Aber das reicht nicht", sagt die Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann-Stiftung, Jana Fingerhut.
Windradwartung ist keine Bauelektrik
Auch wer seine Ausbildung vor 2016 abgeschlossen hat und Solaranlagen installieren will, müsse die dafür notwendigen zusätzliche Kompetenzen erwerben können. "Je schneller diese Kompetenzen erlernt werden, desto eher werden wir unabhängig von der Einfuhr teurer, knapper und klimaschädlicher fossiler Energieträger", meint Fingerhut.
Das Problem trifft laut der Bertelsmann-Stiftung auch auf zahlreiche weitere Energiewende-Tätigkeiten zu. Bei den wichtigsten Berufen der Solarbranche liege der "Ähnlichkeitswert" der dort benötigten Kompetenzen im Vergleich zu jenen in den traditionellen Einsatzfeldern im Schnitt bei 0,85. Erläuterung: Wären die Kompetenzen absolut deckungsgleich, läge der Wert bei eins.
Mit am größten ist die Diskrepanz bei den Dachdecker:innen. Dort beträgt der Wert nur 0,71. In der Solarbranche würden von ihnen vor allem Kompetenzen rund um Photovoltaik, Solarthermie und die Montage von Zu- und Ableitungen nachgefragt, während beim herkömmlichen Jobzuschnitt das Dachdecken und -abdichten im Vordergrund stehe.
Im Windkraft-Bereich ist die Schnittmenge der Kompetenzen laut der Analyse noch kleiner als bei der Solarenergie. Hier erreicht der Ähnlichkeitswert nur 0,77. Besonders groß ist der Unterschied bei den Fachkräften für Bauelektrik mit nur 0,64. In der Windbranche sind hier speziell Kompetenzen bei Inbetriebnahme und Wartung der Anlagen gefragt – im klassischen Einsatzbereich geht es vor allem um Elektroinstallation und Montage.
Interessant ist: Was bei den Fachkräften große Sorgen bereitet, spielt laut der Stiftung auf der Ebene der Expert:innen mit Studium, zum Beispiel bei Ingenieur:innen, kaum eine Rolle. Hier seien die benötigten Kompetenzen in beiden Bereichen fast deckungsgleich.
Private Initiativen können die Lücke allein nicht schließen
Fingerhut fordert: "Wir brauchen nicht nur mehr Fachkräfte, sie müssen auch die richtigen Kompetenzen für die Aufgaben in der Wind- und Solarbranche mitbringen. Diese Kompetenzen müssen erst erlernt werden."
In den Energiewende-Branchen müssten mehr gezielte Weiterbildungen angeboten werden, die sich sowohl an Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung als auch an diejenigen mit Berufserfahrungen, aber ohne einen anerkannten Abschluss richten. "Für Ungelernte sollten Teilqualifizierungen zum Beispiel im Bereich Montage von Solaranlagen angeboten werden", so die Expertin.
Ansätze in diese Richtung gibt es bereits. So hat die hierzulande führende Solarinstallationsfirma Enpal Akademien für Fortbildungen in den Bereichen Photovoltaik und Wärmepumpen eröffnet, um dem Fachkräftemangel beizukommen.
Und unlängst hat der europäische Cleantech-Investor EIT Innoenergy eine "Europäische Solarakademie" gegründet, die in mehreren Ländern Aus- und Fortbildungen anbieten will.
Ausreichend für den Gesamtsektor sind solche Ansätze jedoch nicht. So rechnet die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin hierzulande mit einem Bedarf an 250.000 Fachkräften für Photovoltaik bis 2035 – heute arbeiten in dem Bereich nur etwa 100.000.
Die Arbeitsmarktexpertin Fingerhut empfiehlt mit Blick auf den Energiewende-Nachwuchs eine weitere Neuerung. Zu prüfen sei eine Bündelung von Kompetenzen aus bestehenden Berufen zu einem neuen Beruf "Fachkraft für erneuerbare Energien" oder "Klimafachkraft". Das könne für Jugendliche die Ausbildung im Bereich der Energiewende deutlich attraktiver machen, meint sie.