Klimareporter°: Frau Pongratz, Sie forschen zur Klimapolitik in den Beziehungen zwischen der EU und China und waren vor Kurzem zur Feldforschung in der Volksrepublik. Was ist Ihnen besonders aufgefallen?
Barbara Pongratz: Wie sehr die EU-Mitgliedsstaaten in der Klimakooperation mit China ihr eigenes Süppchen kochen. Obwohl die EU eigentlich mit einer Stimme sprechen sollte, gelingt das in der Praxis vor Ort oft nicht.
Zum Beispiel stellen einzelne EU-Staaten unabhängig voneinander Geld und andere Unterstützung zur Verfügung, etwa für den Aufbau des Emissionshandelssystems in China. Niemand hat einen Überblick darüber, wie viel Unterstützung tatsächlich geleistet wird – und wie dies besser abgestimmt werden könnte.
Die Botschaften der EU-Mitgliedsstaaten in China leisten wertvolle Arbeit und sind oft auch gut aufgestellt, beispielsweise hat die deutsche Botschaft drei Mitarbeitende, die sich ausschließlich um die Themen Umwelt, Klima und Energie kümmern. Im Vergleich dazu ist das Klima- und Umwelt-Team der EU-Vertretung in China deutlich weniger solide aufgestellt. Es hat nicht genug Kapazitäten, um dem Interesse an seinem Engagement gerecht zu werden und den zahlreichen Kooperationsmöglichkeiten nachzugehen.
Der Mangel an personellen Ressourcen auf EU-Ebene und die fehlende systematische Koordinierung schwächen die Durchschlagskraft der EU in der Klimaaußenpolitik. Bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten, gerade eben mit China, hapert es.
Nach zähen Verhandlungen wurden die neuen Kommissarinnen und Kommissare der EU-Kommission vor Kurzem offiziell bestätigt. Im Dezember können sie ihre Arbeit aufnehmen. Wer ist wichtig für die europäisch-chinesische Kooperation im Klimabereich?
Die neu berufene Europäische Kommission hat einen klaren Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit, Industriepolitik und Verteidigung. Das zeigt sich bereits in den Ressort-Bezeichnungen der Verantwortlichen, die die ersten beiden Themen wiederum eng mit Klimaschutz verknüpfen sollen.
Wichtig ist Wopke Hoekstra, der Kommissar bleibt, mit dem Zuständigkeitsbereich "Klima, Netto-Null-Emissionen und sauberes Wachstum". Teresa Ribera wird Kommissarin für einen "sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang". Wichtig sind auch Dan Jørgensen, zuständig für Energie und Wohnungswesen und auch für Energiediplomatie, sowie Katja Kallas, zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik und damit auch internationale Partnerschaften. Die Kommission arbeitet auf der Ebene der Generaldirektionen zur EU-China-Kooperation im Klimabereich.
Barbara Pongratz
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS) der Universität Bremen. Sie forscht zu Chinas heimischer Umwelt- und Klimapolitik und zu den europäisch-chinesischen Klimabeziehungen. Sie studierte Chinastudien sowie Europa- und Völkerrecht in Berlin und München, mit Auslandsaufenthalten in Shanghai, Peking und Hongkong.
Auf chinesischer Seite spielt Ding Xuexiang, Vize-Regierungschef und ein hochrangiges Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei, eine zentrale Rolle in der Koordination zwischen verschiedenen Institutionen wie zum Beispiel dem Ministerium für Ökologie und Umwelt, dem Ressourcenministerium sowie der Nationalen Forst- und Grünlandverwaltung. Dank seiner hohen Position in Regierung und Partei hat Ding Xuexiang großen Einfluss auf die strategische Ausrichtung der Klimapolitik in China.
Und welche Foren und Austauschformate gibt es?
Das wichtigste Forum ist der jährliche hochrangige Umwelt- und Klimadialog. Er wurde kurz vor der Covid-Pandemie bei einem EU-China-Gipfel ins Leben gerufen und fand in diesem Jahr zum fünften Mal statt. Ein Dialog dieser Art ist wichtig, um klare Prioritäten zu setzen.
Zum Beispiel war es für die Auseinandersetzung um CBAM, den CO2-Grenzausgleich der EU, wichtig, dass Ding Xuexiang und der damalige EU-Klimakommissar Frans Timmermans sich darauf verständigt haben, einen speziellen CBAM-Dialog einzurichten. Ding Xuexiang hat in diesem Fall entscheidend dazu beigetragen, zwischen den Ministerien mit ihren unterschiedlichen Interessen zu koordinieren, denn CBAM betrifft in China sieben verschiedene Ministerien.
Das Dialogformat ist wichtig, um den Prozess ganzheitlich anzugehen. Auch die EU hat dafür erhebliche Anstrengungen unternommen, etwa durch Besuche hochrangiger Politiker:innen in China oder die Durchführung von virtuellen Konferenzen, bei denen bis zu 2.000 Industrievertreter aus China teilgenommen haben.
Ein weiteres wichtiges Format ist der hochrangige Dialog zur Kreislaufwirtschaft, der sich auf nachhaltige Ressourcennutzung konzentriert. Solche "High-Level"-Dialogformate zwischen der EU und China wurden vor allem seit der Covid-Pandemie vorangebracht.
Welche Themen in der Umwelt- und Klimakooperation zwischen der EU und China verdienen besondere Beachtung?
In den Gesprächen, die ich mit Expert:innen und mit Mitarbeitenden der jeweiligen Regierungen und Vertretungen führe, taucht immer wieder die Schnittstelle zwischen Klimakooperation, Handel und Wettbewerb auf, vor allem CBAM. Ebenso ein Thema sind die EU-Entwaldungsverordnung und die Methanemissionen, zu denen es auch eine EU-Verordnung gibt.
CBAM und die beiden Regulierungen, die in der Zukunft ebenfalls den Handel mit China betreffen werden, sind unilaterale Instrumente der EU, die bei Handelspartnern in China – sowohl bei der Regierung als auch in Industriebranchen, Verbänden und der Wissenschaftscommunity – auf wenig Begeisterung stoßen und an denen teilweise schon Kritik geäußert wurde.
Bei Methan geht es hingegen darum, sich auf Ziele zu verständigen und sich über Ansätze zur Emissionsreduktion auszutauschen, sowohl politisch als auch technisch. 30 Prozent der Erderwärmung seit der industriellen Revolution wurden durch Methan verursacht, und 14 Prozent der globalen jährlichen Methanemissionen stammen aus China, vor allem aus dem Kohlesektor.
Die EU-China-Kooperation ist hier noch in einer frühen Phase, auch im Vergleich zu Partnerschaften wie der zwischen China und den USA, die sich mit der "Sunnylands-Erklärung" vor einem Jahr schon auf Kooperation geeinigt hatten.
CBAM mit seinen "Klimazöllen" steht oft im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dass die Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten auch so eine große Rolle spielt, mag überraschen. In der öffentlichen Debatte werden dabei vor allem der Sojaanbau etwa in Brasilien genannt oder auch Palmöl aus Indonesien. Worum geht es in Hinblick auf China?
Bei Holz, Kautschuk und Leder kommt China als Standort der weiterverarbeitenden Industrie ins Spiel. Da geht es vor allem um die Möbelindustrie, um Autoreifen und um Mode.
Ob und wie es gelingen wird, nachzuweisen, dass die Lieferketten nicht zur Entwaldung beigetragen haben, ist noch offen. Die EU hat vor Kurzem angekündigt, die Umsetzung der Entwaldungsverordnung um ein Jahr zu verschieben, um den Partnerländern und Unternehmen mehr Zeit zur Anpassung zu geben.
Wie effektiv die Verordnung sein wird, ist noch unklar – in Bezug auf China insbesondere deshalb, weil die chinesischen Unternehmen als Weiterverarbeiter auftreten, das heißt, sie müssen selbst aktiv die Lieferketten verfolgen, etwa bei Holzimporten.
Der Import von Holz aus illegaler Abholzung ist dabei ein großes Thema. Doch Chinas offizielles Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten steht einer effektiven Zusammenarbeit im Weg. Die EU versucht nun, Einfluss auf die chinesische Regierung zu nehmen, indem sie gezielt den Dialog mit der chinesischen Industrie sucht. Ob die EU kreative Wege findet, China stärker in die Verantwortung zu nehmen, ist noch offen.
Die Umsetzung von CBAM wird ebenfalls sehr komplex. Die entsprechende Verordnung wurde von der chinesischen Regierung, ähnlich wie das Lieferkettengesetz, als "Anti-China-Gesetz" verstanden.
Ja, die chinesische Regierung war zunächst sehr kritisch und hat den CO2-Grenzausgleich als "Klimaprotektionismus" bezeichnet. Inzwischen sind zum Beispiel von chinesischen Wissenschaftler:innen auch differenzierte Stimmen zu hören, die anerkennen, dass CBAM einen positiven Beitrag zur Dekarbonisierung leisten kann – global, aber auch in China. Die sogenannten Grenzausgleichsmechanismen sind letztlich ja ein Instrument der Klimapolitik, das die EU zwar als erste einführt – aber wer weiß, vielleicht braucht auch China eines Tages einen Grenzausgleichsmechanismus?
Chinas Klima- und Umweltpolitik
China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.
Trotz dieser Nuancen ist aber klar zu sagen, dass das Narrativ des "grünen Protektionismus" in den politischen Debatten Chinas vorherrschend bleibt. Was sich gerade verändert, ist vor allem, dass Chinas Regierung und Unternehmen mitten in der Phase der Anpassung sind.
Das ist vielleicht auch ein Erfolg von CBAM: Chinesische Unternehmen müssen ab 2026 nicht an den EU-Grenzen zahlen, wenn sie nachweisen können, dass ihre Produkte bereits in irgendeiner Form für CO2-Emissionen belastet wurden – sei es durch eine Steuer oder durch den Emissionshandel. CBAM hat Anpassungsdruck erzeugt, manche sagen sogar, es hat Reformprozesse in China beschleunigt, etwa die Ausweitung des chinesischen Emissionshandelssystems auf weitere Sektoren.
Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung eines CO2-Fußabdrucksystems, das als Chinas direkte Antwort auf CBAM gehandelt wird. Es zielt darauf ab, CO2-Emissionen von Produkten über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu messen – also nicht nur bei der Herstellung, wie im Emissionshandel und beim EU-Grenzausgleich, sondern auch in der Gebrauchsphase bis einschließlich der Nachnutzung. Es handelt sich um eine sehr weit gefasste Strategie, die jedoch noch viele Schritte erfordert.
Durch die Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten erhalten die europäisch-chinesischen Beziehungen für die globale Klimapolitik noch größere Bedeutung. Doch die Weltklimakonferenz COP 29 in Baku endete vor Kurzem mit enttäuschenden Ergebnissen. Wo sehen Sie in den nächsten Jahren Chancen für erfolgreiche Zusammenarbeit, wo Risiken?
Das größte Risiko für Klima- und Umweltschutz sind handelspolitische Spannungen, die Dialog-Raum einnehmen und von der Klimazusammenarbeit ablenken.
Auch geopolitische Spannungen sind eine reale Gefahr. Ein Beispiel dafür ist das Aussetzen von bilateralen Klimadialogen und anderen Formaten nach dem Besuch von Nancy Pelosi, der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, in Taiwan 2022. So etwas ist zwischen der EU und China noch nicht vorgefallen, doch man sollte solche Geschehnisse auch hier im Blick behalten.
Chancen gibt es in Bereichen wie der Wissenschaftskooperation oder den Auswirkungen der europäischen normativen und regulatorischen Autorität. Beispiele sind die "EU-China Climate and Environmental Think Tanks Engagement Initiative" und die kürzliche Ausweitung der gemeinsamen europäisch-chinesischen Taxonomie auf Singapur bei der COP 29 – was durchaus als Erfolg zu werten ist. Die Taxonomie definiert, was als "grüne" Investition gilt und was nicht.
Das Thinktank-Projekt zielt auf einen intensiveren Dialog zwischen Forschenden über zentrale globale Klima- und Umweltfragen. Thinktanks spielen im chinesischen System eine wichtigere Rolle im Prozess der Regierungsentscheidungen, das erkennt man damit an. Das Projekt ist somit ein Zeichen dafür, dass man innovative Ansätze für die Zusammenarbeit entwickelt.
Die Einbeziehung Singapurs in die gemeinsame Taxonomie, auf die sich China und die EU schon auf der COP 26 im Jahr 2021 geeinigt hatten, ist ein Beispiel dafür, dass EU-China-Initiativen Potenzial für Ausweitung haben und ihre Zusammenarbeit auch für weitere Partner von Interesse ist.