Das Szenario ist nicht unwahrscheinlich: Sollte der rechtsextreme Rassemblement National bei der Stichwahl zum französischen Parlament am 7. Juli eine absolute Mehrheit erhalten oder weitere rechte Abgeordnete für ein Bündnis gewinnen, müsste Präsident Macron Parteichef Jordan Bardella zum Premierminister ernennen.
Daraufhin könnte Bardella eine Regierung bilden und unter anderem den Umweltminister ernennen. Dieser würde aller Voraussicht nach der wenig klimafreundlichen Politik der Partei folgen und könnte im EU-Umweltrat mit Minister:innen aus weiteren Ländern mit rechtspopulistischen Regierungen – wie der Slowakei, Ungarn, Italien und den Niederlanden – kooperieren.
Zusammen könnten diese Mitgliedsstaaten, die mehr als 35 Prozent der europäischen Bevölkerung ausmachen, eine Sperrminorität gegen neue Umweltgesetze bilden. Denn trotz vieler Unstimmigkeiten zwischen und in den rechtspopulistischen Fraktionen ID und EKR im Europaparlament sind sie sich einig in ihrer Ablehnung des europäischen Green Deal.
Diese Regierungen könnten zwar nicht alles rückgängig machen, was in den letzten Jahren klimapolitisch auf europäischer Ebene erreicht wurde, denn der Umweltministerrat bestimmt die EU-Klimapolitik nicht allein.
Zudem hat die Dynamik hin zu Elektrifizierung (Elektromobilität, Wärmepumpen, Industrie) und zu erneuerbaren Energien und Stromspeichern ein solches Ausmaß angenommen, dass sie sich nicht mehr stoppen, sondern nur noch verlangsamen lässt.
Dennoch wären aber neue Klima- und Umweltgesetze sowie eine stringente Umsetzung in Gefahr, was das Erreichen der EU-Klimaziele erheblich erschweren würde.
Der Green Deal ist ein unfertiges Projekt
Der Europäische Green Deal ist noch nicht fertig. Er muss weiterentwickelt werden, damit die EU ihre gesetzten Klimaziele erreicht und dabei das Versprechen einhält, niemanden zurückzulassen. Laut EU-Klimabeirat reichen die bestehenden politischen Maßnahmen des Green Deal – besonders in den Sektoren Landwirtschaft und Verkehr – nicht aus, um die EU bis 2050 klimaneutral zu machen und dies sozial verträglich zu gestalten.
Doch gerade den Klimaschutz in diesen Sektoren haben ultrarechte Parteien im Europawahlkampf in vielen EU-Staaten angegriffen, um gegen den Green Deal Stimmung zu machen. Um die Dekarbonisierung dieser Sektoren nun ernsthaft anzugehen, ist eine Mehrheit jenseits der radikalen Rechten im Ministerrat notwendig, die ohne Frankreich schwer vorstellbar ist.
Zudem braucht die EU bis 2030 mindestens 400 Milliarden Euro pro Jahr aus privaten und öffentlichen Quellen, um die Umsetzung des Fit-for-55-Gesetzespakets zu gewährleisten. Die Verhandlungen für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen sind deshalb entscheidend für die Zukunft des Green Deal.
Marion Guénard
ist Referentin für EU-Klimapolitik und französisch-deutsche Klimazusammenarbeit bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Sie hat einen akademischen Hintergrund in Umweltmanagement, Soziologie und Wirtschaft und war zuvor beim Weltverband nachhaltiger Kommunen ICLEI tätig.
Eine Erhöhung der Klimaausgaben im EU-Haushalt wird mit Sicherheit keine Priorität des Rassemblement National sein, der nach eigenen Angaben den Beitrag Frankreichs zum EU-Haushalt um zwei bis drei Milliarden Euro kürzen will.
Ohnehin ist der Green Deal nur so stark wie seine Umsetzung in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Es ist fraglich, ob die Auflagen zum Einhalten der EU-Klimavorschriften stark genug sind, um die nationale Implementierung sicherzustellen.
Unter einer Bardella-Regierung würde es absehbar viel Gegenwind geben. Im Programm der Partei ist von einem Moratorium für den Bau neuer Windkraftanlagen die Rede und von der Senkung der Mehrwertsteuer auf Energieprodukte.
Sollte dieses Szenario eintreten, wäre das ein Rückschlag für die Entwicklung einer stabilen und solidarischen EU-Klimapolitik.
Eine Regierung ohne parlamentarische Mehrheit
Angesichts des Wahlergebnisses im ersten Wahlgang ist allerdings ein zweites Szenario wahrscheinlicher: dass nach dem 7. Juli keine Koalition mit einer absoluten Mehrheit möglich sein wird. Unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung könnte eine dann gebildete neue Regierung jederzeit durch einen Misstrauensantrag gestürzt werden.
Jordan Bardella hat bereits angekündigt, dass er sich diesem Risiko nicht stellen will: Ohne absolute Mehrheit möchte er nicht Premierminister werden.
Nach geltendem Recht müsste der Präsident mindestens ein Jahr warten, bevor er die Nationalversammlung wieder auflösen könnte. Wer könnte also ein unregierbares Frankreich führen, das bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 in den Händen der Opposition gefangen wäre?
Eine "Expertenregierung", sagen französische Verfassungsfachleute. Das wäre eine Premiere in der Fünften Republik Frankreichs, aber kein Novum für die EU: Belgien und Italien sind mit Expertenregierungen bestens vertraut.
Auch mit einer solchen Regierung wäre es sehr fraglich, ob Frankreich die im EU-Ministerrat heftig umstrittenen Positionen vorantreibt, die Macron während seines kürzlichen Staatsbesuchs in Deutschland in den Vordergrund gestellt hat, wie eine gemeinsame Kreditaufnahme für die Finanzierung der Transformation und die Verdopplung des EU-Haushalts.
Auch in diesem Szenario verlöre also die EU eine starke Stimme, um den Meilenstein Green Deal zu verteidigen, den die französische Ratspräsidentschaft vor zwei Jahren maßgeblich mitgestaltet hatte.
Eine besonders tragende Rolle für Deutschland
Derzeit ist das alles noch Spekulation. Es ist nicht auszuschließen, dass es genügend Abgeordnete aus dem linken Bündnis und dem Bündnis "Ensemble" schaffen, eine parlamentarische Koalition zu bilden, um sich dem Rassemblement National entgegenzustellen.
Nichtsdestotrotz bliebe auch in diesem dritten Szenario die Frage, wie eine ehrgeizige Klimapolitik durch Frankreich in der EU vorangebracht werden kann, wenn bis 2027 jederzeit die Gefahr vorgezogener Parlamentswahlen besteht und der Einfluss der Rechtspopulisten konstant präsent ist.
Die progressiven Mitgliedsstaaten in der EU werden einen unerschütterlichen politischen Willen und eine gute Koordination brauchen, um die Klima- und Umweltpolitik voranzutreiben und sich der populistischen Rhetorik zu widersetzen.
Alle Augen richten sich jetzt auf Deutschland. Die Bundesregierung wird auf europäischer Ebene all ihre diplomatischen Kräfte einsetzen müssen, um Koalitionen zu schmieden, die den Klimakurs halten – und darf davon auch im Wahlkampf vor der nächsten Bundestagswahl nicht abrücken.
Ein "German Vote" wäre Gift in einer solchen Situation. Stattdessen muss Deutschland frühzeitig ambitionierte Positionen im Ministerrat vorantreiben, die eine entschlossene und sozial gerechte Umsetzung des europäischen Green Deal ermöglichen.
Deutschlands Rolle für die EU-Klimapolitik war vielleicht noch nie so wichtig, wie sie es nach dieser Wahl werden könnte.