"Der Präsident muss entweder gehen oder einen Premierminister aus unserer Koalition wählen", rief Jean-Luc Mélenchon kurz nach dem Wahlsieg seines Bündnisses Nouveau Front populaire einer jubelnden Menge entgegen. Tausende feierten das Ergebnis in Paris und forderten Präsident Emmanuel Macron in Sprechchören zum Rücktritt auf.
Noch wenige Stunden zuvor hatten Prognosen einen Sieg des rechtsextremen Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen vorhergesagt. Bei den Europawahlen Anfang Juni hatte der RN mit 31 Prozent das mit Abstand beste Ergebnis erzielt.
Doch chaotisch bleibt es auch nach dem Erfolg der Koalition aus Sozialdemokrat:innen, Linken, Grünen und Kommunist:innen in der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU. Zu knapp ist das Ergebnis. Zu stark ist der rechte RN, trotz verfehltem Wahlsieg.
Weit entfernt von den für eine absolute Mehrheit notwendigen 289 sind die 182 Sitze für das linksgrüne Bündnis im Parlament. Mit wenig Abstand folgen die liberale Parteienkoalition Ensemble – dazu gehört auch Macrons Partei Renaissance – mit 168 Sitzen und der RN mit 143.
Allen Aufforderungen zum Trotz scheint Macron nicht vorzuhaben, einen Premierminister aus dem Siegerbündnis zu ernennen. Dem Präsidenten fällt es augenscheinlich schwer, die verlorene, von ihm selbst angeordnete Neuwahl anzuerkennen.
Stattdessen ließ er sich drei Tage Zeit, um auf die Wahl zu reagieren, und richtete sich schließlich mit einem offenen Brief an das französische Volk. Niemand habe die Wahl gewonnen. Seine Lösung: Es soll sich eine neue, republikanische Koalition aus allen politischen Kräften bilden, die die "republikanischen Institutionen, den Rechtsstaat" und auch "proeuropäische Positionen" anerkennen.
Damit bricht Macron mit der politischen Tradition, einen Premierminister aus der stärksten Fraktion – also dem Linksbündnis – zu ernennen. Zumal seine Worte allgemein so verstanden werden, dass er in seiner Koalition neben Le Pens RN auch Mélenchons linke Partei La France insoumise (LFI), ausschließen möchte, obwohl sie Teil des siegreichen linksgrünen Bündnisses ist.
Eine gute Zusammenarbeit zwischen Macron und dem Linksbündnis ist in der Tat nur schwer vorstellbar. Sowohl Mélenchon als auch Grünen-Chefin Marine Tondelier haben bereits angekündigt, ausschließlich das Programm des eigenen Bündnisses umsetzen zu wollen. Und dieses Programm widerspricht in so ziemlich jedem Punkt der wirtschaftsliberalen Linie des Präsidenten.
Kein Geld für neue fossile Projekte
Das gilt für die außen- und sozialpolitischen Themen, die medial im Fokus stehen, aber auch für die Klimapolitik.
Das linksgrüne Bündnis will die geplante Schließung von Bahnstrecken in ländlichen Gebieten verhindern und zahlreiche unter Macron entwickelte Straßenprojekte unter ein Moratorium stellen. Den Kern der Verkehrswende bildet für den Nouveau Front populaire der öffentliche Verkehr.
Dafür soll in die Schiene investiert und das Tarifsystem sozialverträglich umgestaltet werden, etwa mit Gratisangeboten für prekär Beschäftigte oder Jugendliche.
Das Macron-Bündnis Ensemble hält dagegen wenig überraschend an der bisherigen Verkehrspolitik fest, in der das zentrale Transformationsvorhaben ein schneller Hochlauf von Elektroautos ist.
Das linksgrüne Bündnis will 200.000 Sozialwohnungen nach höchsten ökologischen Standards errichten und ärmere Haushalte bei der energetischen Sanierung des eigenen Zuhauses finanziell unterstützen. Weder zu Energieeffizienz noch zu nachhaltigem Wohnen findet sich im Ensemble-Programm ein Abschnitt.
Generell spielt Klimapolitik in den Programmen der Parteien nur eine untergeordnete Rolle. Fossile Energien werden im Programm von Ensemble gar nicht erwähnt. Aber auch beim Linksbündnis nur einmal: "Null Bankenfinanzierung für fossile Konzerne, die neue Projekte planen."
Immerhin kündigt der Nouveau Front populaire an, einen Klimaplan entwickeln zu wollen, um CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen. Dieses Ziel gilt für Frankreich bisher nur indirekt über den europäischen Green Deal. Umweltverbände sagen allerdings, dass die EU, um der eigenen Verantwortung gerecht zu werden, Klimaneutralität – nicht nur CO2-Neutralität – schon früher anstreben müsste.
Schwer überbrückbar scheinen die Differenzen auch in Fragen der Einwanderung zu sein. Das linke Bündnis will die Kategorie "Klimaflüchtlinge" schaffen und damit die Flucht vor den Folgen des Klimawandels erleichtern. Auch darüber hinaus hat das Bündnis dem umstrittenen Einwanderungsgesetz, das die Macron-Regierung Ende letzten Jahres mit RN-Unterstützung durchgesetzt hat, den Kampf angesagt.
Le Pen droht mit Misstrauensantrag
Statt mit vorgezogenen Neuwahlen mehr Klarheit in Frankreichs politischer Landschaft zu schaffen, hat Macron das Gegenteil erreicht. Die Niederlage der Rechtsextremen ist der pragmatischen Zusammenarbeit der linken Kräfte des Landes zu verdanken.
Doch erstens stellt sich die Frage, ob dieser Pragmatismus die nun anstehenden Verhandlungen für eine Regierungsbildung überstehen wird, und zweitens hat Le Pen mit ihrer Partei, trotz des überraschend schlechten Ergebnisses, mehr Sitze im Parlament als jemals zuvor.
Der RN hat auch gleich angekündigt, gegen jede Regierung mit Minister:innen der Grünen oder von Mélenchons LFI Misstrauensanträge zu stellen.
Wie viel das linksgrüne Bündnis also tatsächlich von seinem Programm – Einfrieren der Preise für Energie und Lebensmittel, Wiedereinführung der Reichensteuer plus Klimaabgabe, Rücknahme der Rentenreform und nicht zuletzt eine stärkere und sozial gerechtere Klimapolitik – durchsetzen kann, ist ungewiss. Mehr Klarheit über die realen Machtverhältnisse wird die erste Sitzung der Nationalversammlung am 18. Juli bringen.
Dort haben die Abgeordneten die Möglichkeit, auch die gegenwärtige Regierung über ein Misstrauensvotum abzusetzen. Als wahrscheinlich gilt derzeit aber, dass der gegenwärtige Premierminister Gabriel Attal noch bis nach den Olympischen Spielen in Paris – vom 26. Juli bis 11. August – im Amt bleiben wird.
Was haben die Wahlen in Frankreich bisher also gebracht? Jede Menge schlechte Verlierer:innen aufseiten der Rechtsextremen und der Wirtschaftsliberalen und ein linksgrünes Bündnis, das noch beweisen muss, dass es mehr eint als die Angst vor Marine Le Pen.