"Papa weine nicht": Kinder sorgen sich um die Zukunft ihrer Familien. (Foto: Svea Busse)

Im Traditionszimmer des Gewerkschaftshauses gegenüber der Makoszowy-Grube sind die Vitrinen  leer. "Hier hatten wir alte Fotos, Dokumente und Werkzeuge aus unserer Geschichte aufbewahrt", erklärt Andrzej Chwiluk, örtlicher Vorsitzender der Bergarbeiter-Gewerkschaft ZZG.

Als das Steinkohlebergwerk Ende 2016 genau zum 110-jährigen Jubiläum geschlossen wurde, verschwanden die Erinnerungsstücke. Wo sie hingekommen sind, wissen die Gewerkschafter nicht. "Wir hätten uns gewünscht, dass die Sachen an ein Museum gegeben werden, aber uns hat keiner gefragt."

Die Bergleute sind es gewohnt, dass man sie ignoriert. "Als die Schließung bevorstand, hat niemand mit uns geredet, keiner hat uns zugehört", beschwert sich Chwiluk. Der Schock sitzt noch tief bei den Männern im oberschlesischen Zabrze. Sie fühlen sich übergangen und nicht ernst genommen.

Dabei wirbt der polnische Konferenzpräsident auf dem Klimagipfel in Katowice doch für einen sozial gerechten Übergang in eine kohlefreie Welt. Unter dem Stichwort "Just Transition" wird diskutiert, wie der Kohleausstieg gestaltet werden kann. Gerecht ging es bisher aus Sicht der Gewerkschafter in der Makoszowy-Grube jedenfalls nicht zu.

Eigentlich sollte den Journalisten als erstes ein stillgelegtes Bergwerk gezeigt werden. Wenige Tage vor dem Besuch wurde das jedoch verboten. "Das Unternehmen, das die Grube instand setzt, glaubt, ihr seid Ökoterroristen", sagt Chwiluk lachend. "Wir haben aber nichts zu verbergen, wir freuen uns, dass ihr gekommen seid!"

"Klare Entscheidungen sind wichtig"

So bleibt für das Treffen das Büro der Gewerkschaft, das direkt gegenüber der Zeche liegt. Das Zimmer steht voll mit alten Pokalen von Sportturnieren, Zettelstapel häufen sich auf den Schreibtischen, an der Wand hängt ein "Rauchen verboten"-Schild, das dem Geruch nach zu urteilen wenig Beachtung findet.

Einige ehemalige Grubenarbeiter in Festtagsuniform betreten den kleinen Raum. Die Männer waren gerade in einer Grundschule, um den Kindern die lokalen Traditionen näherzubringen. Auf dem Tisch liegen Kinderzeichnungen. "Papa weine nicht", steht auf dem einen Blatt.

Die Grube wurde geschlossen, wenige Monate nachdem die Arbeiter über ihre Entlassung informiert worden waren. "Das war eine schwere Zeit für die Kinder, sie wussten nicht, wovon ihre Familien in Zukunft leben sollen", sagt Chwiluk.

Den Umgang mit den Grubenarbeitern kritisiert auch Izabela Zygmunt vom osteuropäischen Umweltnetzwerk CEE Bankwatch. "Eine klare Entscheidung über den Ausstieg hilft den Betroffenen mehr, als wenn man sie über lange Zeit im Ungewissen lässt", erklärt sie.

Für den Gewerkschaftler ist die Sache klar: "Wenn die Kohle nicht in Zabrze gefördert wird, wird sie aus Russland importiert." So schnell könne man die Energieversorgung schließlich nicht umstellen, meinen die Bergleute. Die importierte Kohle sei aber von geringerer Qualität und verschmutze die Luft stärker.

Bereits jetzt werden in Polen 15 Prozent der Steinkohle importiert. Die Kohleförderung im Land erweist sich immer mehr als unrentabel, was den Import von billiger Kohle aus dem Ausland ankurbelt.

Die Stromversorgung Polens basiert zu 78 Prozent auf Kohle, der Trend ist jedoch fallend. Für die Zukunft plant die Regierung, den Strom aus Braunkohle durch Atomstrom zu ersetzen.

Die neuen Jobs sind weit weg

Mit der Schließung der Grube verschwanden in Zabrze nicht nur 1.900 Arbeitsplätze, auch das gesellschaftliche Leben der 175.000-Einwohner-Stadt leidet darunter. Das Haus der Gewerkschaft wurde früher regelmäßig für Feiern und Treffen vermietet. Jetzt wirkt das Gebäude wie ausgestorben, nur noch ab und an wird die Kantine geöffnet.

Ein Großteil der Belegschaft hat aber inzwischen einen neuen Job gefunden. Zurzeit herrscht Arbeitskräftemangel auf dem polnischen Markt. Dafür müssen die Männer jetzt wesentlich weiter fahren, viele haben deshalb die Stadt verlassen.

Hart getroffen hat es die 300 Angestellten, hauptsächlich Frauen, die in der Verwaltung der Grube beschäftigt waren. Von der Gewerkschaft begleitete Versuche, die Frauen in der öffentlichen Verwaltung unterzubringen, waren zwar zum Teil erfolgreich, für die meisten gibt es aber keine Perspektiven.

Besonders von der neuen Regierung ist man hier enttäuscht. "Der jetzige Premierminister stand vor der Wahl in diesem Haus und hat versprochen, dass mit dieser Grube nichts passiert. Wir haben das sogar auf Video", empört sich Chwiluk. Jetzt blocke die Regierung alle Anfragen ab.

"Die polnische Regierung macht entweder gar nichts oder handelt sehr brutal", klagt der Bergmann. Ihm und seinen Kollegen ist wichtig, dass bei der Umstrukturierung die Menschen im Mittelpunkt stehen. Polen bräuchte eine Art Marshallplan, um nach einem Kohleaussteig wieder auf die Beine zu kommen, fordert sein Kollege Jerzy Hubka. Ihm geht das Gespräch sichtlich nahe: "Ich werde ganz emotional, weil ich einfach nicht verstehen kann, was passiert ist."

Während in Zabrze die Grube geschlossen wurde, will die Regierung neue Standorte eröffnen und andere bestehende ausbauen. Das sorgt für noch mehr Unverständnis bei den Kohlearbeitern der Makoszowy-Grube, aber auch für Unmut im 40 Kilometer entfernten Imielin, wo eine Grube ausgebaut werden soll. In dem Städtchen regt sich Widerstand, weil die Bewohner um ihre Häuser fürchten.

Arbeiter setzen sich für grüne Nachnutzung ein

Chwiluk hält einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2050 für realistisch. Dann hätte man genug Zeit, einen gerechten Strukturwandel zu organisieren. Damit ist der Gewerkschaftler vermutlich progressiver als seine eigene Regierung, die 2040 immerhin noch 30 Prozent der Energie aus Kohle gewinnen will.

Die Vertretung der Kohlearbeiter aus Zabrze ist auch um einiges aufgeschlossener als andere Gewerkschaften in Polen. "Obwohl ich diese schwarze, schmutzige Kohle repräsentiere, heißt das nicht, dass ich nicht offen bin für Veränderungen und Innovationen", sagt der Gewerkschaftschef.

Sogar für eine Nachnutzung der Schächte als Pumpspeicherkraftwerk hatten sich die Kohlearbeiter starkgemacht, und Chwiluk schlug vor, das 42 Hektar große Gelände in einen Solarpark zu verwandeln, aber auch auf diese Vorstöße kam keine Reaktion aus der Politik.

Klimakonferenzen hält der ehemalige Grubenarbeiter für wichtig, weil dadurch der Dialog ermöglicht werde. Vor drei Jahren in Paris war er sogar selbst vor Ort. Zur COP 24 in Katowice wollte er aber nicht kommen – er sieht die Organisation von polnischer Seite aus als nicht glaubwürdig an. Chwiluks Resümee: "Der gerechte Wandel findet in Polen nicht statt."

Alle Beiträge zur Klimakonferenz COP 24 in Polen finden Sie in unserem Katowice-Dossier

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