Der Mensch breitet sich auf der Erde immer weiter aus. Wälder, Grasland und Feuchtgebiete verschwinden. Und mit ihnen vielfältige Ökosysteme. Schon jetzt nehmen Flächen für Nahrungsanbau und Weiden ein Drittel der Landfläche ein. Inzwischen ist nur noch ein Viertel aller Flächen von menschlichen Tätigkeiten unberührt. Bis 2050 könnten es weniger als zehn Prozent sein. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des UN-Biodiversitätsrats IPBES. Es ist die erste Bewertung der weltweiten Landdegradierung und Biodiversität. Umweltverbände hatten solch eine globale Analyse seit Jahren gefordert – jetzt ist sie da.
IPBES-Chef Robert Watson bezeichnet die Ergebnisse als "offene und dringende Warnung", die Handlungsoptionen seien "eindeutig". "Einen Weckruf für uns alle" sieht Monique Barbut in der Studie, die Chefin des UN-Sekretariats zur Bekämpfung von Wüstenbildung UNCCD.
Über 100 Experten aus 45 Ländern hatten drei Jahre lang untersucht, wie sich die Qualität der Böden verändert hat. Sie kommen zu beunruhigenden Schlussfolgerungen: Die Verschlechterung der Bodenqualität ist auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen und treibt das Aussterben vieler Tierarten voran. Das Wohlbefinden von 3,2 Milliarden Menschen sei gefährdet, warnt der in Bonn ansässige IPBES, was zu einem massiven Migrationsdruck und weiteren Konflikten führen könne.
Der Bericht basiert auf über 3.000 wissenschaftlichen, staatlichen, indigenen und lokalen Untersuchungen. 550 Experten aus über 100 Ländern haben ihn verfasst, 200 externe Experten haben den Bericht nachgeprüft.
Biokraftstoffe als "Irrweg"
Auch die Aussichten stimmen die Experten nicht gerade hoffnungsvoll: Bis 2050 könnte sich der Bedarf an Pestiziden und Dünger verdoppeln, da sich die Landwirtschaft zunehmend industrialisiert, um den Hunger einer wachsenden Weltbevölkerung zu stillen und zusätzlich mit sogenannten Biokraftstoffen die klimaschädlichen Treibstoffe Benzin und Diesel zu ersetzen. Diese Maßnahme, die eigentlich ein Umweltproblem bekämpfen sollte, kann die Landdegradierung verschlimmern und die Artenvielfalt vermindern, kritisiert der Bericht. Ähnliches sei auch der Fall, wenn Pflanzen zur Aufforstung verwendet werden, die historisch nicht in den betreffenden Gegenden vorkommen.
Wie aber lässt sich verhindern, dass immer mehr Lebensräume zu Nutzflächen werden? Eine Möglichkeit, so die IPBES-Experten, sei, den Ertrag auf bereits bewirtschafteten Flächen zu erhöhen. Genauso wichtig sei es aber, dass Verbraucher ihre Ernährung auf mehr Obst und Gemüse sowie weniger Fleisch umstellen, die aus einer nachhaltigen Produktion stammen. Der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle.
Arten- und Klimakrise treiben sich gegenseitig an
Infolge der Verschlechterung der Bodenqualität werde auch die Klimakrise "intensiviert", warnt der IPBES. So trägt die Bodendegradierung etwa durch Entwaldung zu zehn Prozent aller durch den Menschen verusachten Treibhausgase bei. Überdies wird im Boden gespeicherter Kohlenstoff freigesetzt. Allein in den Jahren zwischen 2000 und 2009 sei die Bodendegradierung verantwortlich für Emissionen von bis zu 4,4 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr gewesen. Um das Zwei-Grad-Limit des Pariser Klimavertrags einzuhalten, sei die Bodendegradierung also entscheidend, sagen die Wissenschaftler.
Wer das Problem angeht, verbessere zudem die Nahrungsversorgung, vermindere Konflikte und senke den Druck zur Migration. Der südafrikanische Wissenschaftler Robert Scholes weist darauf hin, dass gerade in Gegenden mit Trockenfeldbau ein Anstieg gewalttätiger Konflikte um mehr als 45 Prozent in den Jahren zu beobachten war, in denen die Niederschläge extrem niedrig ausfielen. "Landdegradierung ist eine Hauptursache für Lebensraumzerstörung, Artensterben, aber auch für Hunger und Armut in vielen Weltregionen", schrieb der Geoökologe Sebastian Arnhold von der Universität Bayreuth, der an der Untersuchung beteiligt war.
Bodenexperte Jes Weigelt von der Nachhaltigkeits-Denkfabrik TMG hält die Ergebnisse für "wichtig und unmittelbar politikrelevant". Sie sollten "jetzt dringlichst in Handeln überführt werden", sagt er gegenüber Klimareporter. Das könne aber nur gelingen, wenn beim Bodenschutz auch die strukturellen Hindernisse wie die Sicherung von Landrechten angepackt werden. "Die Diskussion um Bodenschutz muss neben einer technischen, eine politische Dimension beinhalten", sagt Weigelt.
Diskutiert werden müsste auch, welche Folgen es hat, wenn Böden und Wälder im großen Maßstab als CO2-Speicher herangezogen werden. Denn das habe häufig negative Auswirkungen auf arme Bevölkerungsgruppen.
Die Bundestagsabgeordnete Lisa Badum von den Grünen erklärt gegenüber Klimareporter: "Wenn wir jetzt endlich in der Landwirtschaftspolitik umsteuern und die Vielfalt der Arten erhalten, können wir umgekehrt auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten." Ein sofortiger Stopp der Bodenausbeutung helfe, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. "Wir müssen unseren lebenden Boden schützen und gleichzeitig die Klimakrise bekämpfen", sagt Badum.
Massenhaftes Artensterben
- Nur sieben Prozent der Meeres-Arten haben in Europa eine gute Aussicht auf Überleben.
- In Afrika könnte mehr als die Hälfte der Vogel- und Säugetierarten bis 2100 aussterben.
- In der Asien-Pazifik-Region könnten die Fischbestände bereits zur Mitte des Jahrhunderts erschöpft sein, 90 Prozent der dort vorkommenden Korallen würden "stark" geschädigt.
Warnung vor Massenaussterben
Durch Erderwärmung und Landdegradierung verarmt in vielen Regionen die Biodiversität, wobei Veränderungen in der Vegetation wiederum die Klimakrise verschärfen. Den dadurch verursachten wirtschaftlichen Schaden schätzt der IPBES in einer weiteren Bewertung zur Biodiversität auf zehn Prozent des jährlichen weltweiten Bruttosozialprodukts. Der Biodiversitätsrat weist darauf hin, dass sich die biologische Vielfalt weltweit auf einem "gefährlichen Abstieg" befinde.
Der Bericht warnt vor dem ersten massenhaften Artensterben seit dem Untergang der Dinosaurier, das viele Menschen noch zu ihren Lebzeiten erleben könnten: "Landdegradierung, der Verlust von Artenvielfalt und der Klimawandel sind drei verschiedene Gesichter derselben zentralen Herausforderung: die zunehmend gefährliche Wirkung unserer Entscheidungen auf den Zustand unserer natürlichen Umwelt", sagt IPBES-Chef Robert Watson.
Watson warnt davor, diese drei Bedrohungen isoliert zu betrachten: "Jede einzelne verdient höchste Priorität und allen muss gemeinsam begegnet werden." Es sei überdies teurer, mit Gegenmaßnahmen zu warten, als sofort entschlossen zu handeln.
Eine Maßnahme könnte darin bestehen, mehr Schutzgebiete zu schaffen und bereits zerstörte Gebiete wiederherzustellen. "Perverse Anreize" zur Bodendegradierung müssten gestrichen und positive Anreize, die ein nachhaltiges Landmanagement belohnen, gefördert werden, verlangen die Wissenschaftler. Der Bericht weist darauf hin, dass die Vorteile einer Bodenwiederherstellung im Schnitt um das Zehnfache über ihren Kosten liegen. Für Regionen wie Asien und Afrika seien die Kosten der Untätigkeit dreimal so hoch wie die Kosten für eine Bodenrestauration.
"Wenn die Landdegradierung richtig bekämpft wird, kann dies das Leben von Millionen Menschen auf dem gesamten Planeten verändern", sagt Watson. "Aber es wird schwieriger und teurer, je länger wir mit dem Handeln warten." Der Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, Achim Steiner, weist darauf hin, dass der Kampf gegen die Landdegradierung sogar jährlich einen wirtschaftlichen Nutzen von 1,4 Billionen US-Dollar erbringen könnte.