Im Deutschen gibt es das schöne Wort "wetterfühlig". Gemeinhin beschreibt es Menschen, die besonders empfindlich auf sich schnell wandelnde Temperatur- und Luftdruckverhältnisse reagieren.
Bei dem im April nicht nur redensartlich wechselhaften Wetter klagen viele über Symptome wie Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Kreislaufprobleme.
Extreme Temperaturschwankungen können aber auch "schwerwiegende und irreversible Folgen" für Tiere und Pflanzen, die Luftqualität oder die Infrastruktur haben, wie die Autor:innen einer jüngst im Wissenschaftsmagazin Nature Communications erschienenen Studie betonen.
Gleichzeitig sei der Wechsel von warmen zu kalten Wetterverhältnissen oder umgekehrt bisher nur wenig verstanden. Das betrifft sowohl die zugrunde liegenden Prozesse als auch ihr Verhältnis zum Klimawandel.
Diese Wissenslücke gebe angesichts der hohen Anfälligkeit von Menschen, Tieren und Pflanzen für plötzliche Temperatursprünge Anlass zur Sorge, schreibt die chinesische und US-amerikanische Forschungsgruppe.
Die Wissenschaftler:innen fanden heraus, dass Temperaturschwankungen in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben und bei fortschreitender Erderwärmung immer häufiger werden. Dazu werteten sie Daten der Jahre 1961 bis 2023 aus und erstellten mit Klimamodellen Prognosen bis Ende des Jahrhunderts.
In 60 Prozent aller Weltregionen kam es seit 1961 zu mehr und größeren Temperatursprüngen. Gleichzeitig vollzogen sich diese Sprünge immer schneller.
Die Aufteilung des Globus in 33 klimatologisch konsistente Weltregionen stammt vom Weltklimarat IPCC und soll die Erfassung von Klimaveränderungen auf subkontinentaler Ebene ermöglichen. Europa gliedert sich dabei zum Beispiel in Nordeuropa, West- und Mitteleuropa, Osteuropa sowie die Mittelmeerregion.
Vor allem die mittleren Breiten sind von den abrupten Schwankungen betroffen. Das Klima der mittleren Breiten ist zeitweise von kalten Luftmassen aus der Polarregion und dann wieder von warmen Luftmassen aus den Tropen geprägt.
Temperatursprünge werden häufiger, heftiger und schneller
Der Druckunterschied zwischen kalten Polargebieten und warmen Tropen sorgt für ständige Luftbewegung von niedrigen zu höheren Breiten. Diese Luftströmungen werden durch die Erdrotation abgelenkt, wodurch die ständigen und erdumspannenden Höhenwinde, die Jetstreams, entstehen.
Durch ein komplexes Zusammenspiel diverser Faktoren wie Druckunterschiede, Erdrotation und unterschiedliche Topografie mäandern diese Winde mal stärker, mal schwächer. Diese Mäander bringen abwechselnd Kalt- und Warmluftmassen in die gemäßigten Breiten.
Das dadurch dynamische Wettergeschehen ist anfälliger für schnelle Änderungen als die Tropen oder Pole.

Auch wenn die genauen Ursachen noch nicht genügend verstanden seien, zeigten die Ergebnisse deutlich, dass extreme Temperaturschwankungen häufiger, intensiver und schneller auftreten, sagte Wei Zhang, Klimawissenschaftler an der Utah State University und einer der Hauptautoren der Studie.
Wenn hohe Temperaturen abrupt absinken, liegt laut der Studie in der Regel eine hohe Luftfeuchtigkeit und Wolkenbedeckung vor. Beides reduziert die direkte Sonneneinstrahlung und könnte dadurch eine Abkühlung zusätzlich zu Strömungsmustern begünstigen.
Beim Sprung von niedrigen zu hohen Temperaturen herrschen gegensätzliche Bedingungen.
Auch in einigen Regionen der Tropen werden Temperatursprünge häufiger. Die Wissenschaftler:innen machen dafür unter anderem ausgetrocknete Böden und Entwaldung verantwortlich. Beides begünstigt oberflächennahen Luftaustausch und fördert so ein dynamischeres Wettergeschehen.
Die Häufigkeit von extremen Temperaturschwankungen nimmt laut der Analyse in einem Szenario mit weiter hohen Treibhausgasemissionen bis 2100 deutlich zu und weitet sich auf die meisten Weltregionen aus. Sprünge von hohen zu niedrigen Temperaturen werden um rund acht Prozent häufiger, von niedrigen zu hohen Temperaturen um rund sieben Prozent.
Beide Zahlen sind mit großen Unsicherheiten verbunden und könnten auch deutlich höher oder niedriger liegen, geben die Forschenden zu bedenken.
Während im Jahr 2000 rund 16 Milliarden Mal Menschen unter diesen extremen Schwankungen gelitten haben, könnte sich diese Zahl auf bis zu 35 Milliarden Fälle im Jahr 2100 knapp verdoppeln. Besonders stark wächst das Risiko in Ländern mit niedrigen Einkommen.
Temperatursturz um mehr als 20 Grad an einem Tag
Bei einem Szenario im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen würde sich die Zahl nur um etwas über 20 Prozent erhöhen.
Wie zerstörerisch diese wissenschaftlich kaum beschriebenen Extremereignisse sind, zeigt ein Blick auf die letzten Jahre. Im September 2020 folgte auf eine Hitzewelle in den Rocky Mountains starker Schneefall. Die Temperatur fiel innerhalb von nur einem Tag um mehr als 20 Grad. Der Kälteeinbruch zog Stromausfälle und starke Ernteverluste nach sich.
Auch in Europa kam es in den letzten Jahren im Frühjahr immer häufiger nach sommerlichen Temperaturen zu plötzlichem Spätfrost. Pflanzen, die durch die hohen Temperaturen bereits ausgetrieben waren, erlitten Frostschäden. An diese Entwicklung können sie sich kaum anpassen.
Während die Vegetation der gemäßigten Breiten gut mit winterlichen Minustemperaturen umgehen kann, gilt das nicht mehr, sobald die ersten Blätter und Blüten sprießen. Diese Pflanzenteile enthalten viel Wasser. Wenn das Wasser kristallisiert, werden dadurch Zellen zerstört.
60 Millionen Euro Schäden für die Landwirtschaft und 260 Millionen Euro Gesamtschäden, kostete ein derartiges Ereignis im letzten Jahr Österreich, wie die Österreichische Hagelversicherung meldete und die Tageszeitung Der Standard berichtete.
Auch in Deutschland nehmen die "durch im Frühling auftretende Fröste" verursachten Schäden zu, zeigte eine Analyse des Deutschen Wetterdienstes DWD von 2023.
Die Autor:innen der Studie sprechen auch eine Reihe von Empfehlungen aus, um mit Temperatursprüngen besser klarzukommen. So sollten Menschen bei Hitzewellen Zugang zu kühlen Räumen bekommen. Die Verfügbarkeit von Wettervorhersagen sei weltweit zu verbessern und die Widerstandsfähigkeit von Stromversorgungssystemen zu stärken.
Das alles sei noch sehr neu, sagte Wei Zhang. "Wir hatten noch nicht genug Zeit, um die Folgen wirklich zu bewerten."