Hartmut Graßl. (Foto: MPI-M)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Hartmut Graßl, Physiker und Meteorologe.

Klimareporter°: Herr Graßl, auf der Weltumweltversammlung in Nairobi hat die Schweiz einen Antrag gestellt, dass das UN-Umweltprogramm Unep die Chancen und Risiken von Geoengineering untersuchen lassen soll. Das wurde abgelehnt. Spielt Geoengineering eine zu geringe Rolle in der Klimadebatte?

Hartmut Graßl: Aus meiner Sicht spielt das Thema Geoengineering oder Climate Engineering eine zu große Rolle in der öffentlichen Debatte. Denn die Klimaforschung zeigt doch, dass das Verständnis des Erdsystems wegen dessen hoher Komplexität relativ langsam vorankommt. Jetzt, wo wir den zusätzlichen, von uns stammenden Treibhauseffekt einigermaßen einschätzen können, würden wir durch Geoengineering zusätzliche Komplexität einbringen.

Ich gebe ein Beispiel. Die Erhöhung der Kohlenstoffaufnahme in den Ozean – er nimmt gegenwärtig nur etwa ein Viertel unserer CO2-Emissionen auf – durch die Einbringung von durch Phytoplankton verwertbaren Eisenverbindungen im Südlichen Ozean lässt auch die dort nicht als Dünger genutzten Stickstoffverbindungen schrumpfen. Damit wird die Verteilung des Phytoplanktons und folglich der Fischpopulationen geändert.

Meinen Sie, dass dies von den Anrainerstaaten wie Argentinien nicht als potenzielle Bedrohung gesehen wird? Also wird es keine völkerrechtlich verbindliche Absprache geben. Seien wir froh, dass es das Paris-Abkommen gibt, und folgen wir ihm durch entsprechende Klimapolitik. 

Als der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen das Einbringen von Schwefeldioxid in die Stratosphäre als potenzielles Kühlmittel gegen die globale Erwärmung vorschlagen wollte, hat er mich gefragt, ob er das veröffentlichen sollte, hauptsächlich um eine Forschung zum erhöhten Verständnis anzuregen. Ich antwortete mit ja.

Heute wissen wir, dass dadurch zusätzliche regionale Klimaänderungs-Muster hervorgerufen werden und dass es bei Beendigung der Manipulation einen sehr raschen Erwärmungsschub geben würde. Schon damals nannte ich Geoengineering Manipulation bei Halbwissen.

Eine Studie hat ein neues Kippelement im Klimasystem gefunden: Niedrige Wolken könnten sich ab einer bestimmten CO2-Konzentration auflösen und so zu einer noch stärkeren Klimaerwärmung führen. Für wie gefährlich halten Sie den Mechanismus?

Jedem Klimatologen ist klar, dass optisch dicke, also helle Wasserwolken, wie Stratocumuli, Sonnenenergie stark zurückstreuen. Befinden sich diese Wolken nahe der Erdoberfläche, dann emittieren sie auch Wärmestrahlung, aber kaum mehr als die nur etwas wärmere Erdoberfläche. Tief liegende helle Wolken sind also Kühlelemente im Erdsystem.

Die angesprochene Studie behauptet, dass bei extrem hohem Kohlendioxidgehalt – fünfmal höher als gegenwärtig – diese Wolken zum Teil verschwinden und einen Erwärmungsschub verursachen. Wie immer in der Wissenschaft müssen andere nach Fehlern suchen oder das Ergebnis bestätigen, bevor der natürlich vorhandene Skeptizismus in der Wissenschaft schwindet.

Wegen der geringen Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis bei Existenz des Paris-Abkommens raubt mir dieser Befund den Schlaf nicht. Im Sinne der Vorsorge nehme ich es als weiteres Argument, das Paris-Abkommen zügig umzusetzen.

Am Mittwoch wurde das sogenannte Klimakabinett eingesetzt. Wird es dazu führen, dass die Regierung ihre Politik endlich an die Pariser Klimaschutzziele anpasst?

Ich hoffe das sehr. Als früherer Klimarat der Bayerischen Staatsregierung kenne ich interministerielle Arbeitsgruppen und ihre Fähigkeit, Klimaprogramme stärker voranzutreiben als einzelne Ministerien. Obwohl auch in Bayern das federführende Umweltministerium ein vergleichsweise schwaches Ministerium ist, hat diese Entscheidung des Ministerpräsidenten Stoiber bewirkt, dass das starke Wirtschaftsministerium auf Vorlagen des Umweltministeriums reagieren musste und nicht von vornherein den Ton angeben konnte.

Ich denke, dass die Konstruktion der Bundesregierung die Chance erhöht hat, dass wesentliche Teile des vorgelegten Klimaschutzgesetzes der Umweltministerin Schulze überleben können.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Auch bei zwei Dritteln elektrischem Strom aus erneuerbaren Energieträgern in Kalenderwoche elf ist die Stromversorgung mit dem vorhandenen Stromnetz kein Problem gewesen. Nach dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme hielt der Rekord aus Kalenderwoche zehn mit 65 Prozent nur eine Woche. Mit 67 Prozent gab es in der vergangenen Woche gleich wieder einen neuen Rekord. Damit erreichten die Erneuerbaren einen Anteil, wie sie ihn eigentlich erst 2030 haben sollen

Spitzenreiter waren die Windkraftanlagen mit 50 Prozent Beitrag zur Nettostromerzeugung, es folgten Biomasse mit knapp acht Prozent, Photovoltaik und Wasserkraft mit je fünf Prozent. Die "alten" Kraftwerke mussten sich mit zwölf Prozent (Atomkraft), zehn (Braunkohle) und fünf Prozent (Gas wie auch Steinkohle) begnügen.

Als Klimatologe freut es mich, dass Tiefdruckgebiete sogar im März zu so hoher Wertschöpfung für die Bürger beitragen.

Fragen: Friederike Meier

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