"Das Anthropozän beschreibt die Schuld des Menschen an den ökologischen Gefahren für die Erde", sagt Paul Crutzen. Palmölplantage auf der indonesischen Insel Java. (Foto: Achmad Rabin/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Herr Crutzen, im Jahr 2000 haben Sie vorgeschlagen, die heutige Erdepoche Anthropozän zu nennen. Was ist Ihr Fazit heute, 15 Jahre später?

Paul Crutzen: Ich habe Zweifel, ob wir schon bereit sind, das Anthropozän als geoökologischen Fakt anzuerkennen. Die Debatte findet meist nur unter Naturwissenschaftlern statt, in der Politik, auch bei den Sozial- und Geisteswissenschaftlern ist noch viel zu tun.

Was verstehen Sie unter Anthropozän?

Am Anfang fand der Begriff wenig Beachtung, obwohl er aktuell und schlüssig ist. Das änderte sich Ende des letzten Jahrzehnts, weil die Fakten bei den globalen Umweltgefahren nicht zu leugnen sind. Das Anthropozän beschreibt die Schuld des Menschen an den ökologischen Gefahren für die Erde. Das verlangt uns eine neue Qualität von Verantwortung ab. Aber für die meisten ist Anthropozän etwas Unbekanntes, Fremdes.

Warum greift die Politik, die ständig über die Herausforderungen der Globalisierung redet, diese Debatte nicht auf? Ist sie überfordert, nicht auf der Höhe der Zeit oder hat sie zu wenig Verbindung zur Wissenschaft?

Es ist eine Kombination von allem, das muss man leider sagen. Bei der UNO wurde das Anthropozän zwar aufgegriffen, aber nicht systematisch.

Was war für Sie der Auslöser für den Vorschlag? Der Klimawandel – und was noch?

Natürlich war es der Klimawandel, aber auch allgemein der Einfluss des Menschen auf die Umwelt. Mir geht es um das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren, die auf den Menschen zurückgehen. Darauf baut auch die Kommission von Johan Rockström zu den sogenannten planetarischen Grenzen auf. Bei Klimawandel, Stickstoffeintrag und Artensterben sind die Belastungsgrenzen überschritten.

Viele Fakten sind bekannt. Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen Wissen und Handeln?

Es stimmt, gerade beim Klimawandel wissen wir seit Langem genug. Die Kenntnisse haben sich verdichtet, dennoch steigen die Treibhausgase weiter an, die CO2-Emissionen haben sich in dieser Zeit mehr als verdoppelt. Der Gedanke vom Anthropozän fordert uns heraus, weil er so ernsthaft ist.

Im Dezember fand in Lima die jährliche UN-Klimakonferenz statt, zum 20. Mal.

Das Ergebnis war erneut unbefriedigend und blieb weit hinter dem Notwendigen zurück. Deutschland müsste eine Vorreiterrolle übernehmen, noch besser die Europäische Union. Das wäre gut, Europa könnte stolz darauf sein. Stattdessen nimmt der Widerstand gegen Klimaschutz zu – durch Trägheit, Ignoranz und natürlich durch wirtschaftliche Interessen.

Gibt es Versäumnisse der Wissenschaft? Was muss sie tun, um mehr in die Gesellschaft hineinzuwirken?

Zur Person

Der Atmosphären­forscher Paul J. Crutzen war Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie. 1995 erhielt er den Chemie-Nobelpreis.

Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit zwischen Natur- und Sozialwissenschaften. Die Sozialwissenschaft muss sich für naturwissenschaftliche Fragen stärker öffnen und auch umgekehrt. Wenn die Ökonomie dominiert und das Bevölkerungswachstum als Bedrohung mit den anderen Problemen in einen Topf geworfen wird, kommen wir nicht voran.

Dabei kann die Ökologie zum Schlüssel für die Lösung vieler Probleme werden. Sie erfordert nämlich längerfristig zu denken, Kreisläufe aufzubauen, ein Gleichgewicht zu schaffen. Ökologie bedeutet, verantwortungsvoll mit der Erde umgehen. Es wäre gut, wenn die Wissenschaft ihre Kompetenz für eine ökologische Gesellschaftsordnung einsetzt.

Was halten Sie von technischen Lösungen wie CCS oder Fracking?

Das ist wieder eine Sache, bei der der Mensch das tut, was er nicht machen sollte. Für einen kurzzeitigen Vorteil werden die Probleme letztlich verstärkt. Wenn dann noch der Ölpreis sinkt, sind alle erst mal beruhigt. Unverbesserlich und falsch.