Fleisch
Fleisch und Wurst sind Kulturgüter. Das bedeutet aber nicht, dass wir sie weiter in Massen konsumieren können. (Foto: Andreas Lischka/​Pixabay)

Das Sommerloch ist vorbei. Das merkt man nicht nur daran, dass es wieder so etwas wie Windgipfel und Bundestagssitzungen gibt, sondern auch an den Pfefferkuchen in den Supermarktregalen. Ehe man sich's versieht, rennt der Advent rapide auf Weihnachten zu.

Beinahe habe ich den herrlich würzigen Duft in der Nase, der mir jedes Jahr zu Heiligabend aus der Küche entgegenströmt, sobald ich den Schlüssel zum Haus meiner Eltern herumdrehe. Und den schrillen Klang des Küchenweckers im Ohr, der sich alle halbe Stunde in die Weihnachtsmusik mischt.

Dann legt mein Vater schnell beiseite, was er gerade in der Hand hält, läuft in die Küche zum Backofen und übergießt die Gans mit Bratensaft. Etliche Stunden geht das so, am nächsten Vormittag noch mal. Bei wenig Hitze schmort der Vogel vor sich hin. Das Ergebnis muss man kaum schneiden, so zart und saftig ist es. Und wenn dann am ersten Feiertag alle um den großen Tisch sitzen, guckt meine Oma, die dem Kochen noch nie Vergnügen abgewinnen konnte, ihren Sohn bewundernd an und sagt: "Mensch, wo du kochen gelernt hast, will ich wissen."

Ich kann es also gut nachvollziehen, was unser Kolumnist Georg Etscheit letzte Woche hier auf Klimareporter° geschrieben hat. Essen ist Kulturgut und hierzulande heißt das feier- und alltags meistens: Fleisch mit irgendwas. Aber was folgt daraus? Etwa Etscheits Plädoyer für das Erbarmen mit der Thüringer Rostbratwurst?

Sicher nicht. Erstens fordert überhaupt niemand ein absolutes Verbot, das die komplette Aufgabe unserer karnivoren Kultur bedeuten würde. Zumindest nicht aus Klimaschutzgründen. Der Weihnachtsbraten, das halbjährliche Steak, das Würstchen zum jährlichen Angrillen stehen nicht wirklich in der politischen Debatte. Der tägliche Bierschinken natürlich sehr wohl. Ist der nun als Kulturgut schützenswert?

Das Problem ist doch: Wir als Welt müssen uns von Kulturgütern verabschieden. So oder so.

Entweder können wir uns vor allem hier im globalen Norden darauf einigen, dass wir die meisten unserer Gepflogenheiten verändern oder drastisch zurückfahren, damit die katastrophalen Auswüchse der Klimakrise aufgehalten werden.

Oder wir verlieren zwangsläufig jede Menge Kultur und auch Natur, besonders im globalen Süden. Und dann richtig. Mit manchen Pazifikinseln beispielsweise drohen ganze Bauweisen, Landschaften, vielleicht sogar Sprachen unterzugehen. Holla, die Rostbratwurst!

Bloß kein Verzicht?

Nebenbei bemerkt ist das mit unserem Reiseverhalten ähnlich. Als 52 Staaten 1944 das Chicagoer Abkommen verabschiedeten, nach dem Fluggesellschaften bis heute steuerlich privilegiert sind, wollten sie die Wirtschaft ankurbeln – und die Verständigung zwischen den Menschen auf der Welt. Das hat sicher Früchte getragen. Reisen bildet, konfrontiert einen mit neuen Eindrücken und Perspektiven. Eigentlich eine tolle Sache.

Auch dieses Kulturgut leisten wir uns im Norden Tag für Tag auf Kosten des stabilen Weltklimas – während der allergrößte Teil der Menschheit überhaupt noch nie in einem Flugzeug gesessen hat. Es wäre ungerecht und zynisch, weiter so zu leben und zu wirtschaften, wie wir es lange genug getan haben. Trotzdem hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass Flugreisen und Bouletten Teil unserer Kultur sind. Sich davon zu verabschieden, kann weh tun.

Oft heißt es: Bloß nicht von Verzicht reden, wenn es um Klimaschutz geht. Lieber an die positiven Seiten denken. Zug fahren statt fliegen ist dann keine Zeitverschwendung, sondern Entschleunigung.

So ein kommunikativer Dreh kann helfen – aber wir laufen Gefahr, in Geschmacksfragen abzudriften. Manchen macht Bali schlicht und einfach mehr Spaß als Ostseezelten, Shoppen mehr als Tauschparty, Eisbein mehr als Gemüse-Curry.

Politische Entscheidungen statt Lebensstil-Kleinklein

Ihnen einzureden, dass sie damit Unrecht haben, dürfte zu Unmut und Trotz führen. Dabei sind Menschen durchaus bereit, ihre eigene Freiheit einzuschränken, wenn es gute Gründe dafür gibt.

Für Raucher ist es in Deutschland mittlerweile zur Normalität geworden, sich in Zügen oder Restaurants keine Zigarette mehr anzuzünden. Rauchverbote sind Einschnitte in die persönliche Freiheit, aber der Schutz anderer wiegt eben schwerer – egal ob Raucher das als Ärgernis wahrnehmen oder als willkommenen Anreiz für mehr Zeit im Freien.

So sollte das beim Klima auch sein. Wir brauchen politische Entscheidungen: Veränderte Agrarsubventionen zum Beispiel, eine Kerosinsteuer, Flugverbote oder -deckel, die Abschaffung von Privatautos in Großstädten und so weiter. Strukturelle Änderungen machen klimafreundliches Verhalten für alle zum einfachen Standard. Außerdem befreien sie uns von den leidigen Debatten um das persönliche Lebensstil-Kleinklein. 

Susanne Schwarz ist Redakteurin bei Klimareporter°.

Im Advent vor zwei Jahren habe ich übrigens zum ersten Mal ein veganes Festessen veranstaltet, auch wenn ich mich – full disclosure – sonst nicht vegan ernähre und manchmal sogar Fisch esse. Neben Klößen, Rosen- und Rotkohl gab es einen Braten.

Gemahlene Nüsse, rote Bohnen, karamellisierte Zwiebeln, ein klein wenig Räuchertofu und so einiges an Gewürzen ergeben eine weiche Masse, die sanft im Ofen gegart zu etwas wird, das optisch einem falschen Hasen ähnelt. Nach Fleisch schmeckt das Gericht nicht, das wäre bei der Zutatenliste auch erstaunlich, es ist aber herzhaft, winterlich und saftig. Dazu gab es eine Rotwein-Dattel-Sauce, die dem Ganzen eine wunderbar süßliche Note verlieh.

Auch meinem Vater hat das übrigens gut geschmeckt. Es mag natürlich hineingespielt haben, dass er zur Abwechslung einmal nicht vor lauter Erschöpfung nach zwei Tagen harter Küchenarbeit kaum drei Bissen seines eigenen Meisterwerks hinunterbekommen hat.

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