Die Ökosysteme unseres Planeten sind Meister der Abfallvermeidung. Von den mehreren hundert Millionen Tonnen Stickstoff, die Pflanzen, Algen und Bakterien jedes Jahr aufnehmen, entweichen dem Stoffkreislauf nur wenige Prozent – zum Beispiel in die Atmosphäre oder verschüttet unter Sedimenten.
Der Rest wird durch die Zersetzung von organischem Material durch Mikroorganismen und komplexe biochemische Prozesse immer wieder aufbereitet.
Ähnliche biologisch geprägte Kreisläufe lassen sich auch für andere essenzielle Elemente wie Phosphor oder Schwefel beschreiben. Um immer komplexere und energie- und ressourcenintensivere Ökosysteme und Lebensformen zu ermöglichen, war ein immer effizienteres Wiederaufbereiten von Nährstoffen notwendig – oder anders: ein nachhaltiger Umgang mit ihnen.
Während auch im Laufe der Menschheitsgeschichte der Energie- und Ressourcenverbrauch stets munter ansteigt, ist das mit der Nachhaltigkeit so eine Sache.
Die deutsche Volkswirtschaft allein verschlingt jedes Jahr deutlich mehr als eine Milliarde Tonnen an Primärrohstoffen. Das sind jene Rohstoffe, die direkt aus der Natur gewonnen werden, wie Metallerze, Rohholz oder Erdöl.
Nur 13 Prozent davon werden wieder aufbereitet und bekommen als sogenannte Sekundärrohstoffe ein zweites Leben.
Seit Jahrzehnten fordern Umweltverbände einen nachhaltigeren Ressourcenumgang, nicht nur über höhere Recyclingquoten, sondern auch durch langlebigere Produkte. Während das in einigen Branchen wie Bau oder auch Textilindustrie zwar technisch möglich, aber durchaus anspruchsvoll ist, liegt die Lösung in der Getränkebranche auf der Hand und heißt "Mehrweg".
Mehrweg-Anteil stagniert bei 40 Prozent
"Mehrweg ist der Schlüssel", verkündet am Dienstagvormittag Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe. Nicht nur Abfallvermeidung, auch ein geringerer Ressourcenverbrauch, Klimaschutz und eine Stärkung der regionalen Wirtschaft – all das sind für die Umweltorganisation Vorteile der Mehrwegsysteme.
Mit weiteren Vertreter:innen der "Mehrweg-Allianz" stellt Metz die gemeinsamen Forderungen an die kommende Bundesregierung vor. Das Bündnis aus Umwelt- und Branchenverbänden setzt sich für die Stärkung der deutschen Mehrwegsysteme ein.

Die neue Regierung müsse, so Metz, die im deutschen Verpackungsgesetz vorgesehene Zielquote von 70 Prozent für Mehrweg-Getränkeverpackungen verfolgen. Dieses Ziel aus dem Jahr 2019 und hätte eigentlich schon 2021 erreicht sein sollen.
Tatsächlich stagniert der Marktanteil von Mehrwegverpackungen jedoch seit einiger Zeit bei rund 43 Prozent. Damit schneidet Deutschland zwar im europäischen Vergleich noch relativ gut ab, konnte in der Vergangenheit aber auch schon viel höhere Quoten verzeichnen. Vor einigen Jahrzehnten habe die Quote gar bei 90 Prozent gelegen, erinnert Metz.
Derzeit feiert allerdings die Getränkedose ein Comeback, und Einweg-Plastikflaschen sind nach wie vor die häufigste Getränkeverpackung. Discounter wie Lidl und Aldi bieten gleich gar keine Mehrwegflaschen – in der Regel aus Glas oder PET-Kunststoff – an.
Jens Oldenburg von der Stiftung Initiative Mehrweg erläutert den Klimaschutzaspekt. Eine Einweg-Plastikflasche produziere über ihren gesamten Lebenszyklus doppelt so viel CO2 wie eine Mehrwegflasche.
Während Einweg-Plastikflaschen meist von großen, zentralen Getränkeproduzenten über weite Strecken transportiert werden, bedeute Mehrweg "fast immer regionale Produktion, regionale Arbeitsplätze und damit auch Klimaschutz", so Oldenburg.
Pfandflasche ist nicht gleich Mehrwegflasche
Eine Mehrwegflasche sei nicht nur durch ihre Langlebigkeit – Glasflaschen werden bis zu 50-mal wiederverwendet, PET-Flaschen bis zu 25-mal – ressourcenschonender als die Wegwerf-Alternativen, fügt der studierte Historiker hinzu. Mit 60 bis 83 Prozent könnten Mehrwegflaschen deutlich höhere Recyclingquoten vorweisen als Einweg-Plastikflaschen mit rund 48 Prozent.
Oldenburg sieht dabei nicht nur die Regierung, sondern auch die Konsument:innen in der Verantwortung. "Die kleinen Dinge, die jeder von uns ändern kann, zeigen sich beim Einkauf", sagt er. "Der Griff zur Mehrweg- oder Einwegflasche ist eine Entscheidung für oder gegen das Klima."
Doch dieser Griff findet im täglichen Supermarkt-Alltag wohl größtenteils unbewusst statt, wie eine Umfrage der Marktforschungsplattform Kantar Emnid belegt. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung weiß, dass Pfand nicht gleichbedeutend mit Mehrweg ist.
Um eine informierte Kaufentscheidung zu ermöglichen, fordert die Mehrweg-Allianz deshalb auch eine "zusätzliche Kennzeichnung direkt auf der Verpackung".
Neben mehr Transparenz strebt das Bündnis eine Lenkung über den Preis an. Mindestens 20 Cent zusätzlich zum Pfand solle die Bundesregierung auf sämtliche Einweg-Getränkeverpackungen erheben.
Mit dem Instrument gibt es bereits Erfahrung. Die Städte Tübingen und Konstanz haben jeweils eine kommunale Einwegsteuer eingeführt. Sie gilt zwar nur für die Verpackungen von "verzehrfertigen Speisen und Getränken", sprich Kaffee und Currywurst am Imbiss, ist dabei aber durchaus erfolgreich.
Die Zahl der Anbieter, die mit Mehrwegsystemen wie Recup arbeiten, erhöhte sich seit Einführung der Steuer in Konstanz um 60 Prozent und in Tübingen um 83 Prozent.
Die bundesweit mit einer solchen Abgabe erzielbaren Einnahmen könnten in die Förderung von Mehrwegsystemen fließen, argumentiert die Allianz.
Wein- und Milchflaschen werden kaum wiederverwendet
Zwischen den verschiedenen Getränketypen bestehen dabei große Unterschiede. So betont Roland Demleitner vom Verband Private Brauereien, dass die Bierbranche schon heute mit 80 Prozent Mehrweg die gesetzlichen Vorgaben übererfülle. Allerdings gewinnen auch beim Bier die Aluminiumdosen Jahr für Jahr Marktanteile hinzu.
Der Anteil von wiederverwendbaren Flaschen liegt bei Milch und Wein hingegen nur bei 1,5 beziehungsweise vier Prozent. Hier müssten spezifische Mehrwegquoten beschlossen werden, lautet eine weitere Forderung. Milch und Wein werden derzeit weder vom deutschen Verpackungsgesetz noch von der europäischen Verpackungsverordnung zur Nutzung von Mehrwegsystemen angehalten.
Gemeinsam mit ihren Forderungen an die Bundesregierung kündigte die Allianz eine neue Informationskampagne "Mehrweg ist Klimaschutz" an. Seit Dienstag informiert das Bündnis in mehr als 5.000 Getränkeläden über die unterschiedliche Klimabilanz von Mehrweg- und Einwegflaschen.
Im Rahmen eines Gewinnspiels können 15 Haushalte jeweils ein Jahr lang Freigetränke in Höhe von 1.000 Euro gewinnen – selbstredend in Mehrwegflaschen.
Ob die Lobeshymne auf die deutschen Mehrwegsysteme von der kommenden Regierung erhöht wird, bleibt abzuwarten. Im Koalitionsvertrag ist dazu wenig zu finden. Immerhin heißt es, dass Strategien zur Abfallvermeidung gestärkt werden sollen.
Wohl nicht ganz zufällig hatte die Mehrweg-Allianz die Vorstellung ihrer Forderungen am Tag der Kanzlerwahl im Bundestag anberaumt. Nachdem Friedrich Merz erst im zweiten Wahlgang die nötigen Stimmen erhielt, lässt sich nur hoffen, dass die Führungsriege der schwarz-roten Koalition ihren Frustkaffee aus Mehrwegbechern trinkt.