Sich kreuzende Bahngleise
Mit wegweisenden Entscheidungen und klimafreundlichen Weichenstellungen hat sich die Deutsche Bahn bisher nicht vorgetan. (Foto: Priwo/Wikimedia Commons)

Es braucht nicht die Taten eines Superhelden, der entwurzelte Bäume wieder hinstellt oder Eisbären von Eisschollen rettet, um ein Klimaretter zu sein. Es reicht schlicht und einfach, mit der Deutschen Bahn zu fahren. So suggeriert es zumindest ein Werbefilm des staatlichen Eisenbahnkonzerns. Das Motto: "100 Prozent Ökostrom – keine CO2-Emissionen." Wir haben es also geschafft? Energie- und Verkehrswende sind gelungen und die Erderwärmung ist gestoppt? Wäre ein Supergefühl.

Genau das will die Bahn wohl mit ihrer Kampagne erzeugen. Es reicht, ein Ticket zu lösen. Leider ist es nicht ganz so. Die 100 Prozent Ökostrom beziehen sich lediglich auf den Fernverkehr. Und gemeint ist damit nur: Die Bahn verspricht, dass sie genau so viel elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen einkauft, wie sie im Fernverkehr verbraucht. Daneben gibt es noch Regional- und Nahverkehr. Unter dem Strich will der Schienengigant in diesem Jahr die Hälfte seines Fahrstroms, der die Züge bewegt, mit grüner Elektrizität betreiben – nachdem es in den letzten beiden Jahren nur 42 Prozent waren.

Die DB erklärt sich selbst in einem Positionspapier zum "Umweltvorreiter", will den Anteil der Erneuerbaren ausbauen: 70 Prozent sollen es 2030 sein und die 100 Prozent sollen 2050 erreicht werden. Doch die Bahn hat eigentlich beinahe ideale Bedingungen, um noch deutlich schneller zu sein, um der Verkehrswende, die nicht so recht in Gang kommen will, einen Schub zu geben. Schließlich ist sie einer der größten Stromkunden Deutschlands. Laut einem Bahnsprecher werden allein gut neun Milliarden Kilowattstunden benötigt, um Züge ins Rollen zu bringen.

Hinzu kommen 17,5 Milliarden Kilowattstunden für den Betrieb der Bahnhöfe und tausender anderer Betriebsstätten. Die Bahn gehört dem Staat, sie verfügt über ein eigenes Stromnetz, und vor allem ist sie Pionier in der Elektromobilität – damit werden gut 90 Prozent der gesamten Verkehrsleistung erbracht. Wie wäre es, einfach eigene Solar- und Windkraftanlagen zu betreiben, um sich komplett mit selbst gemachtem Strom zu versorgen?

Dass das theoretisch möglich ist, wurde schon 2011 in einer Studie im Auftrag von Greenpeace durchgespielt: Es braucht dafür vor allem Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 10.000 Megawatt plus flexible Erzeugungsanlagen, die bei Flaute für Strom sorgen.

Ökostrom zweiter und dritter Klasse

Aber: "Energieproduktion gehört nicht zu unserem Kerngeschäft. Deswegen fließen unsere begrenzten Investitionsmittel auch nicht in den Bau neuer Windräder oder Wasserkraftwerke, sondern in die Verbesserung unserer Mobilitäts- und Logistikangebote", sagt ein Bahnsprecher. Der Schienenkonzern kauft Energie en gros ein. Zur Vergrünung des Bahnstroms habe man "die zwei größten Wasserverträge in Deutschland mit RWE und Eon geschlossen", so der DB-Sprecher. "Die Verträge laufen noch bis weit in das nächste Jahrzehnt."

Darüber hinaus werde Erneuerbaren-Strom an den Handelsmärkten zugekauft. Die Grünstrom-Eigenschaft werde über sogenannte Herkunftsnachweise geprüft. Es handelt es sich also nicht um Strom, der schon über das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert wird.

50 Prozent Erneuerbare, das heißt auch, dass die übrigen 50 Prozent über langfristige Verträge mit Betreibern von Atom-, Gas- und Kohlekraftwerken abgedeckt werden. Auch aus diesem Grund hält Dominik Seebach vom Freiburger Öko-Institut die Werbung mit dem klimaneutralen Bahnfahren für sehr bedenklich. "Da wird dem Fahrgast suggeriert, er könne auf Fernstrecken so viel mit der Bahn fahren wie er will, es sei immer klimaneutral."

Dabei werde vergessen, dass die null Emissionen im Fernverkehr nur ein rechnerischer Wert seien. Um ICE-Züge zu bewegen, werde real durch das zeitgleiche Zusammenspiel von Erzeugung und Verbrauch natürlich ständig CO2 in die Luft geblasen, da die Fernzüge immer mit einem Strommix versorgt würden.

Kohlenachschub für die Bahn

Wie lange die Lieferverträge mit den konventionellen Erzeugern noch laufen, will der Bahnsprecher nicht verraten. Klar ist aber: Am Jahresende soll das riesige Kohlekraftwerk Datteln 4 hinzukommen, das vor allem für die Versorgung der Bahn gebaut wurde. Schließlich gibt es dort "die weltweit leistungsstärkste Bahnstromumrichteranlage", so der Betreiber Uniper, der einst zu Eon gehörte. Datteln 4 kann bis zu 413 Megawatt ins Bahnstromnetz pumpen und damit einen Großteil des Energiebedarfs der DB-Züge für viele Jahre decken.

Das zeigt: Einen Kohleausstieg wird es bei der Bahn so schnell nicht geben. Unverständlich angesichts der Klimadebatte finden das Umweltschützer und ökologisch orientierte Verkehrsverbände, die der Bahn immer wieder vorwerfen, bei den Erneuerbaren hinter ihren Möglichkeiten zu bleiben.

Anderswo ist man jedenfalls experimentierfreudiger. So will der französische Alstom-Konzern demnächst 14 Züge mit Brennstoffzellen-Antrieb im Werk Salzgitter bauen, sie sollen für die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen ab Dezember 2021 Reisende zwischen Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude befördern.

Auch im Brandenburgischen, nördlich von Berlin, könnten die Alstom-Züge namens Coradia I-Lint demnächst rollen – sofern Fördermittel von Land und Bund fließen. Der Clou: Die auch bei Berlinern beliebte "Heidekrautbahn" soll mit grünem Wasserstoff durch die Landkreise Barnim und Oberhavel rollen. Dafür hat sich der örtliche Versorger, die Barnimer Energiegesellschaft, mit der Firma Enertrag, einem Pionier der Windbranche, zusammengetan.

Enertrag setzt massiv auf die Erzeugung von Wasserstoff, der mittels Windstrom im Elektrolyse-Verfahren gewonnen wird. Der Schienenverkehr habe dringlichen Aufholbedarf beim Einsatz erneuerbarer Energie, sagt Vorstandschef Jörg Müller. "Ich bin zuversichtlich, dass dieses Projekt eine hohe Signalwirkung haben wird." Für die nicht elektrifizierten Bahnstrecken sei Wasserstoff der perfekte Treibstoff, so der Enertrag-Chef. Er soll Diesel ersetzen.

Sonne am Zug

Allerdings hat die Brennstoffzelle einen großen Nachteil: Bei den verschiedenen Umwandlungsschritten geht viel Energie verloren. Deshalb braucht ein Brennstoffzellenantrieb das Zwei- bis Dreifache an Strom, verglichen mit einem elektrischen Direktantrieb. Eine zumindest theoretische Alternative ist der Zug, der seine Energie selbst erzeugt, nämlich mit Solarpaneelen auf den Dächern der Waggons. Weltweit wird an technischen Lösungen gebastelt, allerdings bislang nur im eher kleineren Maßstab.

Ambitioniert ist das Vorhaben der staatlichen indischen Eisenbahn, bis 2020 insgesamt 1.000 Megawatt Solarkapazität auf Zügen zu installieren. Zunächst ging es darum, mit dem Sonnenstrom Innenbeleuchtung und Klimaanlagen zu betreiben. Seit Mitte vorigen Jahres fährt aber in der Nähe von Delhi ein Zug mit sechs Waggons, die eine Batterie aufladen, welche auch Fahrstrom für den Diesel-Elektro-Hybridantrieb liefert.

Ein Vorbild für Brandenburg oder Niedersachsen? "Nein", sagt ein Sprecher des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Die Ernte an Sonnenstrom falle hierzulande im Verhältnis zu den Aufwendungen für seine Erzeugung zu bescheiden aus. Der VDV macht sich hingegen ebenso wie Fahrgastverbände dafür stark, das Schienennetz möglichst schnell und möglichst komplett zu elektrifizieren, derzeit sind es nur rund 60 Prozent.

Das bringt nicht nur mehr Elektromobilität, sondern steigert die Effizienz des Schienensystems massiv – weil der Verkehr viel besser verteilt werden kann. "Die Zeit für eine Ausweitung der Elektrifizierung ist reif", sagt der VDV-Sprecher. Denn durch neue Technologien und Verfahren habe sich das Aufstellen der Masten und das Installieren der Oberleitungen in jüngster Zeit deutlich verbilligt.

Wenn auf den Trassen ohnehin gearbeitet werden muss, dann wäre es naheliegend, neben oder über den Gleisen oder an Lärmschutzwänden Solarmodule zu installieren. Auch hier gibt es international jede Menge Ideen und Pilotprojekte.

"Grüner Bahnhof" erst zweimal gebaut

Richtig geklotzt hat die belgische Bahngesellschaft Infrabel, die zusammen mit dem Projektierer Enfinity schon 2011 zwischen Antwerpen und der niederländischen Grenze eine Hochgeschwindigkeitsstrecke auf 3,4 Kilometern mit 16.000 Solarmodulen überdacht hat – was eine Gesamtfläche von rund acht Fußballfeldern ergibt. Der Solarpark über den Schienen kann rechnerisch übers Jahr Strom für 4.000 Züge erzeugen. Tatsächlich wird die Energie aber nicht nur in Bewegung umgesetzt, sondern auch für Bahninfrastruktur wie Stellwerke oder die Beleuchtung von Bahnhöfen genutzt.

Auch die DB macht in Photovoltaik, geht die Sache aber ganz anders an. "Nicht mehr für den Betrieb notwendige Flächen und Dächer sind von der Bahn systematisch auf die Eignung für den Aufbau von Solarmodulen untersucht worden", erläutert der Konzernsprecher. Die identifizierten Flächen seien Investoren angeboten worden. Bislang seien Solarstrom-Anlagen mit einer Gesamtnennleistung von 20 Megawatt auf DB-Flächen installiert. Immerhin.

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Daneben gibt es das Konzept des "grünen Bahnhofs". Allerdings ist es bislang nur zweimal in die Tat umgesetzt worden: in Horrem (Nordrhein-Westfalen) und in Wittenberg (Sachsen-Anhalt). Mit Photovoltaik und Solarthermie (fürs Brauchwasser) auf dem Dach und Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen.

Auf den Jahresendenergiebedarf gerechnet ergibt das einen CO2-neutralen Betrieb. Im Off-Kommentar eines Youtube-Clips der Bahn über Horrem ist die Rede von einem "großartigen Beispiel für den zukunftsweisenden Mobilitätsgedanken mit modernstem ökologischen Standard".

Mit 100 Prozent Windkraft unterwegs

Was die Versorgung der Züge mit Elektrizität betrifft, ist der modernste Öko-Standard bereits in den Niederlanden von der staatlichen Eisenbahngesellschaft realisiert worden. Dort kommt der Fahrstrom seit Anfang vorigen Jahres vollständig aus Onshore- und Offshore-Windkraft. Allerdings hat das Land aufgrund seiner Geografie auch ideale Bedingungen – und das Streckennetz in Deutschland ist zwölfmal so lang.

Dennoch kann sich die Bahn bei den Nachbarn etwas abgucken, findet Seebach vom Öko-Institut. "Mit Stromlieferanten werden langfristige Verträge abgeschlossen." Darin gebe es Abnahmegarantien auch für Windräder, die noch gar nicht errichtet sind. "Solche Konzepte könnten auch hierzulande Investitionssicherheit bringen und damit den Ausbau der Erneuerbaren forcieren – und zwar zusätzlich zu den Neuanlagen, die über das EEG finanziert werden."

Ökologisch entscheidend sei ein Beitrag zum weiteren Ausbau der Erneuerbaren. Seebach räumt allerdings auch ein: "Berechnet man die Vollkosten für den Windstrom und die bedarfsgerechte Versorgung der Züge, müssten bei hohen Anteilen von Erneuerbaren Erhöhungen der Ticketpreise durch andere politische Vorteile vermieden werden, um das Bahnfahren im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern für die Reisenden nicht unattraktiv zu machen." Auch die Greenpeace-Studie hatte seinerzeit erhebliche Kostensteigerungen prognostiziert.

Atom- und Kohlestrom sind nach wie vor besonders für einen Großkunden wie die Bahn sehr billig zu bekommen, gibt der Experte des Öko-Instituts zu bedenken. Und bei einem hohen Anteil von Erneuerbaren brauche es zusätzlich noch "Flexibilitäten", etwa Gaskraftwerke, die einspringen, wenn der Wind nicht weht. Dabei muss man einkalkulieren, dass Kosten und Fahrkartentarife bei der Bahn ein politisch höchst sensibles Thema sind.

Natürlich gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma. Seebach schlägt vor, die Steuerlasten der Bahn zu reduzieren, um die Ticketpreise stabil zu halten und Kunden nicht zu vergrämen. Das alles zeigt, so einfach ist es doch nicht, ein Klimaretter zu sein. Aber die Mitglieder der neuen Bundesregierung halten alle Hebel in der Hand – die Bahn gehört dem Bund.

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