Sich drehendes Windrad
Windräder könnten bislang unbeachtete Auswirkungen auf die Tiere in ihrer Umgebung haben, legt eine indische Studie nahe. (Foto: Herbert Aust/​Pixabay)

Recht plötzlich waren die Eidechsen da und sie waren viele. In einer Region in den indischen Westghats gibt es deutlich mehr von den kleinen Reptilien als in Vergleichsgebieten.

Das hat einen Grund, meint ein indisches Forscherteam um die Biologin Maria Thaker, das seine Studie am Montag im Fachmagazin Nature Ecology and Evolution veröffentlicht hat. Und der liege in dem Windpark, um den herum die Eidechsen leben. Die Wissenschaftler haben das Gebiet mit windradlosen Regionen der Umgebung verglichen.

Die Forscher interpretieren das so: Wegen des Windparks in ihrem Lebensraum meiden Raubvögel das Gebiet oder sterben gar durch die Rotoren, die verbleibenden Tiere jagen weniger intensiv. Die Eidechsen, ihre Beutetiere, breiten sich aus.

Die Forscher stellten auch fest, dass die Eidechsen an dem Windpark sich von anderen unterscheiden. Die Tiere zeigten bei der Untersuchung beispielsweise eine geringer ausgeprägte Fluchtreaktion, dafür aber stärkere Konkurrenz zu ihren vielen Artgenossen.

Das sind Folgen der Windkraft, wenn auch nicht zwangsläufig negative – und nicht zwangsläufig auf andere Gebiete übertragbare. Für Frauke Ecke von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften sind die Ergebnisse nicht besonders überraschend. "Das Ergebnis, dass weniger Raubvögel zu mehr Beutetieren führen, ist keine Neuigkeit", sagt sie. Neu sei aber, dass die Beutetiere auch ihr Verhalten und ihre Physiologie geändert hätten.

Ergebnisse eingeschränkt übertragbar

Als Schwachstelle der Studie sieht die Ökologin, dass nur ein einziger Windpark untersucht wurde, was das Verallgemeinern erschwere. Die deutsche "Eidechse" könnte Ecke zufolge zum Beispiel die Wühlmaus sein, die bekannt dafür sei, sich auszubreiten, wenn Fressfeinde ausbleiben. Wühlmäuse hätten allerdings von vornherein mit unterschiedlichen Jägern zu kämpfen. Würden einige Raubvögel die Windpark-Regionen meiden, wären immer noch Füchse und Hermeline da – und würden den Effekt möglicherweise in Grenzen halten.

Außerdem stelle sich die Frage, ob wirklich der Windpark die Ursache für die selteneren Raubvögel sei, meint Ecke. "Oder tragen eventuelle Umweltgifte – zum Beispiel Blei, wie es hier in Schweden zur Elchjagd eingesetzt wird – zu einem herabgesetzten Reaktionsvermögen der Raubvögel bei, sodass die Vögel verstärkt Gefahr laufen, mit Windrädern zu kollidieren?"

Auch Reinhard Klenke vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung vermisst Informationen über mögliche andere Faktoren, deren Einfluss auf die indischen Eidechsen in den untersuchten Gebieten unterschiedlich und deshalb von Bedeutung gewesen sein könnte. Klenke nennt etwa die Sonnenausrichtung, den Temperaturverlauf und den Niederschlag.

"Die Dichte der Eidechsenpopulation könnte davon beeinflusst sein, und davon könnte wiederum die Attraktivität der Flächen für die Greifvögel abhängen", sagt Klenke. "In dem Fall wäre die Interpretation genau gegensätzlich zu der in der Studie." 

Aber auch Klenke findet die Ergebnisse aus Indien im Grunde erwartbar. Er wünscht sich, dass mehr zu dem Thema geforscht wird, damit Umweltverträglichkeitsprüfungen mit neuem Wissen gefüttert werden können.

Windkraft oder Klimawandel?

Häufig argumentieren mit dem Artenschutz allerdings nicht die, die nur die Standortsuche für Windräder verbessern wollen, sondern die Gegner jeglichen Windkraftausbaus. Besonders der Schutz der Vögel hat es ihnen angetan, landen die doch tatsächlich regelmäßig mit tödlichem Ausgang in Rotoren von Windrädern. Wie oft genau, ist allerdings umstritten.

Eine Schweizer Studie kam beispielsweise 2016 zu dem Ergebnis, dass der Bestand gefährdeter Vogelarten parallel zum Ausbau der Windenergie in Deutschland gewachsen sei. Die Zahl der Rotmilane hat demnach in anderthalb Jahrzehnten um 40 Prozent zugenommen. Ähnliches treffe auch für die Bestände von Schwarzstorch, Seeadler, Uhu und weiteren als "Windkraft-sensibel" geltenden Vogelarten zu, schreibt das Umweltbüro Kohle-Nusbaumer aus Lausanne, das die Untersuchung durchführte.

Bei der Bedrohung von Großvögeln durch Windanlagen handle es sich um ein "Scheinproblem", heißt es in dem Papier. Im Verhältnis zu anderen Todesursachen wie Stromtod oder Vergiftung sei die Gefahr einer tödlichen Kollision mit Windrädern "verschwindend gering". Stromschläge an Freileitungen führten 100-mal häufiger zum Tod der Tiere als die Windenergie. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen frühere Schätzungen in den USA und auch Untersuchungen in Deutschland.

Die Alternative zur Windkraft dürfte dem Artenschutz zudem noch deutlicher entgegenstehen: Jede sechste Art ist laut einer US-Studie vom Aussterben bedroht, falls keine zusätzlichen Anstrengungen gegen den Klimawandel unternommen werden. Laut der Analyse beschleunigt sich das Artensterben mit jedem weiteren Grad Erwärmung. Derzeit liege das Aussterberisiko bei 2,8 Prozent. Gelingt es, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, steige das Risiko auf 5,2 Prozent. Bei drei Grad Erwärmung betrage das Risiko bereits 8,5 Prozent, bei vier Grad 16 Prozent.

Anzeige