Windrad auf einer recht einfachen schwimmenden Dreieckskonstruktion im Meer, hinten ist verschwommen die portugiesische Küste zu erkennen.
Prototyp: Ein Offshore-Windrad mit zwei Megawatt Nennleistung schwimmt fünf Kilometer vor der Küste Portugals. (Foto: Untrakdrover/​Wikimedia Commons)

Seit zehn Jahren boomt die Windenergie auf See, mit jährlichen Wachstumsraten von 30 Prozent. Eine Auswertung der Internationalen Energieagentur IEA zählte im vergangenen Jahr weltweit 150 neue Projekte. Dennoch ist Offshore-Windkraft nach wie vor ein Zwerg. Nicht einmal ein halbes Prozent der globalen Stromerzeugung steuert sie bislang bei.

"Dabei ist das Potenzial gigantisch", sagt IEA-Chef Fatih Birol. Nach den Schätzungen seiner Organisation könnten Windräder im Meer über 420.000 Terawattstunden jährlich liefern, also 420 Billionen Kilowattstunden. Das ist 18-mal mehr als der gesamte heutige Stromverbrauch.

So, wie derzeit Öl- und Gasplattformen fossile Energien aus dem Meeresboden pumpen, könnten in Zukunft Meereswindparks für sauberen Strom sorgen. Theoretisch wäre damit das Energieproblem der Menschheit gelöst.

Allerdings sind diesem Szenario bislang enge Grenzen gesetzt. Denn die heutige Offshore-Technologie funktioniert nur in relativ flachen Gewässern. Die Wassertiefe darf höchstens 50 bis 60 Meter betragen, damit man die Windkraftanlagen mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand im Meeresboden verankern kann. Allein dadurch ist die Anzahl geeigneter Meeresflächen limitiert – und damit die Stromausbeute.

Wie groß der Unterschied ist, zeigt eine Berechnung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien Irena für das Beispiel China. Bis 20 Meter Wassertiefe liegt das Potenzial für Offshore-Windenergie dort bei 500 Gigawatt, bei einer Tiefe zwischen 20 und 50 Metern bei 1.100 Gigawatt, doch zwischen 50 und 100 Metern sind es bereits 2.200 Gigawatt.

Eine Lösung wären schwimmende Windparks. Ihr Fundament muss nicht aufwendig im Meeresboden eingelassen werden. Die Windanlagen schwimmen an der Wasseroberfläche und brauchen lediglich eine Verankerung am Boden, mit der sie flexibel verbunden sind. Damit kommen auch tiefere Gewässer infrage.

Von einem Einsatz im großen Stil ist die Technik aber noch weit entfernt. Im Jahr 2009 entstand vor der Küste Schottlands eine erste Anlage. Weitere Projekte in überschaubarer Zahl und Größe folgten in Japan, Europa, Asien und den USA. Immerhin haben schon etliche Regierungen Ausbauziele beschlossen.

"Wir stehen noch am Anfang"

"Wir stehen noch ganz am Anfang einer neuen Technologie", sagt eine Sprecherin des Energiekonzerns EnBW gegenüber Klimareporter°. Das Unternehmen hat gerade ein Forschungsprojekt gestartet, um die neue Technik mit einem Modell namens "Nezzy 2" zu erproben. "Unser Ziel ist es, schwimmende Windkraftanlagen kommerziell wirtschaftlich betreiben zu können."

Das norddeutsche Ingenieurunternehmen Aerodyn Engineering, mit dem EnBW kooperiert, hat ein Vorgängerkonzept bereits vor zwei Jahren im Meer vor Japan getestet.

"Nezzy 2" besteht aus zwei Windturbinen, das Fundament hat die Form eines liegenden Y. Ein Modell im Maßstab eins zu 36 wurde bereits in einem künstlichen Wellenkanal getestet. Nun folgt ein Test mit einem Maßstab von eins zu zehn, zunächst in einem Baggersee bei Bremerhaven und ab dem Sommer für zweieinhalb Monate in der Ostsee, wo sich das 18 Meter hohe Modell bei Wind und Wellen beweisen soll.

Ab Ende 2021 will EnBW schließlich ein Modell im Maßstab eins zu eins vor der Küste Chinas ein Jahr lang erproben. "Erst wenn dieser Test erfolgreich abgeschlossen ist, wird sich zeigen, ob unser Modell den Anforderungen gewachsen ist", sagt die EnBW-Sprecherin. "Dann können wir uns gut vorstellen, diese Systeme auch für eigene Windparks in Zukunft einzusetzen."

Auch der dänische Offshore-Pionier und Weltmarktführer Ørsted verfolgt solche Projekte mit Interesse. "Wir sind grundsätzlich offen für Innovationen und verfolgen deshalb auch immer die Entwicklung neuester Technologien", sagt Deutschland-Chef Volker Malmen gegenüber Klimareporter°. "Sollten sich im Bereich schwimmender Windkraftanlagen Potenziale bieten, werden wir sie prüfen und in unsere Projektentwicklung einbeziehen."

"Alle Küstenbereiche ab 35 Metern Tiefe kämen theoretisch für den Einsatz von Nezzy 2 infrage", erklärt die EnBW-Sprecherin. Damit wäre das Potenzial tatsächlich gewaltig – wenn das Konzept es bis zur Serienreife bringt.

Besonders interessant wäre es für Länder wie Japan und die USA, wo sich tiefe Gewässer in der Nähe dicht besiedelter Küsten befinden. Die Anlagen auf dem Meer, wo der Wind besonders kräftig und stetig weht, könnten dann Millionen Menschen mit sauberem Strom versorgen.

Aus Sicht der Erneuerbaren-Agentur Irena hat die schwimmende Windenergie das Zeug zum "Gamechanger". Längerfristig könnte sie zu einer preisgünstigen Alternative zu den bisherigen Offshore-Technologien werden. Auch für die Umwelt hätte das Vorteile, weil bei der Installation weniger stark in den Meeresboden eingegriffen werden muss.