20 Cent für die Kilowattstunde Strom zahlen? Die Haushalte in Deutschland wären darüber ziemlich froh. Im Juli kostete sie nach Angaben des Energie-Branchenverbandes BDEW die Kilowattstunde mehr als 37 Cent. Da waren sogar noch knapp vier Cent EEG-Umlage eingepreist.
Die Umlage fiel Anfang Juli weg, was den Preisanstieg kaum bremste. Anfang September sahen einschlägige Preisportale die Kilowattstunde für Haushalte schon die 50-Cent-Marke überschreiten.
Ein Preisanteil von etwa einem Drittel geht dabei auf die sogenannten Beschaffungskosten einschließlich Vertrieb zurück. Im Juli lagen diese Kosten bei rund 18 Cent, weitere 19 Cent kamen durch Steuern und Abgaben hinzu.
Diese Abgaben würden bleiben, wenn die EU-Staaten den jüngsten Vorschlag der EU-Kommission annehmen, den Großhandelspreis von Strom bei 20 Cent je Kilowattstunde zu deckeln.* Mehrerlöse, die darüber hinausgehen, sollen abgeschöpft werden. Ein Teil der Gelder soll dann genutzt werden, um Verbraucher zu entlasten.
Eine solche Abschöpfungs-Lösung würde es dann geben, falls es auf europäischer Ebene nicht gelänge, die gegenwärtige Kopplung von Strom- und Gaspreis aufzubrechen, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) laut Medienberichten. Ziel sei es, die Gewinne für das laufende Wirtschaftsjahr noch zu "erwischen".
Die Strompreise im kurzfristigen Börsenhandel, dem Spotmarkt, pendeln derzeit um die 40 Cent pro Kilowattstunde. 20 Cent wären etwa die Hälfte davon. Alle Energieerzeuger rechnen derzeit mit spitzer Feder nach, ob die 20 Cent ihnen noch genügend Luft lassen.
Bioenergie-Branche fürchtet "Teilstilllegung"
Deutlich öffentlich beschwert hat sich bisher nur die Bioenergiebranche. Der 20‑Cent-Vorschlag sei ein "verheerendes Zeichen" für die Bioenergiebranche und nicht zu Ende gedacht, kritisiert Sandra Rostek, die das Hauptstadtbüro Bioenergie leitet.
Mit einem Deckel bei 20 Cent könnten die meisten Anlagen nicht einmal ihre – auch wegen des Ukrainekriegs – gestiegenen Brennstoffkosten decken, geschweige denn Rücklagen für Investitionen bilden, begründet Rostek die Ablehnung. Es drohe eine "Teilstilllegung des Anlagenbestands".
Zudem verlören die Biogasanlagen mit dem 20‑Cent-Deckel jeden Anreiz zu einer flexiblen Fahrweise. "Diese stabilisiert nicht nur das Gesamtsystem, sondern dämpft auch den Anstieg der Börsenstrompreise in Zeiten, in denen Wind- und Solarenergie wenig Strom liefern können", argumentierte Rostek.
Auch der Erneuerbaren-Branchenverband BEE hält die von der EU-Kommission geplante Erlösobergrenze für "kontraproduktiv", wie der Verband gegenüber Klimareporter° erklärt. Nach Auffassung des BEE wäre eine Erlösobergrenze eine "indirekte Einführung" von Contracts for Difference (CfD).
Bei diesen Differenzverträgen, wie sie in einigen Ländern Europas für Offshore-Windkraft-Projekte angewandt werden, wird den erneuerbaren Verstromern eine feste Vergütung garantiert. Liegt der durchschnittliche Strompreis unter dem CfD-Preis, erhält der Anlagenbetreiber die Differenz als Zuzahlung. Liegt der Strompreis über dem CfD-Preis, zahlt der Betreiber den Mehrerlös zurück.
Eine Deckelung für Erneuerbare bei 20 Cent wäre de facto ein bundesweiter CfD. Dabei würden dann aber alle Anlagen über einen Kamm geschoren, ob alt oder neu, gefördert oder frei finanziert, ob mit Sonne, Wind, Biomasse oder Wasser und auch unabhängig davon, ob der Erzeuger einen Teil der Erlöse wieder in den Erneuerbaren-Ausbau steckt und entsprechend einen Ökostromplus-Tarif anbietet.
Gestaffelt nach Erzeugungsart deckeln?
Diese Gleichmacherei passt offenbar nicht so recht zu den Erneuerbaren. Bei einem Preisdeckel, der sich am kurzfristigen Spotmarkt orientiere, könne es unter Umständen zu einer Rückzahlungsverpflichtung bei Mehrerlösen kommen, die der Anlagenbetreiber aber gar nicht erhalten hat, kritisiert der BEE das im Fachdeutsch.
Allerdings, schränkt der Verband weiter ein, könne auch eine "abgestufte Preisdeckelung nach Erzeugungsart" die Probleme für die Erneuerbaren nicht lösen.
Die "abgestufte Deckelung" bezieht sich auf eine weitere Überlegung Habecks. Laut Medienberichten schwebt dem Minister möglicherweise eine Art Preiskappung vor, die nach der Erzeugungsart des Stroms unterscheidet.
Warum das den Erneuerbaren auch nicht so recht ist, lässt sich nicht leicht erklären. Ein Grund soll sein, dass zum Beispiel für frei finanzierte Ökostromanlagen langfristige Lieferverträge, sogenannte PPAs, abgeschlossen wurden, teilweise für bis zu zehn Jahre.
Bei denen kann es mutmaßlich weniger als die 20 Cent geben. Dass der Strompreis so durch die Decke geht, konnte ja beim Vertragsabschluss niemand ahnen. Den Vertrag offenzulegen, um der Abgabepflicht für Mehrerlöse zu entgehen – daran werden aber nicht viele Erneuerbaren-Investoren ein Interesse haben.
Dazu kommt: Ein Konstrukt mit den CfD, das auf den kurzfristigen Markt zielt, würde fossile Erzeuger außen vor lassen. Diese verkaufen ihren Strom größtenteils längerfristig. Der Markt, auf dem sich die Erneuerbaren "tummeln", sagt nicht viel über die Stromerlöse von Kohle, Gas und Öl oder die der atomaren Kraftwerke.
Grundproblem kaum lösbar
Aus dem Grund soll die Bundesregierung anderen Meldungen zufolge ein zweistufiges Abschöpf-Modell planen. Nur für Wind- und Solarerzeuger soll es eine Erlösobergrenze von voraussichtlich 20 Cent geben. Kohle, Gas und Öl sollen mit einem sogenannten "Krisenbeitrag" oder "Solidaritätsbeitrag" zur Kasse gebeten werden.
Das Grundproblem bei alledem ist kaum lösbar: Der Strompreis an der Börse gibt zwar eine Orientierung, er ist aber intransparent, von Spekulation geprägt und spiegelt bei Weitem nicht die wirtschaftliche Lage der Branche und schon gar nicht einzelner Unternehmen wider. Auch beim Strom gilt: Mit den wahren Kosten des Produkts hat die Börse nicht allzu viel zu tun.
Auf dem Großhandelsmarkt würden zunächst auch gar keine "Gewinne" sichtbar, betont denn auch der Energieökonom Erik Gawel vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Gewinne errechneten sich aus den gesamten Erlösen minus Gesamtkosten einschließlich Fixkosten. Der Strommarkt zeige aber nur Grenzkosten und Grenz- beziehungsweise Stückerlöse, den Preis pro Kilowattstunde, erläutert Gawel.
Wird der Markt-Strompreis gedeckelt, könnten Kraftwerke mit höheren Grenzkosten mangels ausreichender Vergütung ausscheiden, so der Experte weiter. Er bestätigt insofern die Befürchtungen der Biogasleute.
Auch die Option, verschiedene Strompreise vorzusehen, sieht Gawel kritisch. Wie diese Preisdifferenzierung genau aussehen und wo die Erlösgrenze für die "günstigen" Kraftwerke liegen soll, lasse sich nicht "natürlich" herleiten, gibt er zu bedenken.
Für Haushalte ein 30-Cent-Deckel?
Zumindest für Haushalte könnte eine Obergrenze von 20 Cent an der Strombörse bedeuten, dass der Anteil der Kosten für Beschaffung und Vertrieb nur leicht höher liegt als im Juli dieses Jahres. Werden noch etliche Milliarden Euro aus der Übergewinnsteuer zugunsten der Verbraucher umverteilt, könnte der Strompreis für Haushalte in der Höhe von Juli oder leicht darunter liegen.
Für Deutschland schlägt Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes vor, den Haushalts-Preis bei 30 Cent pro Kilowattstunde zu deckeln. Diese Höhe würde sich an den stabilen Preis in der Vor-Corona-Zeit anlehnen.
Um einen Sparanreiz zu setzen, würde Leprich die 30 Cent nur auf einen prozentualen Anteil des Haushaltsverbrauchs anwenden. Orientiert man sich an Österreich, wo 80 Prozent des durchschnittlichen Verbrauchs preislich gedeckelt sind, ergibt sich für Leprich ein jährlicher Basisverbrauch von 1.200 Kilowattstunden bei einer Person, 2.000 bei zwei Personen, 2.800 bei drei und 3.400 Kilowattstunden bei vier und mehr Personen. Für diesen Verbrauch im Haushalt würde dann die Kilowattstunde maximal 30 Cent kosten.
Wenn die Politik diese Deckelung ähnlich schnell wie die Pandemie-Maßnahmen einführe, könnte sie "ohne Weiteres zum 1. Dezember 2022 in Kraft treten", gibt sich Leprich optimistisch.
Das wäre dann wirklich mal ein vorfristiges Weihnachtsgeschenk.
* Ergänzung am 14. September: In einem neuen Verordnungsentwurf der EU-Kommission "über ein Notfallinstrument für Elektrizität und einen Solidaritätsbeitrag des fossilen Sektors" ist die konkrete Angabe von 20 Cent nicht mehr enthalten.
Ergänzung am 15. September: Die EU-Kommission hat den Verordnungsvorschlag veröffentlicht. Darin enthalten ist ein Strompreisdeckel von 180 Euro pro Megawattstunde, also 18 Cent pro Kilowattstunde.