Der weltweite Hunger nach Energie wird künftig noch ansteigen: Für die kommenden zwei Jahrzehnte rechnet die Internationale Energieagentur IEA mit einer stark wachsenden Nachfrage. Laut dem diesjährigen Ausblick, der am heutigen Dienstag in London vorgestellt wurde, wird der globale Energiebedarf bis 2040 um ein Viertel steigen. Dafür müssten jährlich mehr zwei Billionen US-Dollar (1,75 Billionen Euro) investiert werden.
Allerdings rechnet die IEA bei ihrer Prognose damit, dass die Regierungen ihre Zusagen einhalten, beispielsweise energieeffizientere Techniken einzusetzen. Ohne stetige Steigerung der Energieeffizienz werde das Energiewachstum ungefähr doppelt so hoch ausfallen.
Ursache für die steigende Energienachfrage sind laut IEA der erwartete Anstieg der Weltbevölkerung um 1,7 Milliarden Menschen sowie steigende Einkommen. Vor allem in Asien dürfte die Nachfrage erheblich steigen. Während im Jahr 2000 über 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs auf Europa und Nordamerika entfielen und Entwicklungsländer in Asien nur 20 Prozent des Weltverbrauchs ausmachten, kehrt sich das Verhältnis bis 2040 komplett um.
Bis 2030, so die IEA, wird Erdgas die Kohle als zweitwichtigste Energiequelle ablösen. Doch auch die Nachfrage nach der wichtigsten Energiequelle, Öl, wird stärker sinken als erwartet. Mitte der 2020er Jahre wird der Erdölverbrauch bei Pkw seinen Scheitelpunkt erreichen, das Segment ist für ein Viertel des gesamten Ölverbrauchs verantwortlich. Bis 2040 könnten laut der Prognose rund 300 Millionen Elektroautos auf den Straßen rollen.
Konservative Prognose zur Solarenergie
In ihrem World Energy Outlook verwendet die IEA, eine Organisation der OECD-Staaten, vier verschiedene Entwicklungsmodelle, deren Eintreten gleich wahrscheinlich sei. Die Maßnahmen der Regierungen würden darüber entscheiden, welches Szenario die Entwicklung am besten vorhersagt.
Dem widerspricht das Institute for Energy Economics and Financial Analysis (Ieefa) in den USA, dessen Forschungsschwerpunkt nachhaltige Energiepolitik ist. Das Szenario nachhaltiger Entwicklung sage die weltweite Energiezukunft am wahrscheinlichsten voraus.
Auch andere Energieexperten kritisieren, dass die IEA die Entwicklung der erneuerbaren Energien systematisch unterschätzt. Sie fürchten, dass die IEA-Berichte zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden und den Ausbau der Erneuerbaren bremsen könnten.
"Die Prognosen der IEA zur Photovoltaik sind relativ konservativ", sagt Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, gegenüber Klimareporter°. Der weltweite Photovoltaik-Ausbau war innerhalb von zwei bis drei Jahren so stark, wie ihn die IEA eigentlich für 20 Jahre erwartet hatte, erinnert Quaschning.
"Die IEA hat ihre Prognosen ein bisschen verbessert", sagt der Energieforscher. Aber noch immer würden die extrem gesunkenen Kosten für erneuerbare Energien nicht ausreichend berücksichtigt. In Saudi-Arabien könnten Solaranlagen eine Kilowattstunde Strom künftig für einen Cent erzeugen, da werde selbst das Opec-Mitglied die Solarstromerzeugung der Ölförderung vorziehen.
Kohle-Zukunft mit CCS "äußerst unwahrscheinlich"
Zwar geht auch die IEA davon aus, dass die Solarenergie besonders schnell wachsen und zur dominierenden Stromquelle der Zukunft werden wird. Laut ihrer Prognose wird die installierte Leistung der Photovoltaik aber erst weit nach 2030 über die der Kohle hinausgehen.
Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist dagegen sicher, dass der Rückzug der Kohle schneller vorangehen wird: "Erneuerbare Energien werden in Zukunft gerade die Kohle immer mehr ersetzen", sagt Kemfert.
Das liege zum einen an den ständig sinkenden Kosten für erneuerbare Energien und zum anderen daran, dass lokaler Umwelt- und Gesundheitsschutz wichtiger werde. Letzteres werde vor allem in China und auch Indien zu einem Rückgang der Kohleverstromung führen. "Schon heute zeichnet sich diese Entwicklung ab, in zwei Jahrzehnten sind die erneuerbaren Energien die bedeutsamste Energieversorgung", sagt Kemfert.
Die IEA überschätzt aber nicht nur die Kosten der Erneuerbaren, die Organisation geht auch davon aus, dass die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) weit vor 2040 kommerziell einsetzbar wird. Das würde Banken und Versicherern erlauben, weltweit eine Billion US-Dollar in neue Kohlekraftwerke zu investieren.
Tim Buckley von Ieefa Südostasien widerspricht: "Wir halten das für ein äußerst unwahrscheinliches Ergebnis angesichts des hohen CO2-Ausstoßes und der damit verbundenen Vermögensrisiken sowie der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit."
Fehlender Rahmen für Energie- und Effizienzwende
Entsprechend bleibt das Niveau der energiebedingten CO2-Emissionen in dem IEA-Ausblick hoch: Noch bis 2040 sollen die Emissionen weiter steigen, statt zu sinken. In dem projizierten Emissionstrend sieht die IEA "ein eklatantes Versagen der internationalen Gemeinschaft".
Energieexperte Quaschning findet zwar gut, dass der Bericht den steigenden CO2-Ausstoß aus der Energieerzeugung anspricht, allerdings zeige die IEA mit ihren Szenarien nicht, welches Entwicklungspotenzial die Erneuerbaren bieten. So könnten disruptive Technologien wie Elektromobilität das derzeitige Energiesystem deutlich verändern und den CO2-Ausstoß senken.
Dass die energiebedingten Emissionen weiter steigen, ist jedenfalls nicht unausweichlich. Zwei Dinge müssen laut Kemfert passieren, damit die CO2-Emissionen sinken: "Erstens muss der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller gehen, inklusive Elektromobilität", sagt Kemfert. Zweitens müsste das Energiesparen sehr viel schneller vorankommen.
Dazu müssten zuallererst jegliche fossilen Subventionen abgeschafft und die Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass die Energiewende überall Fahrt aufnimmt.
Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert ist Mitherausgeberin von Klimareporter°