Bäume pflanzen ist dem Guinness-Buch der Rekorde als Disziplin schon seit Längerem bekannt. Ausgelobt wurde bereits die Kategorie, wie viel Bäume ein einzelner Mensch in 24 Stunden pflanzen kann (15.170), wie viel Bäume ein Team von 300 Pflanzern in einer Stunde in die Erde zu buddeln vermag (847.275) oder wie viel Palmen ein Staat in zehn Jahren kultiviert hat (42 Millionen).
Doch nun hat Äthiopien der Pflanzer-Disziplin die Baumkrone aufgesetzt: Einwohner des ostafrikanischen Staates versenkten innerhalb von zwölf Stunden 353.633.660 Setzlinge im Boden. Bislang hielt der indische Bundesstaat Uttar Pradesh diesen Rekord: Dort wurden vor zwei Jahren im selben Zeitraum 66 Millionen Sprösslinge von 1,5 Millionen Freiwilligen in der Erde verteilt.
Für den neuen Weltrekord scheute die Regierung in Addis Abeba keinen Aufwand. Mehr als 1.000 Örtlichkeiten waren ausgewählt worden, in die Beamte mit eigens entwickelter Software zum Zählen entsandt wurden. Sämtliche Schulen und öffentlichen Ämter blieben am Wettbewerbstag geschlossen, damit genügend Hände zur Verfügung waren. Selbst Regierungschef Abiy Ahmed machte sich die Finger schmutzig: Er pflanzte in der südäthiopischen Stadt Arba Minch eine nicht näher genannte Zahl von Akazien.
Die montägliche Aktion war Teil des "Green Legacy" (grünes Vermächtnis) genannten Regierungsprogramms, in dessen Rahmen bis Oktober sogar vier Milliarden Bäume gesetzt werden sollen. Insgesamt will die Regierung von Premierminister Abiy bis Ende nächsten Jahres 150.000 Quadratkilometer neu bewalden – ein Gebiet so groß wie Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen zusammen.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend abgeholzt
Vor 120 Jahren war Äthiopien noch bis zu einem guten Drittel mit Wald bedeckt. Inzwischen sind es nicht einmal mehr vier Prozent. Verantwortlich für das Baumsterben war nicht zuletzt das Wachstum der Bevölkerung.
In den vergangenen 60 Jahren haben sich die Äthiopier verfünffacht und entsprechend mehr Weide- und Ackerflächen sowie Brennholz in Beschlag genommen. Mit mehr als 100 Millionen Einwohnern ist Äthiopien heute der zweitbevölkerungsreichste Staat Afrikas.
Inzwischen wissen die Verantwortlichen in Addis Abeba jedoch, wie wichtig Bäume sowohl für die Landwirtschaft als auch das Allgemeinwohl der Bevölkerung sind: Sie spenden Schatten, halten den Boden feucht und die Erosion in Schach.
Werden sie vorsichtig genutzt, können Bäume jahrelang Früchte, Futter, Brennstoff, Bauholz und auch Heilmittel liefern. Äthiopien gehört zu den 21 afrikanischen Staaten, die sich zum Ziel gesetzt haben, gemeinsam eine Million Quadratkilometer aufzuforsten – ein Gebiet von der dreifachen Größe Deutschlands.
Bäume haben großes CO2-Speicherpotenzial
Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich gaben kürzlich das Ergebnis einer satellitengestützten Studie bekannt, wonach weltweit Gebiete mit einer Gesamtfläche von neun Millionen Quadratkilometern ungenutzt sind, auf denen aber Bäume wachsen könnten. Würden dort tatsächlich Bäume gepflanzt, könnten sie ein Drittel allen Kohlendioxids aufnehmen, das die Menschheit seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre geblasen hat.
Den Schweizer Forschern zufolge ließe sich die Klimaerwärmung am effektivsten mit dem Pflanzen von Bäumen aufhalten: Eine Billion Bäume könnten rechnerisch die gesamte Menge des in den vergangenen 25 Jahren freigesetzten Kohlendioxids aufnehmen. Bei ihrem jetzt an den Tag gelegten Tempo bräuchten die Äthiopier dafür knapp acht Jahre – vorausgesetzt sie würden jeden Tag zwölf Stunden lang Bäume pflanzen.
Kritiker werfen dem äthiopischen Premierminister allerdings vor, mit der Aktion lediglich von seiner scheiternden Politik ablenken zu wollen. Bei seinem Amtsantritt vor gut einem Jahr hatte Abiy eine grundlegende Reform seiner politisch und wirtschaftlich erstarrten Heimat angekündigt. Doch jetzt droht seine Perestroika in blutigen Konflikten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterzugehen.
Was jedoch schlecht daran sein soll, wenn der Regierungschef die Rettung der Lebensgrundlagen ins Visier nimmt, haben seine Kritiker nicht weiter ausgeführt.