Der Bau der Tesla-Autofabrik in Grünheide bei Berlin war wegen der Wasser-Situation umstritten, noch mehr ist es die jetzt geplante Erweiterung. (Bild: Markus Mainka/​Shutterstock)

Im brandenburgischen Grünheide will Tesla seine Autofabrik erweitern. Die einen befürworten den Ausbau und sehen darin eine Chance auf mehr Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Die anderen protestieren dagegen. Sie fürchten um die kostbare Ressource Wasser in der ohnehin schon trockenen Region, wenn Teslas Wasserverbrauch weiter steigen würde. Wie ist dieser Konflikt ethisch einzuordnen? Was wäre gerecht?

Wer sich vom Deutschen Ethikrat dazu eine klare Antwort erhofft, wird enttäuscht. Das 24‑köpfige Sachverständigengremium hat am Mittwoch eine Stellungnahme zur Klimagerechtigkeit veröffentlicht. Erstmals beschäftigt sich der Rat mit der Frage, wie die Lasten des Klimawandels und seiner Folgen möglichst gerecht verteilt werden können – innerhalb der Gesellschaft, zwischen den Staaten und auch zwischen den Generationen.

"Es geht um die wirklich großen, schwierigen Fragen", sagt Alena Buyx, die Vorsitzende des Ethikrats. "Es ist eine Mammutaufgabe. Wie schaffen wir das, ohne dass uns allen die Puste ausgeht?"

Um Einzelfälle wie den Wasserstreit um die Tesla-Fabrik in Brandenburg geht es dem Ethikrat nicht. Vielmehr formuliert er Leitlinien und Empfehlungen, an denen sich klimapolitische Entscheidungen orientieren sollten. Im Vorfeld gab es mehrere öffentliche Anhörungen, um eine breite Expertise in das neue Konzept der Klimagerechtigkeit einfließen zu lassen.

"Ein Hinauszögern ist ethisch nicht zu rechtfertigen"

Die beiden wichtigsten Punkte: Es muss so schnell wie möglich gehen. "Wir müssen effektiver gegen den Klimawandel vorgehen", sagt Ratsmitglied Armin Grunwald. "Ein Abwarten, Hinhalten und Hinauszögern von wirksamen Maßnahmen ist ethisch nicht zu rechtfertigen."

Und – das ist der Kern des Konzepts – die Lasten und Pflichten bei der Bewältigung des Klimawandels müssen so verteilt werden, dass möglichst alle Menschen jetzt und in Zukunft die Mindestvoraussetzungen für ein gutes, gelingendes Leben erreichen können.

Für dieses Mindestmaß schlägt der Rat Schwellenwerte für Grundgüter wie Wasser, Gesundheit, Mobilität vor, die nicht unterschritten werden dürfen: "Klimaschutz muss so ausgerichtet werden, dass diejenigen, die am weitesten von diesen Schwellen entfernt und am stärksten belastet sind, vorrangig berücksichtigt werden."

Doch was bedeutet ein "gutes, gelingendes Leben"? Wie würde es aussehen, wie lässt es sich definieren? Diese "Gretchenfrage", so Alena Buyx, will der Ethikrat nicht selbst beantworten. "Das ist nicht unsere Zuständigkeit. Wir wollen anregen, darüber zu reden."

Was dem Rat vorschwebt, sind gute gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, in denen gemeinsam Lösungen gefunden werden, auch was die vorgeschlagenen Schwellenwerte betrifft.

Hier setzt die Kritik von drei Ratsmitgliedern an, die ein Sondervotum abgegeben haben. Aus ihrer Sicht fehlen dem Konzept überzeugende Kriterien, wie man denn abwägen soll, wenn es konkurrierende Handlungsstrategien gibt.

"Wir fordern kein moralisches Heldentum"

Auch Fachleute außerhalb des Ethikrats halten die Stellungnahme für zu wenig konkret. "Die Empfehlungen sind recht allgemein gehalten und vielfältig interpretierbar", sagt der Philosoph Christian Seidel vom Karlsruher Institut für Technologie. "Es geht in die richtige Richtung, bleibt in den Details aber unterbestimmt."

Neben diesen "normativen Leerstellen" kritisiert das Sondervotum die Stellungnahme aber auch als zu weitreichend: Die Lebenswirklichkeit vieler Menschen werde nicht genug berücksichtigt, etwa wenn keine klimafreundlichen Alternativen zur Verfügung stehen oder mit einer umfangreichen CO2-Bepreisung stark in die private Lebensführung eingegriffen werde. Die Stellungnahme nehme eine "einseitig-elitäre Perspektive" bei Fragen der innergesellschaftlichen Gerechtigkeit ein, so der Vorwurf.

Ein besonderer Dorn im Auge ist den drei abweichenden Ratsmitgliedern, dass die Stellungnahme von einer "individuellen moralischen Mitwirkungspflicht" der Bürgerinnen und Bürger spricht. Das sei ein "überschießender und tendenziell illiberaler Moralismus", heißt es in dem Sondervotum.

Dabei wollte der Ethikrat genau diesen Eindruck vermeiden. "Wir fordern kein moralisches Heldentum vom Einzelnen", stellt Alena Buyx klar. Der Staat müsse vielmehr die Voraussetzungen schaffen, die klimafreundliches Verhalten ermöglichen.

Verbote beispielsweise kommen in der Stellungnahme kaum vor. "Das trifft immer das Individuum und wir wollen aus der Individualisierungsfalle heraus." Nur bei besonders klimaschädlichen Handlungen seien Verbote denkbar.

"Natürlich darf der Staat kein moralisches Heldentum fordern, das wäre paternalistisch", sagt der Wirtschaftsethiker Christian Neuhäuser von der TU Dortmund, der nicht dem Ethikrat angehört. "Wir müssen aber akzeptieren, dass so gut wie wir alle angesichts der Herausforderungen des Klimawandels moralisch defizitär handeln. Solange wir das leugnen, werden wir uns nicht zu effektiver Klimapolitik durchringen können. Hier hätte der Ethikrat noch deutlicher werden können."

Immerhin ist mit der Stellungnahme des Ethikrats nun eine Grundlage für eine weitere Debatte gelegt, wie Klimagerechtigkeit im Einzelnen ausbuchstabiert werden sollte.

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