Tansania gehört zu den Ländern, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden. (Bild: TAPO)

Klimareporter°: Herr Andrews, worum geht es bei Ihrer Forschung zu Klimaschockerfahrungen?

Jeffrey Andrews: Eine der größten Fragen ist, wie Menschen auf der Verhaltensebene auf die Auswirkungen des Klimawandels reagieren. Wir erwarten ja nicht einfach eine Zunahme der Temperatur, sondern auch eine starke Zunahme klimatischer Variabilität. Die Frequenz von Extremwetterereignissen wird zunehmen.

Diese Ereignisse können für Betroffene traumatisierende Schockerfahrungen darstellen. Zur Reaktion auf traumatische Ereignisse ist eine Theorie in den 1950er und 60er Jahren entstanden, die ich jetzt mal als "heroisches Reaktionsmodell" bezeichne. Man erwartet im Grunde, dass Gemeinschaften in Krisenzeiten zusammenrücken und die Menschen sich gegenseitig helfen.

Dieses Muster findet man in den populären Medien, aber man sieht es auch in den Reaktionen auf verschiedene Unwetterereignisse, beispielsweise beim Hurrikan Katrina in New Orleans oder bei dem Tsunami, der 2004 Südostasien traf. Prinzipiell wird erwartet, dass solche Krisen soziale Bindungen stärken. Denn um den negativen Auswirkungen begegnen zu können, brauchen wir Unterstützung, was soziale Beziehungen evolutionär zu einem risikomindernden Vorteil macht.

Es gibt eine recht umfangreiche Literatur, die diesen Effekt für Kriege und ähnliche Krisen nachweist. Das fanden wir interessant und fragten uns, ob wir denselben Effekt auch bei Menschen finden, die in ihrer Entwicklung Klimaschocks ausgesetzt waren. Was erwarten wir dann: Werden die Menschen innerhalb einer Gemeinschaft altruistischer? Werden sie gegenüber anderen Gruppen feindseliger? Gibt es hier einen allgemeingültigen, entwicklungspsychologischen Prozess?

Und zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Unsere Erwartungen waren da vielleicht etwas naiv. Der einzige konsistente und signifikante Effekt, den wir gefunden haben, zeigt, dass Menschen, die in den ersten 25 Jahren ihres Lebens Klimaschocks durchleben mussten, sich in unseren verhaltensökonomischen Spielen tendenziell "boshafter" verhalten. Das hat uns ziemlich schockiert. In der Literatur haben wir sehr viel zu der Rolle gefunden, die Gemeinschaft beim Abfedern solcher Ereignisse spielt.

Verhaltensökonomische Spiele: Quantifizierung von Verhaltensweisen

Um die Persönlichkeitszüge der Studienteilnehmer:innen zu "messen", wurden sie vor eine Reihe von Entscheidungen gestellt. In Jeffrey Andrews' Studie mussten sie in vier modifizierten Vertrauensspielen (dictator games) entscheiden, wie viel Geld sie selbst und eine andere, anonyme Person erhalten sollen. Jede dieser Entscheidungen soll dabei einen anderen Charakterzug messen.

Zum Beispiel geht es beim "Neid-Spiel" darum, ob man sich und der zweiten Person jeweils 10 Euro gibt oder sich selbst 13 Euro und der anderen Person 18.

Beim "Schädigungs-Spiel" können sich die Leute ebenfalls für die egalitäre Verteilung entscheiden (10/10) oder der anonymen Person einen finanziellen Schaden zufügen (10/5).

Die Ergebnisse werden dann unter Berücksichtigung von verschiedenen Einflussfaktoren wie familiärem Wohlstand in Bezug zu Klimaschock-Erfahrungen gesetzt. Wohlstand konnte zum Beispiel die Auswirkungen von Extremwetterereignissen abmildern. Jeweils anhand verschiedener statistischer Modelle werden dann diese Effekte, ihre Wahrscheinlichkeit und die Effektstärke berechnet.

Wie erklären Sie sich dieses Muster?

Wenn wir uns in die Lage der Studienteilnehmer:innen versetzen, können wir eine Erklärung wagen. Für diese Forschung war ich bei Subsistenzlandwirt:innen in Tansania unterwegs. Regelmäßig stehen ihnen nicht genügend Lebensmittel zur Verfügung. Gerade vor den Ernten sind die Reserven verbraucht und die Menschen haben auch kein Geld mehr. Oft zeigen sie dann körperliche Symptome von Mangelernährung.

Nun zu den Klimaschocks: Wir haben Dürren, Überschwemmungen, Seuchen und Ähnliches gezählt. Das sind Ereignisse, die Ernten und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln stark beeinträchtigen. Wenn die Kinder merken, dass es immer weniger Essen gibt, steigt der Konkurrenzdruck gegenüber den Geschwistern.

Aus einer westlichen Perspektive erwarten wir vielleicht, dass die Eltern eingreifen würden. Aber in meinen zehn Jahren Forschung in Tansania habe ich festgestellt, dass Mahlzeiten generell getrennt zwischen Erwachsenen und Kindern stattfinden. Es gibt also keine elterliche Kontrolle der Verteilung. Mit dem erlernten Konkurrenzverhalten wachsen die Kinder dann auf. Das wäre eine mögliche Erklärung. Dann wäre aber unklar, was in einem kulturellen Szenario passieren würde, in dem die Eltern eine größere Rolle bei der Ressourcenverteilung spielen.

Eine andere Erklärung wäre, dass dieses Verhalten eine Reaktionsnorm auf die Wahrnehmung einer instabilen Umgebung darstellt. In der Evolutionspsychologie gibt es viele Spekulationen, ob der Verstand im Kindesalter versucht, Voraussagen über die zukünftige Umgebung zu treffen. Viele Studien finden zum Beispiel auch bei Kindern aus gewalttätigen Haushalten Tendenzen zu unsozialem Verhalten, vor allem später im Leben.

Das ist natürlich traurig, denn man wünschte, es wäre umgekehrt. Es gibt viele Debatten darüber, ob das adaptiv ist oder nicht. Man kann dieses Verhalten auf zwei Arten betrachten. Entweder der Verstand sagt: "Das Leben ist hart, also musst du hart sein". Oder frühe Lebensstressoren behindern die kognitive Entwicklung.

Der Neocortex im Großhirn ist zum größten Teil für die Impulskontrolle verantwortlich, aber generell erst ab dem 25. Lebensjahr voll entwickelt. Wenn Entwicklungsstörungen schon früh im Leben eintreten, kann das die Funktion des Neocortex für die Verhaltensregulierung stören.

Das klingt hart. Wie war denn die Feldforschung für Sie?

Ich liebe Feldforschung. Natürlich sind es schwierige Themen, aber die Menschen in Tansania sind großartig. Auch in schwierigen Zeiten sind sie äußerst humorvoll. Zwar sind die Themen oft deprimierend, die Menschen aber gar nicht. Mittlerweile forsche ich in einer anderen Region von Tansania, Sansibar.

Arbeiten Sie nun an Folgestudien? Wo sehen Sie noch Klärungsbedarf?

Ich will versuchen, die Daten in anderen Gesellschaften zu replizieren. So können wir herausfinden, wie allgemeingültig dieser Effekt ist. Dann würde ich natürlich gerne wissen, welche mechanistische Erklärung den Ergebnissen dieser Studie zugrunde liegt.

Bild: privat

Jeffrey Andrews

hat einen akademischen Hinter­grund in Öko­nomie und Sozio­logie und erforscht als Postdoc am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig die Entwicklung sozialer Institutionen und den Wandel, den Menschen aus Subsistenz­wirtschaften beim Übergang zu Markt­wirtschaften durchleben. Auf der tansanischen Insel Pemba leitet er eine Feldstudie.

Ist die Präferenz für boshaftes Verhalten sozial erlernt oder Folge einer Entwicklungsstörung? Und warum scheinen Kriegserfahrungen und Klimaschockerfahrungen gegenteilige Effekte zu haben? Eine mögliche Erklärung wäre, dass der Unterschied zwischen kollektiver Propaganda und der durch Mangel ausgelösten Konkurrenz diesen Gegensatz auslöst.

Es gibt auf jeden Fall sehr viel zu klären. Außerdem brauchen wir bessere entwicklungspsychologische Modelle, die uns Prognosen liefern, die wir wissenschaftlich überprüfen können.

Falls es sich bei diesem Ergebnis um einen universellen Effekt handeln sollte – denken Sie, das könnte die gesellschaftliche Entwicklung in Zukunft beeinflussen?

Na ja, als Erstes muss ich betonen, dass diese Daten aus einer Handvoll ländlicher Gemeinden in Tansania stammen. Deshalb müssen wir die Ergebnisse mit großer Vorsicht betrachten. Das ist noch sehr vorläufige Forschung.

Aber wenn dieser Effekt universell sein sollte, wäre das schlimm. Es ist klar, dass der Klimawandel weitergeht und Menschen in Subsistenzwirtschaften am härtesten betroffen sind. Ressourcenmangel befeuert Konflikte zwischen lokalen Gruppen und Ethnien, führt zum Zusammenbruch von Familien und Sozialstrukturen und erzeugt einen starken Migrationsdruck.

Und das Schlimmste ist, dass die Menschen, deren Leben objektiv am härtesten ist, durch ihre Erfahrungen potenziell zu Täter:innen werden. Wohin sie gehen, tragen sie ihre Schäden und Narben mit sich. Das birgt viel Potenzial für interkulturelle Konflikte und ist ethisch unglaublich schwierig.

Gibt es Maßnahmen, die so einer Entwicklung entgegenwirken könnten?

Wirtschaftlich ist klar, was getan werden kann und sollte. Die Menschen dort leben wiederholt saisonal am Minimum. Um hier zu helfen, sehe ich zwei Möglichkeiten: Periodische bedingungslose Geldtransfers können ihnen durch die harten Zeiten helfen. Allerdings ist das manchmal ein Problem in Ländern mit schwachen staatlichen Institutionen. Das Geld ist zwar da, aber sobald es im Land ankommt, verschwindet es oft spurlos.

Idealerweise würden wir den ärmsten Menschen helfen, private Vermögen aufzubauen. So käme man davon weg, das Problem immer nur dann zu bekämpfen, wenn es auftritt. Tja, und so blöd das klingt, aber Wohlstand ist der beste Schutz gegen die Auswirkungen des Klimawandels und damit einhergehende Traumata.