
Hamburg arbeitet daran, seine Fernwärmeversorgung zu dekarbonisieren. Bis zum Jahr 2030 will die Stadt alle Fernwärmenetze zur Hälfte mit erneuerbarer oder klimaneutraler Wärme speisen. Bis dahin sollen die Steinkohle-Kraftwerke Wedel und Tiefstack durch andere Wärmeerzeuger abgelöst werden.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Abwärme aus Abwasser und Industrie. So bauen die Hamburger Energiewerke gemeinsam mit den Wasserwerken eine Wärmepumpen-Anlage am Klärwerk im Hafen. Sie soll die Restwärme des Abwassers nutzen, um Fernwärme mit einer Leistung von 60 Megawatt zu erzeugen.
Abwärme aus der Industrie können mehrere Unternehmen liefern. So will Aurubis demnächst große Wärmemengen aus einem Nebenprozess seiner Kupferproduktion auskoppeln und ins Hamburger Fernwärmenetz einspeisen. In einem kleineren Maßstab und mit einem anderen Kunden praktiziert Aurubis dies schon seit dem Jahr 2018.
Weitere Abwärmepotenziale können im Stahlwerk von Arcelor-Mittal und möglicherweise auch im Aluminiumwerk von Trimet erschlossen werden.
Die Abwärme aus Klärwerken und Industriebetrieben für die Erzeugung von Fernwärme zu nutzen, ist bisher in Deutschland noch wenig verbreitet. Dabei sind die Möglichkeiten dafür eigentlich gut, weil hier oft große Wärmemengen in räumlicher Nähe von Wohngebieten anfallen. Was die Klärwerke betrifft, gibt es auch schon lange Erfahrungen mit der Abwärmenutzung.
Wärmeenergie aus Klärwerken und Kanälen
So haben die Stadtwerke Waiblingen in Baden-Württemberg schon 1986 ein Heizwerk in Betrieb genommen, das einen Teil seiner Wärmeenergie aus dem gereinigten Abwasser am Auslauf einer Kläranlage gewinnt. Das Abwasser hat dort auch im Winter noch eine Temperatur von über zehn Grad Celsius.
Diese Wärme wird dem Abwasser mit einem Wärmetauscher entzogen. Eine Wärmepumpe im Heizwerk bringt sie dann auf ein höheres Temperaturniveau, sodass sie gemeinsam mit anderen Wärmequellen zur Erzeugung von Fernwärme genutzt werden kann.
Bis das Konzept auch andere Heizwerk-Betreiber in Baden-Württemberg überzeugte, gingen zunächst einige Jahre ins Land. Ab 2004 zogen dann andere Betreiber von Heizwerken in diesem Bundesland nach und bauten inzwischen mehr als 20 Anlagen für Abwasserwärme.
In den meisten Fällen setzten sie auf eine etwas andere Technik als in Waiblingen. Die Wärmetauscher befinden sich dabei nicht am Auslauf des Klärwerks, sondern in einem Abwasserkanal vor dem Klärwerk. Das ist immer dann vorteilhaft, wenn sich das Heizwerk weit entfernt vom Klärwerk, aber nahe an einem Abwasserkanal befindet.
Die Anlagen haben in aller Regel eine kleine bis mittelgroße Leistung, mit der sie dem Abwasser die Wärme entziehen. Sie liegt zwischen 20 und 500 Kilowatt. Eine Ausnahme bildet eine Anlage im Neckarpark Stuttgart, die über eine deutlich größere Wärmeentzugsleistung von 2,1 Megawatt verfügt.
Einzelne Anwendungen für die Abwasserwärme gibt es inzwischen auch in anderen Bundesländern. So wird seit dem Jahr 2012 eine städtische Schwimmhalle in Berlin-Schöneberg mit Wärme aus einem Abwasserkanal und mehreren Wärmepumpen beheizt. In Aachen ging 2015 eine ähnliche Anlage in Betrieb, die ein Wohngebiet mit Heizung und Warmwasser versorgt.
Welche Möglichkeiten diese Form der Wärmegewinnung bietet, hatte das Bundesumweltministerium im Jahr 2018 in einer Kurzstudie untersuchen lassen. Demnach könnten aus technisch-ökonomischer Sicht bundesweit jährlich bis zu 33 Milliarden Kilowattstunden Nutzwärme aus Abwässern gewonnen werden. Die mögliche Einsparung von Treibhausgasen wurde mit drei Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr beziffert.
Abwärme aus Raffinerie und Molkerei
Auf einem frühen Entwicklungsstand befindet sich auch die Nutzung von industrieller Abwärme für die Fernwärme-Erzeugung. Ein Beispiel dafür ist aus dem badischen Karlsruhe bekannt. Dort beziehen die Stadtwerke seit dem Jahr 2010 große Mengen industrieller Abwärme von der Mineralölraffinerie Oberrhein. Am Brennstoffmix der Fernwärme in Karlsruhe hat sie einen Anteil von 61 Prozent.
Unvermeidliche industrielle Abwärme wird in den Energiegesetzen als treibhausgasneutrale Energieform behandelt. Damit sieht sich die Stadt in einer guten Ausgangsposition für die bevorstehende Transformation ihrer Wärmeversorgung.
Ein neueres Praxisbeispiel findet sich im ebenfalls badischen Freiburg. Hier ging im Herbst 2023 eine Energiezentrale in Betrieb, in der die bisher ungenutzte Abwärme einer Großmolkerei für die Wärmeversorgung eines Wohngebiets aufbereitet wird.
Welche Mengen industrieller Abwärme für die Versorgung von Wärmenetzen erschlossen werden können, hatte das frühere Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in einem größeren Forschungsprojekt untersuchen lassen. Im Jahr 2019 kam es zu dem Ergebnis, dass es ein wirtschaftlich nutzbares Abwärmepotenzial von bis zu 21 Milliarden Kilowattstunden gibt.
Große Mengen unvermeidbarer Abwärme entstehen auch im Chemiepark Leuna in Sachsen-Anhalt. Bisher werden sie überwiegend über Luftkühler an die Umgebung abgegeben. In der Raffinerie von Total Energies könnte sich das in den nächsten Jahren ändern. Denn die Stadtwerke Leipzig wollen Fernwärme aus Leuna beziehen und damit einen großen Teil ihres Bedarfs decken.
Dazu soll eine 19 Kilometer lange Fernwärmeleitung über die Landesgrenze nach Sachsen gebaut werden. Derzeit laufen die Planungen dafür. Später könnten auch noch weitere Unternehmen des Chemieparks ihre Abwärme aufbereiten und als Fernwärme in die Leitung einspeisen.
Abwärme vermeiden oder nutzen?
Unternehmen mit einem höheren Energieverbrauch sind laut Energieeffizienzgesetz verpflichtet, Abwärme so weit wie möglich zu vermeiden. Unvermeidbare Abwärme sollen sie aufbereiten und entweder selbst nutzen oder anderen Nutzern zur Verfügung stellen. Ein Weg zur Nutzung der Abwärme ist, sie zu Fernwärme aufzubereiten, in Wärmenetze einzuspeisen und an angeschlossene Wärmekunden zu liefern.
Diesen Liefer- und Nutzungsweg sollen weitere gesetzliche Verpflichtungen befördern, die für die Betreiber von Wärmenetzen und für Gebäudeeigentümer gelten. Sie müssen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bestimmte Anteile erneuerbarer Energien oder unvermeidbarer Abwärme in ihren Netzen transportieren und einsetzen.
Die Grundlagen dafür finden sich in zwei weiteren Gesetzen zu Wärmeplanung und Gebäudeenergie. In diesen beiden Paragrafenwerken wird die unvermeidbare Abwärme gleichberechtigt wie erneuerbare Energien behandelt. Dabei bleibt es eine spannende Frage, wie sich dieser Gesetzes-Dreiklang nach der Bundestagswahl im Februar weiter entwickeln wird.
Eine weitere spannende Frage ist, wie sich die Abwärmemengen der Industrie verändern werden, wenn sie ihre Produktion in den nächsten Jahren zunehmend auf klimaneutrale Prozesse umstellt. Dazu gehört die Elektrifizierung von Anlagen, die heute mit Brennstoffen betrieben werden. Es ist wohl auch damit zu rechnen, dass die Unternehmen zunehmend Abwärme vermeiden oder selbst nutzen.