Der Umbau des Energiesystems in Deutschland mit Ziel Klimaneutralität bis 2045 ist in vollem Gang, wie die zuletzt stark angestiegenen Zuwachsraten bei Solarenergie und Windkraft zeigen. Das hat positive Folgen für den Arbeitsmarkt.

Selbst in der aktuellen Rezession bleibt die Energiewende ein Jobmotor, so eine neue Analyse. Auch Beschäftigten aus kriselnden Branchen wie der Autoindustrie eröffnet das die Chance, in gut bezahlte Stellen in den grünen Sektoren wechseln zu können.

 

Corona, Energiepreiskrise, Ukraine-Krieg, Ampel-Aus: Die Energiewende-Branche hat den Krisen getrotzt. Wie der Öko-Boom den Arbeitsmarkt belebt, zeigt jetzt eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.

Von 2019 bis 2024 hat sich demnach die Zahl der ausgeschriebenen Stellen rund um die erneuerbaren Energien von 173.000 auf 372.500 mehr als verdoppelt. Der Anteil dieser Branche am gesamten Stellenmarkt ist in den fünf Jahren laut Studie von 1,5 auf fast vier Prozent gewachsen.

Um den Bedarf der Unternehmen zu erfassen, hat das IW rund 60 Millionen Online-Stellenanzeigen aus den Jahren 2019 bis 2024 ausgewertet, die einen Bezug zur Energiewende haben.

Dachdecker, Elektrikerinnen, Energietechniker

Hauptantrieb beim Erneuerbaren-Aufschwung war in den letzten Jahren die Solarenergie, die nach dem Absturz Anfang der 2010er Jahre wieder stark zulegte. Die Zahl der ausgeschriebenen Jobs für diesen Bereich erhöhte sich zwischen 2019 und 2024 von 41.500 auf 102.000, wobei es allerdings im letzten Jahr wie in allen Wirtschaftssektoren einen Rückgang gegenüber dem Vorjahr gab.

Bei der Windenergie war ein Plus von 70 Prozent auf knapp 53.000 Stellenangebote zu verzeichnen. Dieser Sektor trotzte damit sogar dem allgemeinen Beschäftigungsrückgang von 2024.

Jeder zweite für die Energiewende wichtige Beruf ist laut Bundesagentur für Arbeit ein "Engpassberuf". (Bild: Visoot Uthairam/​Shutterstock)

"Während in der Industrie in großem Umfang Stellen abgebaut werden, entstehen im Bereich der Energiewende nach wie vor zusätzliche Jobs", sagte Jana Fingerhut, Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann-Stiftung. "Mit Blick auf den Genehmigungsrekord von Windkraftanlagen im Jahr 2024 dürfte der Bedarf an Arbeitskräften für die Energiewende in den nächsten Jahren noch zunehmen."

Ein großes Problem ist auch hier wie in anderen Branchen der Mangel an Fachkräften. Laut Bundesregierung fehlen für den Öko-Umbau rund 300.000 von ihnen. Gesucht werden laut der IW-Untersuchung vor allem qualifizierte Fachkräfte für gut bezahlte Jobs.

Fünf von zehn für den Erneuerbaren-Ausbau wichtigen Berufe gelten laut der Bundesagentur für Arbeit als "Engpassberufe", in denen eine hohe Nachfrage auf zu wenige Bewerbungen trifft. Es handelt sich um Fachkräfte für regenerative Energietechnik, Bauelektrik, elektrische Betriebstechnik und für Sanitär, Heizung und Klima sowie im Dachdeckerhandwerk.

Im Bereich der Energieinfrastruktur, besonders bei Netzinfrastruktur und Speicherung von Energie, sind sogar sechs der zehn Top-Berufe solche Engpassberufe. Hier werden zusätzlich Fachkräfte für den Rohrleitungsbau und für Elektrotechnik dringend gesucht.

Bertelsmann-Stiftung fordert politische Maßnahmen

Aus diesen Gründen gibt es hier inzwischen auch gute Chancen für einen Quereinstieg aus anderen Branchen. Der Anteil von Stellen, die in denen die Ausschreibung das zulässt, liegt beim Erneuerbaren-Ausbau inzwischen bei 3,8 Prozent und im Bereich Energieinfrastruktur bei 2,9 Prozent.

Allerdings reicht das Ausweichen auf Quereinsteiger:innen nach Einschätzung von Bertelsmann-Expertin Fingergut nicht aus. "Wir brauchen eine verbesserte Berufsorientierung, mehr Ausbildung und Qualifizierung in den Engpassberufen und eine qualifizierte Zuwanderung", sagte die Sozial- und Politikwissenschaftlerin.

Zu den konkreten Empfehlungen der Stiftung auf Basis der IW-Studie zählt die gezielte Förderung von Ausbildungen in den gefragten Berufen. Eventuell könne auch die Einführung eines neuen, attraktiven Ausbildungsberufs für die Energiewende eine Lösung sein.

Weitere Punkte sind: "Qualifizierungen für Ungelernte und Menschen mit Migrationshintergrund, um Quereinstiege zu ermöglichen" sowie "eine Erleichterung von Branchenwechsel, damit Beschäftigte aus kriselnden Branchen schneller in gut bezahlte Jobs mit Perspektive im Energiesektor wechseln können".

 

Die Bertelsmann-Stiftung, der oft eine wirtschaftsliberale Agenda vorgeworfen wurde, bricht insgesamt eine Lanze für die Energiewende. "Wenn wir eine sichere Energieversorgung, günstige Energiepreise sowie eine merkliche Reduktion von klimaschädlichen CO2-Emissionen wollen, müssen wir erneuerbare Energien und ihre Infrastruktur entwickeln", schreibt sie zu der Studie.

Eine gute Versorgungssicherheit und ein tragbarer Energiepreis seien entscheidend dafür, welche Industrien in Deutschland eine Zukunft haben. Politik und Wirtschaft sollten deswegen dafür sorgen, dass die Energiewende nicht durch den Fachkräftemangel ausgebremst wird. "Es geht um viele Jobs, um Einkommen, um Wohlstand."

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