Klimaklagen haben Konjunktur: Nun nutzen auch Familien und Umweltschützer die europäische Rechtssprechung für mehr Klimaschutz.
Klimaklagen haben Konjunktur: Jetzt nutzen Bürger und Umweltschützer auch die europäische Rechtsprechung, um mehr Klimaschutz einzuklagen. (Foto: Edward Lich/​AJEL/​Pixabay)

Im Hotel Strandeck auf der Insel Langeoog ist auch nach Pfingsten die Hölle los. Viele Urlauber hängen noch ein paar Tage dran, um in dem Biohotel an der Nordsee zu entspannen. Dabei wollte Hotelbesitzerin Maike Recktenwald eigentlich in Berlin sein, um mit der Hauptstadtpresse über den Klimawandel zu sprechen. Am Donnerstag hat sie zusammen mit zehn Familien aus fünf EU-Ländern sowie Fidschi und Kenia eine Klage am Gericht der Europäischen Union eingereicht.

"Im Nationalpark Wattenmeer leben wir mitten in der Natur und spüren den Klimawandel in unserem Alltag", erklärt Recktenwald. Die Klimaschutzpolitik der EU reiche nicht aus, um die Bürger zu schützen.

Unterstützt von Umweltverbänden und Organisationen wie Germanwatch wollen die Kläger die EU zwingen, höhere Klimaziele zu beschließen. Bisher hat die EU sich nur auf eine CO2-Minderung um 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 geeinigt. Die Klägergemeinschaft fordert mindestens eine Reduktion um 50 bis 60 Prozent.

"Die Kläger sehen ihre Grundrechte durch die Folgen des Klimawandels in Gefahr", argumentiert Anwalt und Juraprofessor Gerd Winter, der die Familien vertritt. "Wir berufen uns auf das Recht auf Berufstätigkeit, den Schutz der Gesundheit und das Eigentumsrecht." Diese Rechte seien aber bereits heute durch den steigenden Meeresspiegel oder Extremwetter verletzt, so Winter.

Die meisten der Familien lebten von Landwirtschaft oder Tourismus und seien den Klimaveränderungen direkt ausgesetzt. Schadenersatz verlangen die Kläger nicht; ihre Forderung sei rein politischer Natur, so der Anwalt.

Für die Klage haben die Familien zusammen mit Umweltorganisationen über 6.000 Seiten Gutachten und Dokumentationen zusammengetragen. Auch Hotelbesitzerin Maike Recktenwald hat Fakten gesammelt, die durch Klimawissenschaftler und Institute wie Climate Analytics in Berlin ergänzt wurden.

"An der Nordsee haben wir neuerdings Ostwind im Sommer und Stürme aus Südwest", berichtet Hotelbesitzerin Recktenwald. "Über kurz oder lang droht zum Beispiel durch starke Niederschläge unser Trinkwassersystem zu kollabieren, weil ungefiltertes Regenwasser in die Reservoire gelangt."

Klimaklagen laufen in mehreren Ländern

Offen ist, ob das Gericht in Luxemburg die Klage zulässt. Eine Hürde könnten die strengen Kriterien des EU-Gerichts sein, wonach eine "exklusive Betroffenheit" gegeben sein muss. Da der Klimawandel aber alle EU-Bürger treffe, könnte das Gericht die Klage abweisen.

"Hier kommen unsere Dokumentationen ins Spiel", erklärt Anwalt Winter. "Wir können nachweisen, inwiefern jede der klagenden Familien in ihren Grundrechten durch den Klimawandel betroffen ist und es auch in Zukunft sein wird."

Nicht nur der Anlass der Klage, sondern auch die Forderung der Kläger ist in der EU eine Premiere. Während in den USA und in Ländern wie den Niederlanden oder der Schweiz bereits mehrere Klimaklagen von Kindern oder Senioren laufen, wird auf europäischer Ebene das erste Mal für eine ehrgeizigere Klimapolitik geklagt. "Wir leisten hier Pionierarbeit", sagt Christoph Bals von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch.

Die Organisation unterstützt bereits die Klage eines peruanischen Kleinbauern gegen den Energiekonzern RWE. Dabei geht es um die Frage, ob RWE für Klimaschäden in den Anden haftbar gemacht werden kann. Kläger Saúl Luciano möchte erreichen, dass der Konzern für Schutzmaßnahmen an dem Gletschersee Laguna Palcacocha aufkommt, der oberhalb seiner Heimatstadt Huaraz liegt.

Ebenso wie dieser Fall könnte die Familienklage die Gerichte Jahre beschäftigen. Ob die Klage gegen die EU-Klimapolitik zulässig ist, soll zumindest innerhalb eines Jahres entschieden sein. Wird die Klimaklage abgewiesen, so Anwalt Winter, wolle man jedoch in Berufung gehen: "Es ist Zeit, dass wir auch von der dritten Gewalt Gebrauch machen, wenn die Politik sich nicht aus eigener Kraft bewegt."

Hat die Klage Erfolg, müssen das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedsstaaten die Klimaziele neu verhandeln. Betroffen davon sind die gerade von der EU verabschiedeten Beschlüsse zum Emissionshandel und zu den Treibhausgas-Zielen für Verkehr und Landwirtschaft.

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