Der Green Deal der EU-Kommission will auch beim Naturschutz endlich Ernst machen. Mehr Schutzgebiete sind geplant, mehr Fördermittel für Artenvielfalt, weniger Chemie in der Landwirtschaft und eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, die bislang Naturzerstörung eher belohnt als verhindert.
Noch sind dies nur Vorschläge, derzeit wird darüber verhandelt – mit ungewissem Ausgang.
Vor allem den europäischen Agrarminister:innen gehen die Vorstellungen der Kommission zu weit, allen voran der deutschen Ressortchefin Julia Klöckner. Die CDU-Politikerin amtiert zurzeit als Vorsitzende des EU-Agrarministerrats, da Deutschland in diesem Halbjahr die Ratspräsidentschaft innehat.
Schon im Mai, als die Kommission ihre Biodiversitätsstrategie für 2030 und ihre "Farm to Fork"-Strategie ("Vom Hof auf den Tisch") vorstellte, nannte Klöckner die Vorschläge "sehr ambitioniert" – das übliche Codewort für "zu weitgehend".
Beim Bauerntag in Erfurt vor wenigen Tagen erklärte die Ministerin, die beiden EU-Strategien würden "etwas über dem Acker schweben" und hätten teilweise "nicht sehr viel mit der Realität zu tun".
Es gibt aber noch eine andere Realität. Die Art der Landwirtschaft, die Klöckner verteidigt, macht Umwelt und Klima kaputt. Und damit auch die Grundlage der Landwirtschaft, an deren Erhaltung eigentlich auch den Landwirt:innen und der Ministerin gelegen sein müsste.
Wie viel Schaden die intensivierte, exportorientierte Landwirtschaft in der EU anrichtet, hat die Europäische Umweltagentur EEA nun in einem Bericht zum "Zustand der Natur in der EU" detailliert beschrieben.
"Drastischer Rückgang der biologischen Vielfalt in Europa"
Der Bericht stützt sich auf die gemeldeten Daten der Mitgliedsländer und stellt laut EEA die umfangreichste und umfassendste Erhebung und Berichterstattung über den Zustand der Natur in Europa dar. Die Angaben umfassen den Zeitraum von 2013 bis 2018.
Zeitgleich hat die EU-Kommission die Ergebnisse des Berichts zusammengefasst und an das EU-Parlament, den EU-Ministerrat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss übermittelt.
Der Zustand der Natur in der EU ist schlecht, zeigt die EEA-Analyse. Und er hat sich gegenüber früheren Erhebungen weiter verschlechtert. Die Behörde spricht von einem "drastischen Rückgang der biologischen Vielfalt in Europa".
Nur noch 47 Prozent aller Vogelarten weisen einen guten Populationszustand auf, das sind fünf Prozentpunkte weniger als im letzten Berichtszeitraum von 2008 bis 2012.
Bei den durch EU-Gesetze besonders geschützten Tierarten jenseits der Vögel befinden sich nur 27 Prozent in einem guten Erhaltungszustand. Hier gibt es eine leichte Verbesserung um vier Prozentpunkte gegenüber den letzten Berichtszeitraum. Bei 63 Prozent ist der Zustand "unzureichend" oder "schlecht".
Besonders bedenklich fallen die Lebensraumbewertungen aus. Nur noch bei 15 Prozent der Lebensräume lässt sich ein guter Erhaltungszustand feststellen. 81 Prozent sind in einem mangelhaften bis schlechten Zustand, eine Steigerung um sechs Prozentpunkte. Das heißt, die Funktionsfähigkeit als natürlicher Lebensraum für Tiere und Pflanzen ist stark eingeschränkt.
Für das Klima wichtige Lebensräume sind besonders unter Druck
Nur bei neun Prozent der als schlecht bewerteten Lebensräume gibt es einen Trend zur Verbesserung, während sich mehr als ein Drittel weiter verschlechtert hat.
Den höchsten Anteil an Verschlechterungstendenzen mit jeweils über 50 Prozent weisen Moore, Grünland und Dünen auf – ausgerechnet die Lebensräume, die nicht nur eine hohe Artenvielfalt haben, sondern auch als CO2-Speicher von besonderer Bedeutung sind.
Moore beispielsweise gehören zu den wichtigsten Kohlenstoffsenken der Erde. Allerdings nur, wenn sie intakt sind. Bei Entwässerung oder Degradation kehrt sich der Prozess um und sie setzen auf Jahrzehnte bis Jahrhunderte große Mengen an CO2 frei. Mangelnder Moorschutz stellt deshalb eine Gefahr für die Pariser Klimaziele dar.
Eigentlich wollte die EU mit ihrer Biodiversitätsstrategie 2020 in allen Bereichen deutliche Verbesserungen schaffen. Die vor zehn Jahren entworfene Strategie löste den EU-Aktionsplan zur Erhaltung der biologischen Vielfalt von 2006 ab, dessen Ziele nicht erreicht wurden.
Die neue Strategie formulierte sechs Einzelziele, um die Hauptursachen für den Arten- und Lebensraumverlust anzugehen. Dazu zählten die vollständige Umsetzung des EU-Naturschutzrechts, ein besserer Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen und Ökosystemleistungen oder auch eine nachhaltigere Land- und Forstwirtschaft.
Wie der Bericht der Umweltagentur nun zeigt, sind auch diese Ziele verfehlt worden. Der Natur in der EU geht es nicht besser, sondern schlechter.
Hauptverursacher Landwirtschaft und Flächenfraß
Auch die Ursachen nennt der Bericht im Detail. An erster Stelle steht die intensive Landwirtschaft. Sie hat seit den 1950er Jahren die extensive, naturnahe Landwirtschaft verdrängt und trägt "zunehmend zum anhaltenden Verlust der biologischen Vielfalt bei", so die EU-Kommission in ihrer Zusammenfassung.
Bei den landwirtschaftlichen Lebensräumen sind besonders starke Verschlechterungstendenzen zu verzeichnen, sprich: Die Artenvielfalt auf landwirtschaftlichen Nutzflächen nimmt kontinuierlich ab.
Auch die Verstädterung, die mit Sport, Tourismus und Freizeitaktivitäten einhergeht, gehört zu den Hauptursachen der Naturzerstörung. Vor allem Wiesen und Wälder sind betroffen, wenn natürliche und naturnahe Flächen in Wohn-, Siedlungs- oder Erholungsgebiete umgewandelt werden.
Auch die Umweltverschmutzung ist eine Hauptbelastung für viele Lebensräume und Arten. Dabei ist wiederum die Landwirtschaft für fast die Hälfte verantwortlich.
Eine nicht nachhaltige Forstwirtschaft ist ebenfalls ein großer Faktor. Dass abgestorbene, sterbende oder alte Bäume aus dem Wald entfernt werden, schadet der Artenvielfalt genauso wie Kahlschläge und eine Waldbewirtschaftung, die den Altbestand der Wälder reduziert.
Und schließlich: Europäische Naturschutzgesetze und Umweltvorschriften werden von den EU-Staaten nicht ausreichend beachtet und durchgesetzt.
Solange die Gemeinsame Agrarpolitik keine umweltfreundlicheren Anreize setzt, wird sich das auch kaum ändern.