Ein Wassertornado, auch Wasserhose genannt, lässt sich praktisch nicht vorhersagen. (Bild: Th. Walther/​Wikimedia Commons)

Der Untergang einer Luxusyacht vor der sizilianischen Küste wirft weiterhin Fragen auf. Anfang vergangener Woche ist die Segelyacht "Bayesian" 700 Meter vor dem Küstenort Porticello bei Palermo von einem Meerestornado oder einer schweren Fallböe erfasst worden.

Das 700-Tonnen-Schiff riss sich daraufhin vom Anker los und driftete aufs Meer hinaus – manövrierunfähig aufgrund eines Stromausfalls. Nur eine Viertelstunde später sank die Yacht auf den 50 Meter tiefen Meeresgrund.

Von den 22 Menschen an Bord verloren sieben ihr Leben, darunter der britische Software-Unternehmer Mike Lynch, der die Kreuzfahrt veranstaltet hatte, und seine 18-jährige Tochter Hannah Lynch. Außerdem starben vier weitere Gäste und der Schiffskoch.

Der genaue Unglückshergang ist bis heute ungeklärt. Zeug:innen haben beschrieben, dass sich während des Sturms vor dem Untergang der "Bayesian" ein Wassertornado gebildet hat.

Tornados sind schnell rotierende Luftwirbel, die von der Unterseite einer Wolke bis zum Erdboden ("Windhose") oder bis zur Wasseroberfläche reichen ("Wasserhose"). Bilder von Tornados, die durch den mittleren Westen der USA toben, dürften den meisten bekannt sein.

Auch über Meeren und großen Seen tritt das Phänomen auf. Anstelle von Staub und Trümmern, die um den Kern der starken Winde herumgewirbelt werden, wird Wasser von der Oberfläche hochgepeitscht.

Wassertornados treten vor allem in wärmeren Regionen auf und sind als Gefahr für Segler:innen nicht unbekannt. Durch den Anstieg der Meerestemperaturen werden sie nun allerdings auch im Mittelmeer immer wahrscheinlicher.

Feuchte, warme Luft steigt auf und gewinnt in der Höhe an Geschwindigkeit. Das liegt daran, dass während des Aufstiegs durch die Kondensation des Wassers Wärme freigesetzt wird, wodurch sich das aufsteigende Wasser langsamer abkühlt als die Umgebungsluft.

Die aufsteigenden Luftmassen können etwa durch Seitenwinde in Rotation gebracht werden und bilden schließlich einen fast senkrechten Wolkenrüssel. Bis heute sind nicht alle Fragen bezüglich der Entstehung von Tornados geklärt.

Warnungen sind nur in den seltensten Fällen möglich. Tornados entstehen in der Regel in wenigen Minuten und sind schwer vorhersagbar.

Je wärmer die Meeresoberfläche ist, desto mehr Energie steht zur Bildung von Tornados zur Verfügung.

Rekordtemperaturen wenige Tage vor dem Unglück

Tatsächlich erreichte die Oberflächentemperatur des Mittelmeers wenige Tage, bevor die "Bayesian" sank, einen neuen Temperaturrekord. Vor der Küste Ägyptens wurden 28,9 Grad Celsius als Tagesmittelwert gemessen.

Wesentlich besorgniserregender als ein einzelner Rekordwert sei jedoch der seit einiger Zeit beobachtete Temperaturtrend, erklärte Justino Martínez vom Institut für Meeresforschung in Barcelona der französischen Nachrichtenagentur AFP. "Seit 2022 sind die Oberflächentemperaturen über lange Zeiträume hinweg ungewöhnlich hoch, selbst unter den Bedingungen des Klimawandels."

Der weltweite Temperaturanstieg der Meere stellt die Wissenschaft seit Beginn des letzten Jahres vor Rätsel. Es ist bekannt, dass die Meere 90 Prozent der durch den menschengemachten Klimawandel erzeugten überschüssigen Hitze absorbieren.

Doch die Temperaturkurve liegt seit mindestens 16 Monaten weit über dem, was Wissenschaftler:innen erwartet hatten.

"Was passiert hier?", fragte Klimaforscher Johan Rockström kürzlich in einem Ted-Talk, während hinter ihm eine Grafik der Temperaturkurven der Weltmeere an die Wand projiziert war. "Wir müssen ehrlich sein. Wir wissen es nicht."

Das natürliche Wetterphänomen El Niño könne einen Teil der Anomalie erklären, so Rockström, aber eben nicht alles. Zumal sich das im Pazifik entstehende Phänomen nur indirekt auf die Temperaturen des Mittelmeers auswirkt.

Schon immer sind über dem Mittelmeer im Spätsommer und Herbst, wenn die Wassertemperaturen am höchsten sind, Meerestornados aufgetreten. Doch mit dem Temperaturanstieg sind die Entstehungsbedingungen nun schon früher im Jahr gegeben.

Der britische Sender BBC berichtete mit Verweis auf das Internationale Zentrum für Wassertornado-Forschung, dass allein am 19. August, dem Tag des Unglücks, 19 Tornados vor der italienischen Küste bestätigt wurden.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kapitän

Alle Fragen um das Yacht-Unglück können die Wetterverhältnisse allerdings nicht erklären. Trotz des Unwetters ist es überraschend, dass das Schiff innerhalb weniger Minuten gesunken ist.

Eine mögliche Erklärung ist, dass das Kielschwert nicht ausgefahren war. Wenn das Schiff durch den Wind umgekippt wäre, hätte es sich nicht mehr von selbst aufstellen können.

Zudem könnten Luken nicht verschlossen worden sein, wodurch die Yacht schnell mit Wasser vollgelaufen wäre.

Der Software-Unternehmer Michael Lynch war im Zusammenhang mit dem Verkauf seiner Firma Autonomy wegen Betrugs angeklagt worden. Kurz vor dem Unglück war Lynch allerdings freigesprochen worden.

Dass nur zwei Tage vor seinem Tod auch einer seiner Geschäftspartner ums Leben kam, führt nun zu zahlreichen Verschwörungstheorien über das Schiffsunglück.

Dass nur eines der zwölf Crew-Mitglieder, aber sechs der sieben Passagiere starben, heizte die Fantasie vieler Journalist:innen und Social-Media-Nutzer:innen weiter an.

Wahrscheinlicher ist menschliches Versagen und ein bisher für das Mittelmeer vergleichsweise ungewöhnliches Wetterphänomen.

Die italienische Staatsanwaltschaft nimmt derweil den Kapitän der Yacht ins Visier. Sie hat ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Verursachung eines Schiffbruchs eingeleitet.