Wer schon mal einen Sommerurlaub im Emsland gemacht hat, verbindet die Region vermutlich eher mit "Schietwetter" als mit "Bullenhitze". Dass die Zeiten der kühlen Brise im Norden vorbei sein könnten, darauf hatte eine Mitteilung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) am 25. Juli hingedeutet: 42,6 Grad hatte der DWD in Lingen, einer Kleinstadt im südlichen Emsland, gemessen.
Gestern haben Meteorologen des privaten Dienstleisters Wetteronline den Wetterrekord jedoch für unbrauchbar erklärt: "Wetteronline wird aus den dargelegten Gründen den Wert aus Lingen nicht mehr als Rekord aufführen."
Die dargelegten Gründe lassen sich laut Wetteronline schon bei einem kurzen Blick auf die Lingener Messstation (Foto) nachvollziehen. "Dichte Hecken und eine hohe Baumreihe in nächster Nähe zum Thermometer" sind für die Meteorologen sichere Anzeichen für eine systematische Messdatenverzerrung.
"Extremwerte, die deutlich vom Umland abweichen"
Der Bewuchs habe sich in den vergangenen Jahren derart verstärkt, dass sich die Hitze bei wenig Wind und viel Sonneneinstrahlung stauen könne, sagte Matthias Habel von Wetteronline. "In der Folge werden Extremtemperaturen gemessen, die deutlich von Messungen im Umland abweichen."
Der Deutsche Wetterdienst weist die Vorwürfe zurück. "Ich sehe in den Kritiken eine Wiederholung von Argumenten, die im Wesentlichen auf einem Bild fußen, das wohl ein Privatmann von unserer Wetterstation gemacht hat", erklärt DWD-Sprecher Andreas Friedrich.
Der Wert sei am 25. Juli gemessen und am 26. Juli geprüft worden und gelte für die ganze Region Lingen. "Sowohl die Sensoren als auch die Ventilation, das heißt, ob die Windzufuhr in Ordnung war, wurden geprüft", so Friedrich. Auch der Verlauf der gemessenen Werte und die Messfeldbedingungen seien normgerecht gewesen, sodass der Rekord vom DWD offiziell anerkannt wurde.
Die Kritiker machen wiederum geltend, dass Lingen regelmäßig mit höheren Temperaturen im Vergleich zu umliegenden Orten hervorsteche. "Die in Lingen gemessenen Spitzenwerte sind für nationale wie internationale Vergleiche einer Hitzewelle schlicht unbrauchbar", sagte Habel von Wetteronline. "Der Fehler kann je nach Wetterlage ein bis drei Grad betragen."
Es sei fragwürdig, einen solchen Rekord anzuerkennen, zumal der DWD schon seit 2014 überlege, die Messstation zu versetzen.
"Die Pläne zur Verlegung haben einen anderen Grund"
Dem entgegnet DWD-Sprecher Friedrich, dass Temperaturunterschiede innerhalb eines Geländes "völlig normal" seien. Die Werte könnten variieren, weil die Sonne den Boden erwärme und sich so turbulente Wärmeflüsse bildeten. Dann verteile sich mit dem Wind die warme Luft, die dann an das Thermometer gelange.
"Es gibt keinen Grund, einen Wert als irregulär zu bezeichnen, weil eine Wetterstation 1,5 bis zwei Grad höhere Werte gemessen hat als die anderen. Da kennt man die Einflüsse eines lokalen Klimas nicht", sagt Friedrich.
Der DWD diskutiere zwar schon länger, die Wetterstation in Lingen zu verlegen, aber nicht, weil die Meteorologen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Messungen hätten, sondern weil es bei der Wetterstation ein leer stehendes Gebäude gebe, das verkauft werden solle. Mit der Veräußerung bekäme das Messfeld eine andere Nutzung, korrigiert Friedrich die Gründe der Verlegung.
Andere Messungen des Deutschen Wetterdienstes zweifelt Wetteronline nicht an. Der DWD hatte in der vergangenen Woche an vielen Messstationen Spitzenwerte gemessen. Aufgefallen sind aber vor allem Rekorde im südlichen Niedersachsen und im westlichen Nordrhein-Westfalen.
"Entscheidend ist die Dauer der Hitzewelle"
DWD-Experte Friedrich erklärt, dass die hohen Temperaturen auf heiße Luft aus Afrika zurückzuführen sind. Durch trockene Luft und mehrtägigen Sonnenschein hätten sich die Luftmassen extrem erhitzt. Da Lingen sehr niedrig liegt und es viele trockene Felder in der Umgebung gibt, konnte Friedrich zufolge die Kleinstadt im Nordwesten besonders hohe Temperaturen vorweisen.
Auch der Meteorologe Andreas Bott von der Universität Bonn sieht keinen Grund, den Messdaten des DWD zu misstrauen. "Mir ist nicht ganz klar, wieso Wetteronline anfängt zu gucken, ob das Thermometer neben einer Hecke steht", sagt der Bonner Professor gegenüber Klimareporter°. Für ihn ist der Streit um solche Temperaturen, ob Rekord oder nicht, unverständlich.
"Die 42,6 Grad sind nur ein Wert", sagt auch Friedrich vom DWD. "Das Entscheidende für uns Meteorologen und Klimatologen ist die Dauer der Hitzewelle." In Deutschland wurden an sehr vielen Stationen mehr als 40 Grad gemessen, betont er. "Das gab es davor in über 130 Jahren nur zehn Mal in Deutschland."