Von der jüngsten Hochwasser-Katastrophe in Mittel- und Osteuropa sind fast zwei Millionen Menschen betroffen, mindestens 24 Todesopfer sind zu beklagen. Nachdem das Wasser in den meisten Regionen inzwischen zurückgegangen ist, zeigt sich, dass die Aufräum- und Wiederherstellungsarbeiten teilweise Jahre dauern werden.
Analysen von Klima-Fachleuten haben unterdessen gezeigt, dass die Intensität der Unwetter mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Klimawandel beeinflusst wurde.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte bei einem Besuch im polnischen Flutgebiet um Wrocław (Breslau) jetzt finanzielle Hilfe in Höhe von zehn Milliarden Euro für die von den Überschwemmungen betroffenen Länder zu. Das Geld sei aus dem EU-Kohäsionsfonds mobilisierbar, sagte sie. "Das ist jetzt eine Notfallreaktion."
Es sei "herzzerreißend", die Zerstörungen zu sehen, so von der Leyen. Mit dem Fonds wird eigentlich wirtschaftlich unterentwickelten Regionen geholfen, um die Ökonomie dort in Schwung zu bringen und soziale Unterschiede auszugleichen. Er gehört zu den EU-Strukturfonds, einem der größten Posten im Gemeinschaftsetat. Die Gelder sollen nun schnell fließen.
"Jeder Euro für Vorsorge zahlt sich mehrfach aus"
Normalerweise müssen die Empfängerländer auch eigenes Geld bereitstellen, wenn sie von den EU-Mitteln profitieren wollen. Hier soll es nun eine Ausnahme geben. "Es sind außergewöhnliche Zeiten, und außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen", erklärte von der Leyen dazu.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk hatte die Kommissionspräsidentin nach Wrocław eingeladen. Anwesend waren dort auch die Regierungschefs Österreichs, Tschechiens und der Slowakei, Karl Nehammer, Petr Fiala und Robert Fico, um über die Hilfen nach den Überschwemmungen zu beraten.
Nach Zahlen des Europaparlaments ist bei den schweren Unwettern in nur wenigen Tagen das Drei- bis Vierfache der durchschnittlichen monatlichen Regenmenge vom Himmel gekommen. Solche Ereignisse würden schnell zur Norm für die Zukunft, sagte der für Krisenprävention zuständige EU-Kommissar Janez Lenarčič in einer Rede vor dem Europaparlament.
Nötig sei daher mehr Vorbeugung. "Jeder Euro, der in Prävention und Vorsorge investiert wird, bringt in der Regel zwischen zwei und zehn Euro an vermiedenen Verlusten, Reaktionskosten und anderen Vorteilen zurück", rechnete Lenarčič vor.
Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke betonte in dem Zusammenhang, extreme Wetterereignisse hätten in den EU-Staaten zwischen 1980 und 2022 bereits Schäden in Höhe von schätzungsweise 650 Milliarden Euro angerichtet.
Die neue parteilose EU-Abgeordnete Carola Rackete, die auf der Linken-Liste kandidiert hatte, forderte, Geld unter anderem von Öl- und Gaskonzernen abzuschöpfen, um es für die Begleichung der Schäden zu verwenden.
Mittelmeertief bringt noch mehr Regen
Umfangreiche Studien zu der Frage, inwieweit die Flutkatastrophe vom Klimawandel beeinflusst wurde, liegen noch nicht vor. Eine Kurzanalyse des EU-geförderten Forschungskonsortiums Climameter zeigte jedoch, dass die globale Erwärmung eine wichtige Rolle bei Auslösung der Starkregen-Episode hatte.
Das zwischen zwei Hochdruckgebieten eingeklemmte Tief Boris hatte die Regenmengen in den betroffenen Gebieten zusammen mit den vorher gefallenen Mengen auf bis zu 400 Liter pro Quadratmeter anschwellen lassen. Im österreichischen St. Pölten zum Beispiel fielen in nur vier Tagen 361 Liter pro Quadratmeter.
Climameter zufolge kann die natürliche Klimavariabilität die Intensität der von Boris gebrachten Niederschläge nicht erklären. Extreme Regenereignisse wie dieses seien heute bis zu 20 Prozent stärker als vor 25 Jahren, teilte die Forschungsgruppe mit. Das Tiefdruckgebiet sei ein sehr ungewöhnliches Ereignis gewesen, sowohl in Bezug auf die Niederschlagsmenge als auch beim Druckmuster.
Boris – in Deutschland "Anett" genannt – kam aus dem Mittelmeerraum, der seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nie so warm war wie diesem Jahr. Das Tief konnte sich daher durch das verdunstende Wasser mit mehr Feuchtigkeit aufladen, als es früher möglich gewesen wäre.
Auch die Hochwasserexpertin Heidi Kreibich vom Geoforschungszentrum Potsdam betonte, dass Mitteleuropa sich zunehmend auf Ereignisse wie das jüngste Hochwasser einstellen müsse. Auslöser der Megafluten seien die großen Regenmengen infolge der einer sogenannten Fünf‑B-Wetterlage gewesen, erläuterte sie.
Zwar lassen sich nur fünf Prozent aller europäischen Tiefdruckgebiete diesem Zugbahntyp zuordnen, sie verursachen jedoch häufig großflächige Regenereignisse in Mitteleuropa, so wie bei den Hochwassern 2002 und 2013 in Ostdeutschland. Kreibich zufolge haben Studien gezeigt, dass es in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Zunahme extremer Hochwasserstände in Mitteleuropa, aber auch im nordwestlichen Europa gab.
Die Klimaforscherin Friederike Otto vom Imperial College London sagte dazu: "Wir wissen, dass verheerende Regenfälle aufgrund der durch fossile Brennstoffe verursachten Erderwärmung stärker und wahrscheinlicher sind." Diese Tendenz werde noch zunehmen.
Solange weiterhin Öl, Gas und Kohle verbrannt würden, "werden starke Regenfälle und andere Wetterextreme zunehmen und das Leben auf unserem Planeten gefährlicher und teurer machen", sagte Otto. Auch hoch entwickelte Länder wie Deutschland seien vor den Folgen des Klimawandels nicht sicher.
Friederike Otto hat den Teilbereich der Klimawissenschaft federführend mitaufgebaut, der Attributionsforschung genannt wird. Darin wird das heutige, veränderte Klimageschehen mit einem Klimazustand verglichen, wie er ohne zusätzliche Treibhausgase in der Atmosphäre wäre.
Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Hochwasser und Amnesie
Redaktioneller Hinweis: Friederike Otto gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.