Wir leben im Anthropozän, dem geologischen Zeitalter, in dem der Mensch zum bestimmenden Faktor auf der Erde wurde. Die Spezies Homo sapiens verändert den blauen Planeten in einer Weise und in einer Schnelligkeit, wie es in früheren Zeiten undenkbar war. Sichtbar wird das an einer ganzen Reihe von Phänomenen – am Klimawandel, an der Vernichtung der Urwälder, an Bodenerosion und Ausbreitung der Wüsten.
Im Wortsinne plastisch wird das Anthropozän, wenn man es als Kunststoff-Ära begreift. Geologen werden noch in Tausenden von Jahren den Beginn dieses Erdzeitalters leicht bestimmen können – anhand des Plastikmülls, der sich seit den 1950er Jahren praktisch überallhin ausgebreitet hat. Schleichend ist ein Problem entstanden, für das neue Lösungen gebraucht werden, was auch immer mehr Politiker begreifen. Nicht umsonst hat die EU-Kommission jüngst eine umfassende "Plastikstrategie" vorgelegt.
Der Siegeszug der "Kunst-Stoffe" begann Mitte des vorigen Jahrhunderts. Seither sind rund 8,3 Milliarden Tonnen der Materialien produziert worden, die aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sind. Kunststoffe sind wichtige Werkstoffe für die Wirtschaft überall in der Welt; ohne sie sind Autos, Computer oder Handys nicht denkbar, sie finden sich in Kleidung, Möbeln, Spielzeug, Medizinprodukten, aber weltweit mit steilen Wachstumskurven auch in Wegwerf- oder Verbrauchsprodukten wie Verpackungen, Plastiktüten und Kosmetik.
Jährlich werden rund 400 Millionen Tonnen davon produziert. Bis 2050, so die Prognose, könnte die Menge auf das Vierfache steigen, wenn nicht umgesteuert wird. Heute werden schon vier bis acht Prozent des globalen Erdöl- und Erdgasverbrauchs für die Kunststoff-Herstellung eingesetzt, oft für extrem kurzlebige Produkte, die danach verbrannt oder unsachgemäß entsorgt werden.
Umsteuern in Schwellenländern ist der Schlüssel
Das Umsteuern ist also dringend nötig. Denn die negativen Folgen des Plastikbooms sind inzwischen nicht mehr zu übersehen. Der Mensch hat mit seinen Kunststoff-Abfällen gigantische Plastikstrudel auf den Weltmeeren erzeugt. Der größte zwischen Hawaii und Kalifornien hat nach einer am Donnerstag in der Zeitschrift Nature Scientific Reports veröffentlichten Studie eine Fläche von rund 1,6 Millionen Quadratkilometern erreicht, die dreifache Fläche Frankreichs.
Rund acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in den Ozeanen. Der Müll schädigt die Tierwelt, er kostet jedes Jahr rund eine Million Seevögel und 100.000 Meeressäuger wie Wale, Delfine und Robben das Leben. Doch auch an Land sind die ökologischen und ökonomischen Schäden gravierend. Vor allem in Entwicklungsländern, wo Plastik oft nicht geordnet entsorgt wird, werden Städte, Dörfer und Küsten zugemüllt, allein die Tourismusindustrie erleidet Millionenschäden.
Damit nicht genug. Das Plastikzeitalter hat praktisch die ganze Erde fein verteilt mit Kunststoffpartikeln in Mikro- und Nanogröße überzogen, wobei Forscher diese "terrestrische" Belastung für langfristig sogar noch gefährlicher halten als die der Ozeane. Die Mini-Plastikteilchen, die auch gesundheitsgefährdende Zusatzstoffe wie Weichmacher und Stabilisatoren enthalten, landen am Ende wieder direkt bei uns. Sie sind in Speisefisch wie Kabeljau und Makrele gefunden worden, jüngst sogar in Flaschen-Mineralwasser.
Experten halten das spektakulärste Problem, die weitere Vermüllung der Meere, grundsätzlich für lösbar – durch den Aufbau von funktionierenden Sammel- und Recyclingsystemen für den Plastikabfall in Schwellen- und Entwicklungsländern, wie sie in vielen Industriestaaten Standard sind. Der Großteil des Kunststoffmülls gelangt aus asiatischen und afrikanischen Staaten wie China, Indonesien, den Philippinen, Ägypten und Nigeria von Land aus über die Flüsse in die Ozeane und könnte durch solche Maßnahmen ferngehalten werden.
Ein Abkommen nach dem Vorbild des Klimavertrags
Leider ist das Problembewusstsein in diesen Ländern noch gering. Man kann es daran ablesen, dass sich von den Haupt-Vermüllern bisher nur Indonesien der 2017 von den UN gestarteten Kampagne "Clean Seas" angeschlossen hat. Das zeigt, es muss erst noch viel Aufbauarbeit geleistet werden, bevor beim Plastikproblem ein Bewusstseinsstand wie in der Klimafrage erreicht werden kann.
Trotzdem muss das Ziel sein, einen internationalen, völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zu erreichen, in dem sich die Staaten verpflichten, die Umweltverschmutzung durch Plastik zu beseitigen. Und das nicht nur in den Meeren, sondern ganz grundsätzlich in allen Ökosystemen. Vermeidung, Mehrfachverwendung und Etablierung einer geschlossenen Plastik-Kreislaufwirtschaft sind die Stichworte. Der Berliner Experte Nils Simon hat dazu einen Vorschlag vorgelegt, der sich am 2015 verabschiedeten Pariser Klimaabkommen orientiert – eine Konvention mit einem verbindlichen, übergreifenden Ziel, kombiniert mit nationalen Aktionsplänen.
Diese Idee voranzubringen wäre eine Aufgabe für die EU, die ja auch schon bei der Etablierung des internationalen Klimaschutz-Regimes eine solche Vorreiterrolle übernommen hatte. Die Autorität dafür hätte sie, gilt doch ihre Plastikstrategie, mit der zum Beispiel EU-weit bis 2030 sämliche Plastikverpackungen wiederverwertbar sein sollen, als weltweit wegweisend. Der "Grüne Punkt", erfunden vor dreißig Jahren in Deutschland vom damaligen Umweltminister Klaus Töpfer, war nur der erste Schritt. Nun braucht es den Schritt in eine Kunststoff-Ökonomie ohne Abfall.