Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Tim Meyer. (Foto: Naturstrom)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Meyer, Deutschland gehörte 2018 erstmals zu den drei Staaten, die am stärksten von Hitzewelle, Dürren und Stürmen betroffen waren. Das zeigt der Klima-Risiko-Index, den Germanwatch auf dem Klimagipfel in Madrid vorgelegt hat. Das ist ein gutes Argument, um die deutsche Klimapolitik nachzuschärfen, oder?

Tim Meyer: Seit Jahren gibt es viele gute Argumente, die deutsche Klimapolitik nicht nur nachzuschärfen, sondern offensiv voranzutreiben.

Dass die Auswirkungen des Klimawandels nun immer stärker auch hierzulande ankommen und von vielen Menschen deutlicher wahrgenommen werden, kann aber tatsächlich helfen, die Dringlichkeit zu unterstreichen.

Gleichzeitig müssen wir uns im Klaren sein, dass bei vielen Menschen mehr Wissen über den Klimawandel und mögliche Lösungswege nicht automatisch zu mehr Handeln führt. Zu unbedeutend scheint vielen ihr eigener Beitrag oder zu lähmend die Größe des Problems.

Hier ist die Politik in der Pflicht, nötige Weichenstellungen vorzunehmen, Änderungen anzureizen und positiv zu begleiten. Und wir müssen Wege finden, die Modernisierung unserer Infrastruktur und Lebensweise bei den Leuten als Chance und als positive Veränderung auch für das eigene Leben spürbar zu machen.

Das umstrittene Klimapaket der großen Koalition ist im Bundesrat teilweise durchgefallen. Am morgigen Montag trifft sich erstmals der Vermittlungsausschuss, um Nachbesserungen auszuhandeln. Welche Änderungen wären am sinnvollsten?

Ein ganz neues Klimapaket zu verhandeln. Auch wenn das nicht passieren wird.

Ihr Unternehmen Naturstrom hat einen Leitfaden veröffentlicht, wie Bürger auch ohne Eigenheim gemeinsam Solarprojekte realisieren können. Gibt es hier denn Potenziale?

Wir arbeiten seit vielen Jahren gemeinsam mit Menschen vor Ort an der Energiewende. In Genossenschaften, Vereinen oder auch spontan finden sich überall Bürgerinnen und Bürger zusammen, die die Notwendigkeit sehen und Spaß daran haben, Projekte anzuschieben und umzusetzen.

Photovoltaik eignet sich dafür besonders gut, weil sie überall und schon in sehr kleinen Projekten genutzt werden kann. Aber auch ein Solarprojekt zu entwickeln braucht Wissen und Erfahrung, um möglichst viel Erfolg und wenig Frust zu erzeugen. Das soll unser Leitfaden unterstützen.

Dabei ist das Potenzial für gemeinschaftliche Anlagen wirklich riesig: Jede und jeder kennt irgendeinen Gebäudeeigentümer – ob von Supermarkt, Bürogebäude oder Gewerbehalle. Von sich aus kommen viele Eigentümer nicht auf die Idee, ihr Dach für Photovoltaik zu nutzen, oder haben einfach andere Prioritäten. Fremde Investoren prallen da oft ab.

Aber für eine engagierte Gruppe vor Ort, die eine gute gemeinschaftliche Sache vorantreiben will und die dann auch noch positive Erwähnung in der lokalen Presse findet, sind die Ohren viel offener. Unser Leitfaden gibt Hilfestellung, wie diese bislang oft theoretischen Möglichkeiten in die Praxis umgesetzt werden können.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Dass die SPD-Basis mit der Wahl ihres neuen Parteivorstandes ein so deutliches Signal für Veränderung gesetzt hat. Natürlich bleibt abzuwarten, wie Partei, Fraktion und Regierung mit dieser neuen, durchaus herausfordernden Konstellation umgehen.

Die Debatten um den Leitantrag zum Parteitag machen die nach wie vor vorhandenen Beharrungskräfte deutlich. Mit Blick auf die Klimapolitik der Bundesregierung ist aber jeder Impuls für eine wirklich zukunftsorientierte Veränderung wichtig.

Gerade für die Sozialdemokraten könnte dabei die vornehmste Aufgabe darin bestehen, die Härten, die anspruchsvoller Klimaschutz für einige mit sich bringen wird, durch eine kluge und gerechte Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik zu begleiten. So ließe sich moderne Energiepolitik mit progressiver Gesellschaftspolitik verbinden.

Die Mutlosigkeit in diesen Politikfeldern schlägt gerade auch auf die Klimaschutzbemühungen durch. Denn wenn man jeglichen spürbaren Einschnitt oder jede Veränderung im Alltagsleben durch die Klimapolitik vermeiden möchte, dann können zwangsläufig keine wirkungsvollen Maßnahmen dabei herauskommen.

Fragen: Verena Kern