Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Tim Meyer. (Foto: Naturstrom)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Meyer, die Husum-Windmesse wurde von tausenden Entlassungen in der Branche überschattet. Wie kann es bei der Windkraft wieder bergauf gehen?

Tim Meyer: Ich war letzte Woche bei der Husumer Messe, wie auch meine beiden Vorstandskollegen und etliche Mitarbeiter aus Projektentwicklung und Energiehandel. Vor Ort habe ich eine kämpferische Stimmung wahrgenommen.

Windenergie ist neben der Photovoltaik eine der beiden Säulen der Energiewende, das weiß auch die Bundesregierung. An ihr liegt es nun, zusammen mit den Ländern und im Gespräch mit den Verbänden den Knoten zu lösen.

Momentan lassen zu wenig Flächenausweisungen und enge Abstandsregelungen buchstäblich keinen Platz mehr für die Windenergie. Hinzu kommen komplexe Genehmigungsverfahren auf der einen Seite und auf der anderen Seite Klagen, in denen Naturschutzauflagen als reine Verhinderungsinstrumente zweckentfremdet werden.

Der Windgipfel letzte Woche brachte einige warme Worte, aber keine erkennbare Bewegung. Es bleibt zu hoffen, dass nun im Klimakabinett am 20. September endlich etwas passiert. Ziel muss sein, dass wieder mehr Genehmigungen erteilt werden – und die Verfahren deutlich kürzer werden.

An einem Punkt ist neben der Politik aber auch die Branche gefragt: Eine bessere Einbindung der örtlichen Bevölkerung während der Projektentwicklung sowie bei Finanzierung und Betrieb der Anlagen hilft die Akzeptanz zu erhöhen und damit Klagen zu vermeiden.

Die Wohnungswirtschaft hat vom Staat finanzielle Unterstützung für die energetische Sanierung gefordert. Die Politik solle nicht nur auf die Dämmung pochen, sondern Technologieoffenheit ermöglichen und beim Klimaschutz ganze Quartiere – statt wie bislang Einzelgebäude – in den Blick nehmen. Was halten Sie davon?

Im Wärmesektor muss mehr passieren, das steht außer Frage. Insofern ist es richtig, dass die Wohnungs-Verbände und auch der Mieterbund gemeinsam Dampf machen. Erneuerbare Energien können im Wohnbau sowohl beim Strom als auch bei der Wärme eine viel größere Rolle einnehmen.

Die Verbände sagen völlig zu Recht: Das Quartier muss mehr in den Fokus rücken. Denn wer das Quartier im Blick hat, entwickelt deutlich effizientere und kostengünstigere Energielösungen als für Einzelgebäude – etwa über Nahwärme-Verbünde.

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, technologieoffen denken und planen zu können. Eine saubere Strom- und Wärmeversorgung soll die Wohnungswirtschaft aber natürlich nicht davon befreien, in Maßnahmen zu investieren, die den Energieverbrauch der Gebäude senken.

Mehr Dampf im Gebäudebereich brauchen wir auch für solaren Mieterstrom: Die Bundesregierung muss Wort halten und möglichst noch diesen Monat konkrete Verbesserungen auf den Weg bringen. Ein ganz wichtiger Punkt dabei: Komplexität reduzieren und die Wirtschaftlichkeit verbessern. Dann wird Mieterstrom auch in Quartieren interessanter.

Am Wochenende demonstrieren mehrere Bündnisse in Frankfurt am Main für die Verkehrswende und gegen die IAA. Sehen Sie schon Zeichen, dass die Proteste Erfolg haben?

Sie haben schon jetzt Erfolg – immerhin sprechen wir drüber. Die enormen Klima- und Umweltauswirkungen des Verkehrssektors sind im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen.

Das hat zwar nicht direkt etwas mit den Protesten bei der IAA zu tun, zeigt aber, dass es der Umweltbewegung gelungen ist, hier ein Thema zu setzen. Völlig zu Recht, finde ich, denn der SUV-Wahn, den die deutschen Premiumhersteller mit ihrer Produktpolitik bewusst anheizen, ist einfach nur zum Kopfschütteln.

Ganz befremdlich wurde es diese Woche, als der VDA-Präsident verlautbaren ließ, dass Klimaschutz und alternative Antriebe inzwischen ein zentrales Leitmotiv der Branche seien und die IAA als Spiegelbild der Automobilindustrie genau dies auch zeige.

Natürlich geht es nicht nur darum, dass die Autos kleiner und emissionsärmer werden müssen. Es geht auch nicht darum, einfach Verbrenner eins zu eins durch E-Autos zu ersetzen. Mobilität muss sich ganz grundsätzlich wandeln, hin zu mehr Sharing-Lösungen, ÖPNV und Radverkehr.

Kopenhagen und Amsterdam sind oft zitierte Beispiele dafür, wie es besser geht. Wir müssen also nicht einmal das Rad neu erfinden, sondern einfach nur bestehende Lösungen adaptieren und weiterentwickeln. Das ist doch wohl zu schaffen.

Naturstrom engagiert sich selbst übrigens seit einiger Zeit für die Verkehrswende und betreibt Europas größtes innerstädtischen E-Lastenrad-Verleihsystem. Außerdem beliefern wir deutschlandweit über 600 öffentliche Ladesäulen und bieten seit Kurzem einen Ökostromtarif speziell für Halter von Elektroautos an.

Nur an einer unbequemen Wahrheit kommen wir selbst bei nachhaltigen Mobilitätsangeboten nicht herum: Wir brauchen pro Kopf auch weniger Transport- und Reisekilometer.

Für kommende Woche ruft das "Bündnis Bürgerenergie" bundesweit dazu auf, am 28. September "Solarpartys" zu veranstalten. Wie würden Sie Nachbarn von einer Solaranlage überzeugen?

Ganz platt gesagt: Solarenergie lohnt sich und fühlt sich auch noch gut an. Denn was gibt es Schöneres, als sich zu günstigen Preisen mit hausgemachtem, sauberem Sonnenstrom selbst zu versorgen? Die eigentliche Frage lautet ja mittlerweile eher: Was hält dich noch ab, Photovoltaik aufs Dach zu legen?

Apropos Solarpartys: Auch die Berliner Möckernkiez-Genossenschaft richtet schon am 26. September gemeinsam mit dem Bündnis Bürgerenergie, der 100-Prozent-Erneuerbar-Stiftung und uns eine solche Party aus. Das freut mich natürlich sehr, denn wir haben das Energiekonzept für den Möckernkiez geplant und umgesetzt – mit solarem Mieterstrom, Nahwärme aus Biogas und Ladesäulen für Elektroautos.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Rückkehr der Klimakanzlerin. Dass Frau Merkel bei der Generaldebatte im Bundestag beim Thema Klimaschutz vergleichsweise emotional wird, hat mich schon überrascht.

Sie muss im Klimakabinett ihren Worten nun auch Taten folgen lassen: mit klaren Weichenstellungen für die kurzfristige Einführung einer CO2-Bepreisung mit sozial ausgewogenem Kostenausgleich, für deutlich mehr Zubau bei Windenergie und Photovoltaik und für einen echten Einstieg in die Wärme- und Verkehrswende.

Für Angela Merkel wäre dies die wahrscheinlich letzte Gelegenheit, ihre Kanzlerschaft zu vergolden. Denn wenn in diesem Herbst nichts passiert, wird sie – zumindest, was den Klimaschutz angeht – als Ankündigungskanzlerin in die Geschichte eingehen. Bislang hat sie viel versprochen, aber so gut wie nichts gehalten – und dabei viel, viel wertvolle Zeit vertan.

Fragen: Friederike Meier