Auch wenn die Klimakrise derzeit neben Corona, Ukraine-Krieg und Preisschock eher wieder ein mediales Nischendasein fristet, ist die Sorge der Menschen um das Klima ungebrochen. Das zeigt eine kürzlich zum "Earth Day" veröffentliche Umfrage des französischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos in 31 Industrie- und Schwellenländern, darunter Deutschland.
Dort gaben fast 60 Prozent der Befragten an, über die in Deutschland bereits zu beobachtenden Auswirkungen des Klimawandels besorgt zu sein. Über die Folgen der Erderwärmung in anderen Ländern zeigten sich hierzulande 68 Prozent besorgt.
Etwas mehr als ein Drittel der Befragten machte sich auch in den letzten zwei bis drei Wochen große Sorgen wegen der Klimakrise – in allen Ländern zusammengenommen war es fast die Hälfte.
Besonders interessant an der Ipsos-Umfrage ist, welche Verantwortung einzelnen Wirtschaftsbereichen zugewiesen wird, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. 76 Prozent der Deutschen sehen hier vor allem Energieunternehmen in der Pflicht.
Autohersteller und Fluggesellschaften folgen mit jeweils 73 Prozent, öffentliche Verkehrsbetriebe sowie Technologie- und Elektronikfirmen mit je 69 Prozent.
Finanzdienstleister (47 Prozent der Befragten) und das Gastgewerbe (48 Prozent) tragen dagegen in der öffentlichen Wahrnehmung eine vergleichsweise geringe Klima-Verantwortung.
Per Los ausgewählt
So gesehen darf man gespannt sein, welche Empfehlungen an die Berliner Politik der heute startende Klima-Bürger:innenrat aussprechen wird. Das sollen die 100 zufällig, aber repräsentativ Ausgelosten in insgesamt acht Sitzungen bis Ende Juni schaffen.
Die Stadt könnte in 20 bis 25 Jahren klimaneutral sein, ergab eine vom Berliner Senat in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel "Berlin Paris-konform machen". Zwar habe Berlin seit 1990 schon rund 40 Prozent CO2 eingespart. Die Energie komme aber immer noch zu 92 Prozent aus fossilen Quellen, und Photovoltaik habe gerade mal einen Anteil von einem halben Prozent, so die im August letzten Jahres veröffentlichte Studie.
"Wir freuen uns, dass im Klima-Bürger:innenrat so viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen, um sich darüber zu verständigen, wie Berlin das 1,5-Grad-Ziel einhalten kann", gab Felix Nasser von der Volksinitiative Klimaneustart das Ziel vor.
Klimaneustart hatte zusammen mit dem Verein Mehr Demokratie Berlin/Brandenburg eine Volksinitiative für einen Klima-Bürger:innenrat auf den Weg gebracht und dafür rund 32.000 Unterschriften gesammelt. Vor einem Jahr stimmte das Berliner Abgeordnetenhaus dann mit den Stimmen der regierenden rot-grün-roten Koalition für die Umsetzung der Volksinitiative.
Der Bürger:innenrat wird von sogenannten Themenpat:innen aus der Wissenschaft unterstützt. Klimaneustart und Mehr Demokratie richteten zudem einen Begleitkreis ein, in dem Wirtschaft und Zivilgesellschaft vertreten sind.
Unternehmen und Verbände könnten zum Beispiel in Erfahrung bringen, für welche Klimaschutzmaßnahmen es wie viel Akzeptanz in der Bevölkerung gibt, und das in ihrer Arbeit berücksichtigen, erläuterte Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie.
Berliner Wirtschaft zeigt sich offen
Auch die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), die dem Begleitkreis angehört, zeigt großes Interesse an den Empfehlungen der Bürger:innen. Es gebe schon viele gute Beispiele für nachhaltiges Wirtschaften in Berlin – etwa ein Gewerbequartier, das schon heute die Klimaziele von 2050 erreiche –, sagte Henrik Vagt von der IHK Berlin.
Die Industrie- und Handelskammer hat sich allerdings zur gleichen Zeit für den Weiterbau der umstrittenen Stadtautobahn A 100 durch die östliche Berliner Innenstadt ausgesprochen, den die Berliner Regierungsparteien ablehnen.
Klimaneutralität bis 2045 sei für die Hauptstadt – wie für ganz Deutschland – ein zu anspruchsloses Ziel, kritisiert dagegen Fridays for Future Berlin, mit Ada Spieß ebenfalls im Begleitkreis vertreten. Endlich könnten nun auch Berliner:innen darüber diskutieren, wie die Stadt auf sozial gerechtem Weg ihren Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze leisten kann, sagte Spieß.
"Wir hoffen, dass die Empfehlungen der Bürger:innen zeigen, dass eine immense Bereitschaft und Akzeptanz in der Bevölkerung für die nötigen Maßnahmen für Klimagerechtigkeit besteht – anders, als es von Politiker:innen gerne dargestellt wird", so die Klimaaktivistin.
Dass Bürgerräte sinnvoll sind, hat sich mehrfach gezeigt. Im Juni vergangenen Jahres hatte der bundesweite "Bürgerrat Klima" recht ehrgeizige Empfehlungen vorgelegt, darunter viele Maßnahmen, die die Bundesregierung – damals noch aus Union und SPD – ablehnte: Kohleausstieg bis 2030, Tempolimit 120/80/30, teureres Fliegen und Autofahren, dafür günstigerer öffentlicher Verkehr.