Noch nie gab es ein besseres Wahlergebnis, wenn es darum ging, wer die Grünen künftig anführen soll: Mit nicht weniger als 97 Prozent der Stimmen wurde Annalena Baerbock auf dem Parteitag der Grünen in Bielefeld erneut zur Parteichefin gewählt. Robert Habeck, die zweite Hälfte des bisherigen Spitzenduos, wurde auch mit starken Zahlen in seinem Amt bestätigt. Er bekam 90 Prozent der Stimmen.
Seit knapp zwei Jahren sind Baerbock und Habeck, beide Angehörige des Realo-Flügels, Parteichefs. Ihre Wiederwahl galt im Vorfeld als sicher, Gegenkandidaten gab es nicht.
Beide Parteichefs spielten in ihren Reden auf eine mögliche Regierungsbeteiligung der Grünen an. "Wir sind eine politische Kraft, die den Auftrag zur Gestaltung hat", sagte Habeck in seiner Bewerbungsrede am Samstag.
"Wir müssen breitere Bündnisse schaffen, und zwar nicht mit denen, die genauso ticken wie wir, sondern gerade mit denen, die uns herausfordern", sagte Baerbock, die sich offenbar rhetorisch startklar für den Moment macht, in dem eine Koalition mit der Union im Raum steht. "Nur so können wir verändern, statt nur zu versprechen."
Neue Parteilinie in der Klimapolitik
Beide rückten in ihren Reden die Klimakrise in den Mittelpunkt, die nach Meinungsumfragen für die meisten Deutschen zum drängendsten Thema geworden ist. Auf dem Parteitag soll es darum noch intensiver gehen, die Bundesdelegierten stimmen über eine neue Parteilinie in Sachen Klimapolitik ab – allerdings erst am Sonntag.
Der Bundesvorstand hat dafür gemeinsam mit mehreren Bundesarbeitsgemeinschaften der Partei einen Leitantrag erarbeitet, der "Maßnahmen für ein klimaneutrales Land" fordert.
Unter anderem soll ein viel höherer CO2-Preis anfallen als der von der Bundesregierung vorgesehene, für Autos mit Verbrennungsmotoren soll es ab 2030 keine Neuzulassungen mehr geben, der Einbau von Ölheizungen soll verboten werden.
"Radikal realistisch" seien die vorgeschlagenen Maßnahmen für die verschiedenen Wirtschaftssektoren, heißt es in dem Antrag. Die Wortwahl macht den Spagat deutlich, vor dem die Partei steht: Einerseits geht es darum, eine Alternative zum unzureichenden Klimapaket der Bundesregierung zu präsentieren, andererseits will man sich als geeigneter Regierungspartner zeigen.
Der Leitantrag ist in der Partei durchaus umstritten. Der linke Flügel und große Teile der Grünen Jugend wünschen sich noch wirksamere Pläne. Davon zeugen auch die 277 eingereichten Änderungsanträge.
Die Kanzlerfrage
Neben solchen inhaltlichen Fragen steht nach der Bestätigung der beiden Parteichefs noch eine weitere Personalie im Raum, wenn auch noch nicht auf der Tagesordnung: Wird jemand grüner Kanzlerkandidat – und wenn ja, wer?
Beide Parteichefs waren schon vor dem Parteitag in Bielefeld dafür gehandelt worden. Bei der Wahl zum Vorsitz im vergangenen Januar hatte Habeck noch deutlich besser abgeschnitten als die damals relativ unbekannte Energiepolitikerin Baerbock, was seiner Aufstellung mehr Legitimität gegeben hätte. Dieses Argument besteht nun natürlich nicht mehr.