Ein gefüllter Kühlschrank
Einen alten Kühlschrank auszutauschen lohnt sich wegen des hohen Stromverbrauchs immer. Auch fürs Klima? (Foto: Pexels/​Pixabay)

Seit 25 Jahren sind in der Europäischen Union Waschmaschine, Fernseher und Co mit den bunten Etiketten versehen, die den Kunden mittels Energieeffizienzklassen verraten, ob ein Gerät vergleichsweise viel oder wenig Strom verbraucht.

Neun von zehn Europäern kennen das Effizienzlabel und berücksichtigen es bei ihren Kaufentscheidungen. Denn ersetzt man den alten Stromfresser der Klasse G durch ein neues Klasse-A-Gerät, dann hat man nicht nur etwas für den Geldbeutel getan.

Da trotz Energiewende immer noch rund 40 Prozent des Stroms aus der Verbrennung von Kohle und Gas kommen, leistet man gleichzeitig auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, richtig?

Falsch. Durch den Gerätetausch wird leider kein CO2 eingespart. Schlimmstenfalls könnte man dem Klima durch die Aktion sogar schaden.

Die ausführliche Erklärung für diese Groteske haben Grischa Perino und ich kürzlich in der Fachzeitschrift Resource and Energy Economics veröffentlicht. Anhand eines Beispiels lässt sich die Logik jedoch einfach erklären.

Nehmen wir an, mein neuer Kühlschrank verbraucht 20 Prozent weniger Strom als der alte. Bei einem gegebenen Strommix – in Deutschland fallen durchschnittlich rund 400 Gramm CO2 pro Kilowattstunde an – folgt daraus rein technisch eine CO2-Einsparung von ebenfalls 20 Prozent.

Diese Rechnung lässt jedoch zwei wichtige Dinge außen vor: den "Faktor Mensch" und den EU-Emissionshandel.

Der "Faktor Mensch"

Zum einen ist der effektive Preis einer Volumenstunde Kühlbetrieb mit einem Klasse-A-Gerät geringer als mit dem Klasse-G-Stromfresser. Entsprechend tut es weniger weh, die Betriebstemperatur zu senken, damit die Milch länger hält, oder zu einem größeren Kühlschrank zu greifen.

Zum anderen kann ich das Geld, das ich auf der Stromrechnung spare, für andere Dinge ausgeben. Diese können aber ebenfalls CO2 freisetzen – zum Beispiel einen Wochenendausflug mit dem Auto.

Solche Anpassungen des Verbrauchsverhaltens – Fachleute sprechen von Rebound-Effekten – fressen zumindest einen Teil des technischen Einsparpotenzials wieder auf.

EU-Emissionshandel mit Haken

Richtig verrückt wird es aber erst unter Berücksichtigung des EU-Emissionshandels, dem die gesamte europäische Stromerzeugung und andere Industrien unterliegen.

Das Emissionshandelssystem deckelt die gesamten CO2-Emissionen der betroffenen Anlagen und stückelt sie in handelbare Emissionsrechte auf, die an die Anlagenbetreiber verteilt oder versteigert werden. Ein Emissionszertifikat berechtigt zum Ausstoß einer Tonne CO2 oder einer äquivalenten Menge anderer Treibhausgase.

Porträtaufnahme von Johannes Jarke-Neuert.
Foto: privat

Johannes Jarke-Neuert

ist Wirtschaftswissenschaftler im Exzellenzcluster Climate, Climatic Change and Society (Cliccs) am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg. Er untersucht freiwillige, informations­basierte und regulatorische Ansätze im Ressourcen­management, Umwelt- und Klimaschutz.

Das ist im Prinzip eine clevere Idee, denn nun kann der Emissionsdeckel präzise, einfach und transparent über demokratische Institutionen gesteuert und an völkerrechtliche Verpflichtungen wie das Paris-Abkommen angepasst werden.

Der Handel mit den Emissionsrechten legt dann im zweiten Schritt "nur" noch fest, in welchen Anlagen die Emissionen stattfinden oder eingespart werden. In einem funktionierenden Markt geschieht das dann genau in den Anlagen, in denen Einsparungen relativ billig sind.

Es gibt jedoch einen Haken. Der Emissionshandel verträgt sich nicht gut mit zusätzlichen Einsparbemühungen in den betroffenen Industrien.

Mein neuer Kühlschrank verbraucht dann zwar weniger Strom, aber mein Stromerzeuger verkauft die dafür eingeplanten Emissionsrechte einfach an andere Anlagenbetreiber weiter. Und die werden sie auch einsetzen.

Die entsprechenden Emissionen werden also nicht eingespart, sondern schlicht verlagert: Von den 20 Prozent CO2-Einsparung, die mein Kühlschranktausch rein technisch leisten könnte, bleiben bis hier null Prozent übrig.

Zusammen mit dem oben beschriebenen Rebound-Effekt kehrt sich die Bilanz dann sogar in die roten Zahlen. Unter dem Strich schade ich dem Klima und erhöhe dabei noch die Gewinne von Kohlekraftwerken, die Emissionsrechte jetzt billiger bekommen, weil sie weniger nachgefragt werden.

Ist Stromsparen also überflüssig?

Sollte ich nun meinen alten Stromfresser behalten, um etwas für die Umwelt zu tun? Selbstverständlich nicht, schließlich belastet Stromerzeugung die Umwelt, je nach Produktionsmethode, auf vielfältige Weise.

Aber allein dass sich diese Frage stellt und dass sich ähnliche Widersprüche im Zusammenhang mit dem Emissionshandel beispielsweise beim Kohleausstieg, bei der Förderung der Elektromobilität oder bei individuellem Verzicht ergeben, sollte zu denken geben.

Das Prinzip des Emissionshandels ist genau deswegen so clever, weil es eigentlich nur dieses eine Instrument bräuchte.

Die Realität ist aber, dass daneben auf europäischer, nationaler und kommunaler Ebene viele weitere Klimaschutzmaßnahmen existieren und auch viele Bürger das Bedürfnis haben, selbst etwas zum Klimaschutz beizutragen.

Gerade diese intrinsische Motivation lässt sich aber nur nutzen, wenn schnell und einfach zu erkennen ist, ob eine Maßnahme das Klima nun schützt oder nicht. Widersprüche der hier beschriebenen Art sind da keine Hilfe.

Und spätestens seit Einführung der "Marktstabilitätsreserve" im vergangenen Jahr wurde der EU-Emissionshandel derart verkompliziert, dass die Verbraucher die Folgen ihres eigenen Handelns für das Klima kaum noch überblicken können.

Es gibt Alternativen

Aber es gibt Alternativen. Wären CO2-Emissionen beispielsweise direkt mit einer Abgabe statt über den Emissionshandel bepreist, dann würde sich Stromsparen tatsächlich direkt in CO2-Einsparungen übersetzen.

Komplexitätsreduktion in Aktion – gewiss mit eigenen Herausforderungen. Wie in der Modellierung gilt auch hier der Satz von Paul Valéry: "Alles Einfache ist falsch, alles Komplizierte unbrauchbar."

Als achtsame Verbraucher können Sie mithilfe zweier Faustformeln zumindest den Rebound-Effekt vermeiden: Erstens: Passen Sie Ihr Nutzungsverhalten nicht an die Effizienzklasse eines Gerätes an! Das neue (Elektro-)Auto hat einen geringeren Norm-Zyklus-Verbrauch als das alte? Prima, aber fahren Sie deswegen weder "sportlicher" noch weiter!

Zweitens sollten Sie die Ersparnisse auf der Stromrechnung für möglichst klimaneutrale Aktivitäten ausgeben. Oder Sie legen damit Emissionsrechte still – ja, das geht tatsächlich.

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