Siemens-Mitarbeiter an der Wasserstoff-Elektrolyseanlage.
Wasserstoff-Elektrolyseanlage von Siemens: H2 benötigt nicht nur Strom als "Ausgangsstoff", sondern auch Trinkwasser. (Foto: Jürgen Winzeck/​Siemens)

Am morgigen oder am kommenden Mittwoch könnte das Bundeskabinett endlich die nationale Wasserstoffstrategie verabschieden. Jedenfalls stehen beide Termine im Klimareporter° vorliegenden Zeitplan des Gremiums.

Mehr als drei Monate ist es her, seit das Wirtschaftsministerium den Entwurf der Wasserstoffstrategie vorlegte – seitdem können sich das Wirtschaftsressort einerseits sowie das Umwelt- und das Wissenschaftsressort andererseits nicht einigen.

Gestritten wird vor allem darüber, ob nur aus Ökostrom hergestellter, "grüner" Wasserstoff gefördert werden soll oder auch "blauer" Wasserstoff, der vor allem aus Erdgas gewonnen wird und bei dem das dabei anfallende CO2 per CCS-Technologie "entsorgt" werden soll.

Blauen Wasserstoff per CCS zu einem klimaneutralen Energieträger zu erklären, lehnt der Umweltverband BUND in seinen jetzt veröffentlichten Leitlinien kategorisch ab. Blauer Wasserstoff bleibe eine "fossile Energiequelle", heißt es dort, weil bei Förderung und Transport durch Leckagen klimaschädliches Methan frei werde, auch sei die Herstellung nicht emissionsfrei.

Zudem lehnt der BUND CCS grundlegend ab, weil die Technik energetisch ineffizient sei und das Grundwasser gefährde.

Umweltschützer wollen Überschuss-Strom nutzen

Für den Umweltverband kann der Ökostrom für den grünen Wasserstoff auch nicht aus dem normalen Zuwachs kommen, sondern allein aus "zusätzlichen Kapazitäten an erneuerbaren Energien". Der BUND will deswegen 2030 einen 75-prozentigen Anteil der Erneuerbaren am Strommarkt statt der bisher vorgesehenen 65 Prozent sehen.

Alternativ kann sich der Umweltverband – wie norddeutsche Bundesländer auch – vorstellen, erneuerbaren Strom aus Stromspitzen einzusetzen. Allein mit dem Überschuss-Strom lassen sich aber nicht so viele Betriebsstunden erreichen, dass die Wasserstoff-Elektrolyseure wirtschaftlich arbeiten, warnen Experten.

Im Prinzip sei das richtig, räumt BUND-Experte Oliver Powalla ein, auch reiche dieser Überschussstrom nicht, um den Wasserstoffbedarf potenzieller Großabnehmer wie der Industrie zu befriedigen.

Powalla, der auch im Kopernikus-Projekt P2X mitarbeitet, baut in dem Zusammenhang auf die besonders flexible Technik der sogenannten PEM-Elektrolyse. Die hier eingesetzten Elektrolyseure enthalten keine flüssigen Elektrolyte, sondern eine feste, halbdurchlässige Membran. Diese Technik könne allerdings auch nicht beliebig erweitert werden, schränkt Powalla ein, weil das dazu benötigte Seltenerdmetall Iridium sehr knapp sei.

Ein neues Feld der Kritik eröffnet der BUND mit der Forderung, dass der durch Elektrolyseure steigende Wasserbedarf nicht zu lokaler Wasserknappheit führen dürfe.

Powalla bezieht sich hier offenbar auf Zahlen des Freiburger Öko-Instituts, wonach für die Herstellung eines Liters synthetischen E-Kraftstoffs 1,4 Liter Wasser benötigt werden. Betrachtet man den Gesamtprozess von der Solaranlage bis zum Tank, kommen laut den Angaben sogar rund 70 Liter Wasser zusammen, weil zum Beispiel zur Kühlung und Reinigung der Solaranlagen Wasser benötigt wird.

Bei Nutzungskonflikten müsse in den entsprechenden Regionen die solare Trinkwasserentsalzung immer Vorrang vor der erneuerbaren Wasserstofferzeugung haben, verlangt deshalb der Umweltverband.

Für SPD hilft Wasserstoff auch gegen Covid-19

Weniger Probleme mit blauem Wasserstoff hat die SPD-Bundestagsfraktion. Zwar ist es ihr erklärtes Ziel, vorrangig auf Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu setzen, und sie lehnt auch die Förderung sowie den "dauerhaften Einsatz" von nicht erneuerbar hergestelltem Wasserstoff ab – was sie aber unter "dauerhaft" versteht, bleibt in ihren jetzt vorgelegten Eckpunkten ziemlich im Dunkeln.

Auch ansonsten strotzt das SPD-Papier vor Wasserstoff-Lyrik. So komme es beim Import grünen Wasserstoffs auf "ökologisch verträgliche Produktions- und faire Arbeitsbedingungen" in den Herkunftsländern an.

Neben einem verstärkten Ausbau in Norddeutschland will die SPD in den Strukturwandel-Programmen für die Kohleregionen und zur Konjunkturförderung in der Covid-19-Krise die Förderung der Erneuerbaren und der Wasserstoffwirtschaft verankern. Unerlässlich beim Wasserstoff sei auch ein EU-Klassifizierungs- und Zertifizierungssystem mit Herkunftsnachweisen und Angaben zum CO2-Fußabdruck.

Der einzig sichtbare Dissenspunkt gegenüber der Vorlage aus dem Wirtschaftsministerium lautet: Die SPD fordert bis 2030 den Aufbau von 10.000 Megawatt Elektrolyseur-Kapazitäten. Das Ministerium begnügt sich hier bislang mit maximal 5.000 Megawatt.

Das ist sicher kein Punkt, an dem ein wasserstofflicher Kabinettsbeschluss anschließend im Bundestag scheitern wird.

Anzeige