Ein Kohlekraftwerk spiegelt sich abends in einem Fluss
Kohlekraftwerke werden zum Auslaufmodell. (Foto: Peter H. Tama/​Pixabay)

In den ersten sechs Monaten des Jahres sind weltweit mehr Kohlekraftwerke stillgelegt worden, als neu ans Netz gingen. Zum ersten Mal in der Geschichte ist damit die Kohlekraftwerksflotte geschrumpft, wie eine soeben veröffentlichte Studie des Global Energy Monitor zeigt.

Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz im US-Bundesstaat Kalifornien, 2007 noch unter dem Namen Coalswarm von Journalist:innen und Klimaaktivist:innen gegründet, sammelt und katalogisiert Informationen zur weltweiten fossilen Infrastruktur.

Laut ihrer aktuellen Analyse wurden im ersten Halbjahr 2020 gut 21.000 Megawatt Kohlekraftwerkskapazität stillgelegt, während gut 18.000 Megawatt neu ans Netz gingen. Das ist ein Nettorückgang von knapp 3.000 Megawatt.

Verantwortlich für den Rückgang sind vor allem Abschaltungen in Europa. Hier wurden gut 8.000 Megawatt stillgelegt. Nach den Angaben der Studie sollen weitere 8.000 Megawatt noch in diesem Jahr folgen. Die EU sehe einem "Rekord-Abschaltjahr" entgegen, heißt es.

Auch in Südostasien sind die Planung und der Bau von Kohlekraftwerken demnach deutlich im Rückgang begriffen. Die Autor:innen beziffern das Minus auf etwa 70 Prozent im Vergleich zu den durchschnittlichen Werten seit dem Jahr 2015.

Die große Ausnahme ist China. Hier wurde entgegen dem globalen Trend die Kohleflotte im ersten Halbjahr erweitert. Dieser Ausbau macht 90 Prozent der neu geplanten Kapazität und gut 60 Prozent der neuen Inbetriebnahmen weltweit aus.

Dabei sitzt China längst auf Kohleüberkapazitäten. Mit dem weiteren Ausbau dürfte die Auslastung der Meiler von heute 50 Prozent auf unter 45 Prozent im Jahr 2025 sinken, wie eine Studie der University of Maryland in der vergangenen Woche zeigte. Mehr als die Hälfte der chinesischen Kohleflotte fährt demnach bereits Verluste ein.

"Das Zeitalter der Kohle geht zu Ende"

Abgesehen von China schrumpft die weltweite Kohlekraftwerksflotte aber bereits seit dem Jahr 2018.

Beispiel Vietnam: Der neue "Power Development Plan" sieht vor, dass 9.500 Megawatt geplante Kohlekapazität gestrichen werden. Weitere 7.600 Megawatt sollen auf die Zeit nach 2030 verschoben werden. Das wäre fast eine Halbierung des bislang geplanten Ausbaus.

Beispiel Bangladesch: Der Energieminister des Landes kündigte kürzlich an, der weitere Kohleausbau werde auf 5.000 Megawatt begrenzt. Zuvor waren gut 16.000 Megawatt neue Kapazität geplant.

Beispiel Ägypten: Der Bau des geplanten Kohlekraftwerks Hamrawein mit 6.600 Megawatt Leistung wurde im Frühjahr auf unbestimmte Zeit verschoben. Stattdessen sollen erneuerbare Energien ausgebaut werden. Damit hat das Land seine gesamte Planung für neue Kohlekapazitäten von gut 15.000 Megawatt zurückgestellt oder aufgegeben.

"Das Zeitalter der Kohle geht zu Ende", sagte Alexander Reitzenstein vom britischen Thinktank E3G. "Die Auswirkungen von Covid-19, die sinkende Rentabilität, das Risiko gestrandeter Vermögenswerte, die Dringlichkeit der Klimakrise und der Siegeszug sauberer und bezahlbarer erneuerbarer Energien zeichnen eine zunehmend düstere Zukunft für die Kohleverstromung."

Das gilt auch für die USA. Auch hier kommt die Stromproduktion aus Kohle immer mehr ins Hintertreffen, trotz der kohlefreundlichen Politik von Präsident Trump.

Nach aktuellen Zahlen der US-amerikanischen Energieinformationsbehörde EIA fiel der Kohleverbrauch bereits im April unter das Niveau von 1973 und lag damit so niedrig wie seit fast 50 Jahren nicht mehr. Auch der Export von Kohle ist entgegen Trumps Wünschen nicht gestiegen.

Große Energieversorger in den Bundesstaaten Arizona, Colorado, Florida und New Mexico haben kürzlich angekündigt, mehrere ihrer Kohlemeiler vom Netz zu nehmen. Ersetzen wollen sie die Kapazitäten nicht durch Gaskraftwerke, sondern durch Erneuerbare sowie Speicher.

"Die neuen Daten geben dem weltweiten Kampf für einen fairen Strukturwandel neuen Schwung und erhöhen den Druck auf die Nachzügler, insbesondere China, ihren Kurs zu ändern", sagte Reitzenstein. "Die Weltgemeinschaft muss eng zusammenarbeiten, um die betroffenen Regionen zu unterstützen, ab sofort keine neue Kohle mehr zuzulassen und bis spätestens 2040 ganz aus der Kohle auszusteigen."

Damit die Pariser Klimaziele eingehalten werden können, müsste die globale Kohleverstromung laut den Berechnungen des Global Energy Monitor bis 2030 um 50 bis 75 Prozent unter das heutige Niveau fallen.

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