Der Nahostkonflikt wird auch für Fridays for Future zur Zerreißprobe. (Bild: Gerd Altmann/​Pixabay)

Ein tiefer Riss geht durch die Klimagerechtigkeitsbewegung. Bei Fridays for Future sei offensichtlich einiges "zerbrochen", erklärte Mitgründerin Luisa Neubauer im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit.

Als am 7. Oktober die Nachricht von dem schrecklichen, antisemitischen Angriff der Hamas auf Israel um die Welt ging, herrschte auffällige Stille auf den Social-Media-Accounts von Fridays for Future International und prominenten Vertreter:innen.

Der erste Post von Greta Thunberg nach dem Anschlag drückte Solidarität mit den Palästinenser:innen aus und richtete sich gegen die israelische Militäroffensive, fand aber kein Wort zur Verurteilung des Hamas-Terrors.

Fridays for Future International warf Israel in einem mittlerweile gelöschten Instagram-Post einen Genozid an den Palästinenser:innen vor und warnte vor einer pro-israelischen "Gehirnwäsche" westlicher Medien.

In Deutschland ist Fridays for Future seitdem damit beschäftigt, sich zu distanzieren, und beteuert reumütig in jedem Interview seine Solidarität mit Israel.

Welchen Schaden die Bewegung genommen hat und ob die internationale Zusammenarbeit überhaupt weitergeht, und wenn ja, in welcher Form, ist gegenwärtig unmöglich zu beurteilen.

Es wäre nicht die erste politische Bewegung, die an dem Nahostkonflikt erstickt. An der innerlinken Nahostdebatte in Deutschland sind zahllose Bewegungen, Gruppen, Hausprojekte und Freundschaften zerbrochen.

Es ist der ewige linke Trennungsgrund. Darum ist es noch nicht mal wirklich überraschend, dass auch die größte Klimabewegung darüber ins Taumeln gerät, aber tragisch ist es dennoch.

Tragisch vor allem aus zwei Gründen. Der erste, offensichtliche Grund: Es stärkt all jene reaktionären Kräfte, die schon immer gegen eine klimagerechte Transformation, gegen ein Ende der fossilen Ära und ein global ausbeuterisches Wirtschaftssystem ankämpfen. Wenn man ganz leise ist, kann man Springer, Merz und die fossile Lobby jetzt schon jubeln hören. Sie spüren den Rückenwind und werden dieses Thema so lange ausschlachten und instrumentalisieren wie möglich.

Das Leid auf der Welt ist nicht endlich

Aber ebenso tragisch ist, dass die Bewegung es versäumt hat, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Als eine weltumspannende Bewegung, die sich als antirassistisch, ausbeutungs- und systemkritisch versteht, wäre es ihre Verantwortung gewesen, für Dialektik in einer öffentlichen Debatte zu kämpfen, die diese Dialektik chronisch und schmerzlich vermissen lässt.

Es wäre ihre Verantwortung gewesen, jenseits der hoffnungslos polarisierten Lager eine differenzierte Perspektive anzubieten. Eine Perspektive, die das gegenwärtige und historische Leid beider Seiten anerkennt und Widersprüche zulässt.

Es handelt sich nicht um ein Nullsummenspiel: Das Leid auf dieser Welt ist nicht endlich. Der Versuch, es zu quantifizieren und eine "Leidenshierarchie" aufzustellen, ist immer zum Scheitern verurteilt.

Man kann die Hamas und die israelische Regierung kritisieren, ohne zu vergleichen oder gar gleichzusetzen. Man kann sich mit den Palästinenser:innen in Gaza solidarisieren, ohne über die von der Hamas getöteten Zivilist:innen zu schweigen. Der Nahostkonflikt ist keine Ja-oder-Nein-Frage.

Es ist richtig, dass sich die Bewegung Fridays for Future, die viel mehr als "nur" eine Umweltbewegung ist, positioniert. Aber eine Position zu finden, muss eben nicht heißen, unkritisch die Perspektive einer Seite zu übernehmen.

Dieser Aufgabe ist die Bewegung nicht gerecht geworden. Die Statements von Fridays for Future International und Greta Thunberg sind stattdessen Teil einer sich immer weiter zuspitzenden Nahostdebatte.

Auch Fridays for Future Deutschland hat damit seinen Platz am Diskussionstisch verloren. Es wird über die Bewegung geredet, nicht mit ihr. Dabei würde eine differenzierte Stimme gerade auch dem deutschen Diskurs guttun. Hier gehen die Reaktionen meist nicht über eine mehr formelle als inhaltliche Solidaritätsbekundung mit Israel hinaus.

Antisemitismus und muslimfeindlicher Rassismus nehmen in Deutschland zu

Da werden schnell mal alle Palästinenser:innen unter Generalverdacht gestellt, Kundgebungen verboten und von "importiertem Antisemitismus" gefaselt. Jedes Gegenargument wird mit einem automatischen "Jetzt ist nicht die Zeit für 'Ja, aber'" pariert. Doch gerade jetzt ist es Zeit für "Ja, aber". Ohne "Ja, aber" gibt es überhaupt keinen Diskurs.

Ja zu einer Solidarität mit Jüd:innen gegen jeden Antisemitismus, aber wir müssen auch über ein seit Jahrzehnten bestehendes institutionalisiertes System der Unterdrückung von Palästinenser:innen reden. Es darf nicht normal sein, dass der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant Palästinenser:innen als "menschliche Tiere" bezeichnet und damit enthumanisiert.

All das muss diskutiert und problematisiert werden können – solange es innerhalb eines gewissen Rahmens, so etwas wie Leitplanken des Diskurses, geschieht. Denn natürlich gibt es Aussagen und Positionen, nach denen eine Diskussion nicht einfach weitergehen kann.

Und wenn dabei wieder mal alte antisemitische Verschwörungstheorien à la "Juden kontrollieren die Medien und betreiben Gehirnwäsche" ausgegraben werden, dann kann das nicht toleriert werden.

Auch hierzulande nehmen muslimfeindlicher Rassismus und Antisemitismus zu. Haustüren werden mit Davidsternen beschmiert, Synagogen mit Molotowcocktails beworfen und die muslimischen Verbände berichten von einer Zunahme der Übergriffe auf ihre Gemeinden.

Wir brauchen Stimmen, die gegen die Polarisierung anreden. Fridays for Future ist das leider nicht.