Protestierende Menschenmassen auf großem Platz mit Denkmal, dahinter Hochhäuser
Santiago in dieser Woche: Tausende Chilenen protestieren gegen den neoliberalen Kurs der Regierung. (Foto: Carlos Figueroa/​Wikimedia Commons)

Brennende Fahrkartenautomaten und Supermärkte, Straßenbarrikaden und lautstarke Demonstrationen: In mehreren Städten Chiles gibt es massenhafte Proteste gegen den neoliberalen Regierungskurs, dem die Zehntausenden es zuschreiben, dass ihre Gehälter kaum oder gar nicht ausreichen, um Grundlegendes zu bezahlen.

Mittlerweile hat die Regierung von Präsident Sebastián Piñera zwar auch soziale Reformen angekündigt, vor allem aber reagiert sie mit Härte. Sie hat tausende Soldaten auf die Straße geschickt, den Notstand erklärt, eine Ausgangssperre verhängt.

Die Proteste gehen weiter. Mindestens 18 Menschen sind gestorben, teilweise durch die Hand von Polizisten und Soldaten. Hunderte sind verletzt, Tausende verhaftet. Die Vereinten Nationen wollen mit einer Sondermission prüfen, ob Menschenrechtsverletzungen vorliegen.

Kann in einer solchen Situation in Chile die nahende Weltklimakonferenz stattfinden? Genau das ist für die erste Dezemberhälfte geplant: Die zweiwöchige COP 25 soll am 2. Dezember in der Hauptstadt Santiago beginnen.

Das UN-Klimabüro geht davon aus, dass die Klimakonferenz in gut fünf Wochen wie geplant stattfinden kann. "Die chilenische Regierung hat uns zugesichert, dass sie innenpolitische Maßnahmen ergriffen hat, um die Ordnung in Santiago und in anderen Teilen des Landes wiederherzustellen", teilte ein Sprecher auf Anfrage von Klimareporter° mit. Man hoffe auf eine "schnelle und friedliche Lösung" und bereite weiter die Klimakonferenz vor.

Soziologin: Klimagipfel könnte Proteste neu entfachen

Dass eine solche Lösung in Sicht ist, bezweifelt die Soziologin Lucía Dammert, Professorin an der Universität Santiago. "Die meisten sozialen Forderungen der Demonstranten will die Regierung bisher nicht erfüllen", sagt sie im Gespräch mit Klimareporter°.

Selbst wenn die Proteste bis Anfang Dezember abebben, kann Dammert sich vorstellen, dass gerade die Klimakonferenz sie wieder aufleben lässt – aber nicht, weil die Demonstranten gegen Klimaschutz wären. "Die Anwesenheit so vieler Klimapolitiker könnte neue Proteste entfachen, die den Klimawandel als Symptom des sozioökonomischen Modells einordnen, das gerade infrage gestellt wird", so Dammert.

So oder so ist kaum zu erwarten, dass in Santiago zur Klimakonferenz schon alles wieder seinen normalen Gang geht. Schon allein logistisch sind Probleme zu erwarten: Zurzeit sind drei der sechs städtischen U-Bahn-Linien stillgelegt. Zu viel ist durch Brände, Barrikaden und Flutungen kaputt.

Die chilenische Regierung geht davon aus, dass es mindestens ein halbes Jahr dauern wird, bis alles repariert ist. Im Dezember, wenn neben den fünf Millionen Einwohnern Santiagos auch noch zehntausende Teilnehmer der Klimakonferenz durch die Stadt fahren müssen, dürfte es also noch Störungen geben.

Es ist bereits geplant, Shuttle-Busse von mehreren Punkten der Stadt zu einem zentralen Bahnhof auf der wenig beschädigten U-Bahn-Linie 6 fahren zu lassen, an deren einem Ende das Konferenzzentrum liegt.

Brasilien sagte vor einem Jahr ab

Die Planung der COP 25 stellt sich damit zum wiederholten Mal als schwierig heraus. Ursprünglich sollte sie in Brasilien stattfinden. Noch im vergangenen Herbst galt das als ausgemachte Sache, auf der COP 24 im polnischen Katowice hätte es im Dezember nur noch formal beschlossen und bekannt gegeben werden sollen.

Auf Druck des designierten Präsidenten Jair Bolsonaro zog aber das Land seine Kandidatur plötzlich zurück. Der Ultrarechte leugnet den menschengemachten Klimawandel und hatte damit Wahlkampf gemacht, dass Brasilien mit ihm aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen werde.

In Rekordzeit musste ein neuer Gastgeber für das Großereignis gefunden werden. Da sich die Weltregionen, in denen die Klimakonferenzen stattfinden, nach einem festen Schema abwechseln, sollte es sich um ein lateinamerikanisches Land handeln. Zum Einspringen bereit war Chile – das damals als sicherstes und stabilstes Land der Region galt.

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