"Partei der Gauner und Diebe" – diesen Titel verlieh der kürzlich in Haft verstorbene Oppositionspolitiker Alexej Nawalny der Kreml-Partei "Einiges Russland". Er kritisierte damit die mutmaßliche Wahlmanipulation der Parlamentswahlen 2011. Die anstehende Präsidentschaftswahl Mitte März bezeichnete Nawalny als "Parodie".
Einiges Russland ist die mit Abstand mitgliederstärkste Partei und konnte sich in den letzten Parlamentswahlen vor vier Jahren über 75 Prozent der Duma-Sitze sichern. Die Partei unterstützt den Kurs von Wladimir Putin, der – obwohl offiziell kein Mitglied – zwischen 2008 und 2012 Parteivorsitzender war. Gegenwärtig steht der ehemalige Präsident und Ministerpräsident Dmitri Medwedew an der Spitze der Partei.
Mit Nawalnys Tod verlor die russische Opposition wenige Wochen vor den Wahlen ihr wohl bekanntestes Gesicht.
International, wie auch in Russland, war Alexej Nawalny eine höchst umstrittene Person. Die Partei Jabloko – als eine der wenigen tatsächlichen Oppositionsparteien ist sie ein Sammelbecken für demokratisch-liberale Kräfte in Russland – schloss ihn 2007 wegen nationalistischer und fremdenfeindlicher Äußerungen aus. Er machte außerdem Schlagzeilen als Redner und Teilnehmer der als rechtsextrem eingestuften, jährlich stattfindenden Demonstration "Russischer Marsch".
Dennoch steht der Umgang des russischen Regimes mit Nawalny als populärstem und damit gefährlichstem Oppositionellen exemplarisch für die Verhältnisse, in denen die Opposition in Russland existiert. Zahlreiche Expert:innen, darunter der russische Soziologe Lew Gudkow, erwarten keine fairen Wahlen.
So ließ die Wahlkommission die beiden vielversprechendsten Bewerber:innen nicht zur Wahl zu: den Rechtsanwalt und Menschenrechtler Boris Nadeschdin von der Partei Bürgerinitiative und die Journalistin Jekaterina Dunzowa, die als Unabhängige antreten wollte. Beide Male lautete die Begründung, es habe Fehler bei den eingereichten Bewerbungsunterlagen gegeben.
Nach gegenwärtigem Stand hat die russische Bevölkerung am März neben Putin noch drei weitere Kandidaten zur Auswahl, die weder eine wirkliche Chance noch die Ambitionen haben, Präsident zu werden.
Russlands "völlig unzureichende" Klimapolitik
Die "konkurrierenden" Kandidaten vertreten Parlamentsparteien, die in den wesentlichen Punkten die Regierungslinie halten und den Ukraine-Krieg unterstützen. Und Umfragen zeigen immer wieder, dass Putin hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung erreicht.
Doch die russische Regierung will nichts dem Zufall überlassen. Das belegen die unter dem Namen "Kreml-Leaks" bekanntgewordenen internen Dokumente, die von der estnischen Plattform Delfi, dem ZDF, dem Spiegel und einigen weiteren Medien ausgewertet wurden.
Superwahljahr 2024
In dieser Serie setzt sich Klimareporter° mit den klimapolitischen Implikationen der anstehenden Wahlen auseinander. Welche Tendenzen lassen sich erkennen, welche Rolle spielt das Klima und welche Konsequenzen lassen sich daraus ziehen? Und letztendlich die immer mitschwingende Frage: Sind unsere etablierten Politsysteme fähig, mit der Klimakrise umzugehen?
Der Kreml gibt laut dem ZDF umgerechnet knapp eine halbe Milliarde Euro für Propaganda zur Präsidentschaftswahl aus. Der britische Russland-Experte Mark Galeotti sagte der Rundfunkanstalt, dass man dies "als Vorabmanipulation bezeichnen könnte."
Ein Ende Putins ist nicht abzusehen, und damit auch kein Ende des Krieges – und kein Ende der "völlig unzureichenden" Klimapolitik Russlands. Zu dieser Bewertung kommt die Forschungsinitiative Climate Action Tracker.
Der Klimawandel spielt in der russischen Politik und Öffentlichkeit im Grunde keine Rolle. Eine Studie des unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum kam 2021 zu dem Ergebnis, dass russische "Unternehmen, Behörden und wissenschaftlichen Instituten nach wie vor ein hohes Maß an Skepsis hinsichtlich der Ursachen und Dramatik des Klimawandels" hätten.
Russland möchte bis 2060 klimaneutral werden und bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 30 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Letzteres dürfte nicht besonders schwerfallen. Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion sind die Emissionen bereits in den 1990er Jahren um mehr als 30 Prozent gesunken. Seitdem steigen sie wieder leicht an.
Ukraine-Wahl ist ausgesetzt
Bei einer Aktualisierung der russischen Klimastrategie haben sich letztes Jahr einige Formulierungen geändert. So wird die Nutzung fossiler Brennstoffe nicht mehr direkt mit Treibhausgasen in Verbindung gebracht. Dafür findet sich in dem Papier nun ein Bekenntnis zu Technologieoffenheit und Atomenergie.
Russland plant, die Förderung fossiler Energierohstoffe zu steigern. Das Land zählt bei Kohle, Öl und Gas bereits zu den Top-Drei-Exportnationen. Hauptabnehmerländer sind Indien und China. Allerdings gelangt russisches Flüssigerdgas (LNG) nach wie vor in die EU und über Umwege auch nach Deutschland.
Auch die Wasserstoffindustrie will Russland ausbauen. Allerdings geht es dabei nicht um grünen Wasserstoff – bei einem Erneuerbaren-Anteil von 19 Prozent am Strommix ist das wenig überraschend –, sondern um blauen Wasserstoff, der aus Erdgas hergestellt wird.
Pläne für die grüne Wasserstoffproduktion hat dagegen die Ukraine. Doch nach dem russischen Angriff wurde die Umsetzung gestoppt. Dabei hat das Land enormes Potenzial und spielt eine entscheidende Rolle in den Wasserstoffimportplänen der EU.
Durch den Krieg wurden mehr als 50 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur beschädigt oder zerstört, und geplante Projekte liegen auf Eis. Ukrainische Politiker bekräftigen weiterhin den Wunsch nach einem grünen Wiederaufbau.
Die internationale zivilgesellschaftliche "Initiative on GHG accounting of war" beziffert den Klimaschaden des Ukraine-Krieges auf 150 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Das entspricht in etwa den jährlichen Emissionen Belgiens.
Fast zeitgleich mit den Wahlen in Russland waren Präsidentschaftswahlen in der Ukraine angesetzt. Ebenso wie die Parlamentswahlen im vergangenen Oktober sind die Wahlen allerdings aufgrund des aktuell geltenden Kriegsrechts ausgesetzt.
Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte bereits letztes Jahr: "Das ist nicht der Moment für Wahlen."