Die UN-Luftfahrtorganisation ICAO ist einen Schritt weiter bei dem Corsia-Regelwerk, nach dem sich die Fluggesellschaften richten müssen, wenn sie ab 2020 erstmals an Klimaziele gebunden sind (siehe Kasten). Der ICAO-Rat hat sich bei einem Treffen im kanadischen Montreal diese Woche auf Kriterien geeinigt, die Doppelzählungen von Emissionseinsparungen verhindern sollen.
Diese Gefahr besteht, weil die Luftfahrtbranche nur zum kleinen Teil selbst Klimaschutz betreiben will. Größtenteils setzt sie auf sogenannte Offsets, also auf Klimakompensation. Das bedeutet, dass die Fluggesellschaften Klimaschutzprojekte finanzieren – und sich das dabei gesparte CO2 als eigene Reduktion anrechnen.
Bei den jetzt beschlossenen Kriterien geht es darum, dass Zertifikate klar zuzuordnen sind. Sonst könnten sich am Ende möglicherweise die Fluggesellschaft und das Land, in dem das fragliche Klimaschutzprojekt liegt, denselben Klimaeffekt in die Bilanzen schreiben. Auf dem Papier wären dann doppelt so viele Emissionen eingespart worden wie möglicherweise in der Realität.
Es bleibt Unklarheit
Olumuyiwa Benard Aliu, Präsident des ICAO-Rats, sprach von einem Meilenstein. Umweltorganisationen, die den Prozess beobachten, lobten die Beschlüsse ebenfalls – mahnten aber an, dass damit noch nicht sichergestellt sei, dass die Branche ihre Klimaziele tatsächlich einhalten kann.
Flieg, Flugzeug, flieg! Die Klimaziele der Luftfahrt
Wenn die UN-Staaten sich zu Klimakonferenzen treffen, klammern sie Luft- und auch Schifffahrt aus. Der Klimaschutz in diesen Sektoren wird in eigenen UN-Sonderorganisationen geregelt, bei der Luftfahrt ist das die ICAO.
Die ICAO hat Ende 2016 erstmals ein Klimaziel für die Branche festgelegt. Das dazu entwickelte System heißt Corsia, das ist kurz für Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation – also in etwa CO2-Verrechnungs- und Minderungs-Plan für die internationale Luftfahrt.
Pikant ist daran, dass es nicht einmal darum geht, die Emissionen zu senken: Die Luftfahrt soll nach Beschlusslage immer weiter wachsen dürfen. Die Fluggesellschaften müssen lediglich ihre Emissionen auf dem Niveau von 2019 bis 2020 halten, obwohl der Klimaschutz ohnehin vor allem durch CO2-Kompensation erfolgen soll.
"Diese Entscheidung ist ein Schritt vorwärts in der Corsia-Geschichte, aber wenn es keine Beschränkung für das zulässige Alter von Emissionszertifikaten gibt, könnte das einen gigantischen Rückschlag für den Klimaschutz bedeuten", sagte Gilles Dufrasne vom Brüsseler Thinktank Carbon Market Watch.
Die Antwort auf eine besonders umstrittene Frage steht nämlich noch aus: Darf die Luftfahrt einfach Uralt-Zertifikate aufkaufen? Solche liegen in Massen für Projekte aus dem Clean Development Mechanism (CDM) herum, und zwar zu Spottpreisen. Laut Carbon Market Watch sind es genug, um die gesamten Emissionen der Flugbranche bis 2035 zu kompensieren, wenn die sich wie erwartet entwickeln.
Das Problem: Der Klimanutzen dieser Projekte gilt als sehr gering. Die Berliner Denkfabrik New Climate Institute hat in einer Studie ermittelt, dass 82 Prozent der Projekte einfach weiterlaufen würden, selbst wenn kein Geld mehr durch die übrigen Zertifikate hereinkommt. Dürften Fluglinien sie nutzen, wäre das also erfolgreiches Schönrechnen, aber kein Klimaschutz.
Umweltschützer fordern deshalb, dass die ICAO ein Stichdatum festlegt – sodass ältere Zertifikate nicht angerechnet werden dürfen. "Die Emissionsminderungen, die Fluggesellschaften für sich verbuchen, müssen den realen Klimaschutz widerspiegeln", sagte Annie Petsonk von der US-Umweltorganisation Environmental Defense Fund.
Petsonk fordert außerdem Transparenz bei der Arbeit des Beirats, der auf Basis der vom ICAO-Rat erarbeiteten Kriterien später Zertifikate empfehlen soll. Sie befürchtet, dass das Gremium anfällig für Lobbyismus und Korruption werden könnte, wenn es hinter verschlossenen Türen arbeitet.
Der ICAO-Rat tagt noch bis kommenden Freitag. Möglicherweise werden einige offene Fragen bis dahin also noch geregelt.