Ukrainische und EU-Flaggen vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
Die Ukraine soll auch energiewirtschaftlich an die EU angebunden werden. Erneuerbare Energien erwähnt das Papier allerdings nicht. (Foto: Dušan Cvetanović/​Pixabay)

Der "Marshallplan" ist längst zum Synonym für große Unterstützungsprogramme für arme oder von Krieg zerstörte Länder geworden. Aus Sicht einer Gruppe prominenter ukrainischer und westlicher Ökonomen hatte das US-Programm aber tatsächlich Eigenschaften, die sich auch für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen ließen, wie eine Analyse des britischen Thinktanks CEPR zeigt.

Im Rahmen des Marshallplans haben die USA in den Jahren 1948 bis 1951 knapp 13 Milliarden Dollar in den Wiederaufbau der europäischen Industrie und Infrastruktur investiert, was heute 115 Milliarden Dollar entspricht. Der Plan hat so zur schnellen wirtschaftlichen Erholung Europas nach 1948 beigetragen.

Für den damaligen US-Außenminister George Marshall war das Ziel des Plans, "das Entstehen politischer und sozialer Bedingungen zu ermöglichen, unter denen freie Institutionen existieren können".

Um der Ukraine ebenfalls einen schnellen Wiederaufbau zu ermöglichen, reicht Geld allein allerdings nicht. Das hätten nicht zuletzt die weitgehend gescheiterten Wiederaufbauversuche im Irak und in Afghanistan gezeigt, schreiben die CEPR-Wissenschaftler. Entscheidend sei auch der institutionelle Rahmen.

Der Marshallplan wurde von einer neu geschaffenen US-Behörde, der Economic Cooperation Administration (ECA), umgesetzt, die der zentrale Ansprechpartner für alle westeuropäischen Länder war. Dieses Modell sollte laut den Autoren auch für die Ukraine genutzt werden.

Diesmal Aufgabe der EU

Allerdings müsse diesmal die EU die Verantwortung für diese Behörde übernehmen. Und darauf sollte sie sich schon jetzt vorbereiten: "Die Arbeiten zur Einrichtung der Agentur sollten sofort begonnen werden, um sicherzustellen, dass sie (annähernd) einsatzbereit ist, wenn der Krieg endet."

Ziel dieser EU-Agentur müsse der Beitritt der Ukraine zur EU sein. Beim Wiederaufbau sollte die Ukraine gezielt darauf vorbereitet werden.

Die CEPR-Wissenschaftler unterscheiden dabei drei Phasen: In den ersten sechs Monaten geht es primär um humanitäre Hilfe wie nach einer Naturkatastrophe. Die Menschen brauchen Lebensmittel, Medikamente und Zelte.

Ab dem vierten Monat rückt dann die Wiederherstellung der Infrastruktur und normaler wirtschaftlicher Aktivitäten in den Fokus: Preise sollten nach und nach wieder freigegeben werden, um eine Tauschwirtschaft zu verhindern. Außerdem sollte die ukrainische Währung Hrywnja wieder freigegeben werden, die derzeit auf dem Niveau von vor dem Krieg fixiert ist.

Dass die Hrywnja dann an Wert verlieren wird, ist dabei durchaus gewollt: "Die langsame Konvergenz von Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung unterstreicht die schädliche Rolle eines überbewerteten Wechselkurses", wird eine historische Parallele gezogen.

In der dritten Phase geht es dann um die Schaffung einer "Grundlage für lang anhaltendes Wachstum". Als Vorbild könne hier Polen dienen: Nach dessen EU-Beitritt flossen große Summen an privaten Investitionen in das Land und ermöglichten schnelles und anhaltendes Wachstum.

"An Singapur orientieren"

Damit das auch der Ukraine gelingt, müsse der Wiederaufbau zudem für eine massive Modernisierung genutzt werden. Dies gelte besonders im Energiesektor: "Die Ukraine sollte nicht versuchen, ihre Energieinfrastruktur so wiederherzustellen, wie sie vor dem Krieg war. Stattdessen sollte sich die Ukraine darauf konzentrieren, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, und sich das Ziel setzen, ihre Energieversorgung zu dekarbonisieren."

Beim Wiederaufbau stark zerstörter Städte sollte sich die Ukraine an Singapur orientieren, mit seinem "hochwertigen Wohnraum in attraktiven, grünen Vierteln, mit lokalen Dienstleistungen wie Geschäften, Restaurants, Kindergärten und öffentlichen Verkehrsmitteln".

All das wird nicht billig. Die CEPR-Ökonomen schätzen, dass die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine zwischen 200 und 500 Milliarden Euro liegen werden, verteilt über mehrere Jahre.

Derartige Kosten sind aber durchaus verkraftbar. Allein Polen hat in den ersten 15 Jahren nach dem EU-Beitritt EU-Hilfen in Höhe von 160 Milliarden Euro bekommen, rund zehn Milliarden pro Jahr.

Im Fall der Ukraine müsste die EU den Wiederaufbau allerdings nicht allein bezahlen, argumentieren die Autoren. Zum einen könne Russland an den Kosten beteiligt werden, etwa durch eine Abgabe auf Energielieferungen an die EU. Denkbar sei auch eine Nutzung der derzeit eingefrorenen Vermögenswerte des Landes zugunsten der Ukraine.

Und zum anderen stehe zu hoffen, dass auch die USA wieder beim Aufbau "politischer und sozialer Bedingungen" helfen, "unter denen freie Institutionen existieren können".